"Halbmond über dem Nil": Welthistorischer Wendepunkt im Papyrusmuseum
Es ist eine Mini-Ausstellung in einem kleinen, nicht gerade vom Publikum gestürmten Wiener Museum, und erzählt doch mit weltweit einzigartigen Exponaten von "einem der entscheidenden welthistorischen Wendepunkte", wie es Johanna Rachinger, die Generaldirektorin der Österreichischen Nationalbibliothek (ÖNB), ausdrückte. Am Donnerstagabend wird die Ausstellung "Halbmond über dem Nil - Wie aus dem byzantinischen das arabische Ägypten wurde" im Papyrusmuseum eröffnet.
Die erste Sonderausstellung in dem nach einem Relaunch durch BWM Architekten vor einem Jahr wieder eröffneten, in einem Untergeschoß der Neuen Burg untergebrachten Museum, ist durchaus überschaubar und geschickt mit der Dauerausstellung verzahnt. Die 110 gezeigten Objekte dokumentieren die Eroberung Ägyptens, das 700 Jahre lang als römische und oströmische Provinz eine sich über viele Generationen erstreckende Friedenszeit erlebte, durch arabischen Armeen. Während schon nach relativ kurzer Zeit im Jahr 642 n. Chr. die Kampfhandlungen per Vertrag zwischen Kaiser und Kalifen eingestellt wurden, lässt sich anhand der Papyri nachweisen, "dass es sich bei der Arabisierung Ägyptens um keinen abrupten Bruch, sondern um einen über mehrere Generationen reichenden Transformationsprozess handelt", sagte Rachinger.
Dank einiger wissenschaftliche Projekte, unterstützt von der US-amerikanischen Andrew W. Mellon Foundation und dem österreichischen Wissenschaftsfonds (FWF), konnte die Erschließung der in Griechisch, Koptisch und Arabisch erhaltenen Dokumente seit 2013 vorangetrieben werden. Der Übergang vom christlich-byzantinischen zum islamisch-arabischen Ägypten lasse sich nun durch viele "nichtintentionale Quellen" etwa aus dem Verwaltungsbereich genauer darstellen, schilderte Bernhard Palme, der Direktor des Papyrusmuseums und der Papyrussammlung. Es gebe zwar hervorragende literarische Quellen, die aber drei bis vier Jahrhunderte quasi als Rückblick auf die Frühgeschichte des arabischen Reiches entstanden seien. "Die Papyri bieten eine ganz andere Perspektive. Sie ergänzen und korrigieren die literarischen Narrative."
So lasse sich etwa zeigen, dass Griechisch und Koptisch lange nach der Machtübernahme Verkehrssprachen blieben, sich die örtliche Bürokratie lange und ausführlich Gedanken über neue, von den Arabern eingeführte Verwaltungsstrukturen und ein neues Steuerwesen machten, und dass Arabisch sich erst allmählich durchsetzte. Eines der Highlights unter den Exponaten ist der weltweit älteste datierte Papyrus mit arabischem Text - eine Empfangsbestätigung über 65 Schafe für die Versorgung der arabischen Armee, ausgestellt am 25. April 643 n. Chr. Aber auch Beschlagnahmungsbefehle für Weizen, eine Liste von Baumaterialien für al-Fustat, die neue, südlich des heutigen Kairo errichtete arabische Hauptstadt Ägyptens, ein kunstvolles Empfehlungsschreiben sowie ein umfangreicher Steuerakt, in dem nachdrücklich mehr Kontrollen gefordert werden, lesen sich absolut aktuell. Das Ausstellungs-Sujet ist die Zeichnung eines galoppierenden arabischen Kavalleristen aus dem 10. Jahrhundert n. Chr., die u. a. auch deswegen von kulturgeschichtliche Bedeutung ist, da sie zeigt, dass figürliche Darstellungen im frühen Islam durchaus nicht verpönt waren.
Service: Ausstellung "Halbmond über dem Nil - Wie aus dem byzantinischen das arabische Ägypten wurde" im Papyrusmuseum der ÖNB, Heldenplatz, Neue Burg, 3. Juni 2022 bis 7. Mai 2023, Di-So 10-18 Uhr, Do 10-21 Uhr, Juni bis September: tgl. 10-18 Uhr, Do 10-21 Uhr, Katalog, erschienen im Phoibos Verlag: 174 Seiten, ISBN 978-3-85161-275-2, www.onb.ac.at