#CoronaAlltag: Die digitale Seite der Krise
Als Wissenschafts- und Technikforscherin des Instituts für Technikfolgen-Abschätzung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) bedeutet die Corona-Krise für meinen Alltag dreierlei: die tägliche Arbeit kann ich in Vielem unverändert fortführen, weil für uns als Wissenschaftler*innen digitales, ortsunabhängiges Arbeiten zum Alltag gehört. Die Mitautorinnen der Publikationen, an denen ich gerade schreibe, sitzen ja nicht nur in Wien, sondern auch in Edinburgh, Exeter oder Klagenfurt. Austausch über Email oder andere digitale Wege ist da ohnehin unvermeidbar. Vor meinem Bildschirm vergesse ich dann schlichtweg meine unmittelbare Umgebung mit Ausnahme meiner Kernfamilie.
Zugleich pflegen wir aber am Institut einen intensiven Austausch, der besonders dort wichtig wird, wo wir Politik- und Gesellschaftsberatung machen. Hier braucht es den Austausch mit Kolleg*innen aus der Technikfolgen-Abschätzung, die interdisziplinäre Diskussion und die gemeinsame Reflexion. Es braucht auch den direkten Kontakt mit Auftraggebern, Stakeholdern und Adressaten. Bislang fand dieser wichtige Aspekt meiner Arbeit von Angesicht zu Angesicht statt, in organisierten Formaten ebenso wie zwischen Tür und Angel. Wir versuchen das nun in die digitale Welt der Videokonferenzen "hinüberzuretten", allerdings nicht ohne Schwierigkeiten. So wird mir die Wichtigkeit des gemeinsamen Institutsalltags nochmal bewusst.
Welche Rolle spielt Technik bei der Neuorganisation des Alltags?
Und letztlich beobachte ich das derzeitige Geschehen eben auch aus der Warte der Technikfolgenforscherin: was passiert hier im Detail? Welche Rolle spielt Technik in der Neuorganisation des kollektiven und individuellen Alltags? Welche Rolle spielen wissenschaftliche Daten in politischen Entscheidungen und in unserer gesellschaftlichen Wahrnehmung?
Ich bemerke nachträglich, dass ich durch den unterschiedlichen Einsatz von Technik eine Grenze zwischen Arbeit und Privatleben ziehen konnte - Arbeit war (auch) digital, Privatleben bewusst analog. Nun zieht plötzlich der Online-Chat in das Kinderzimmer ein und Videokonferenzen dienen auch dazu, das Sozialleben am Institut über die Krise zu retten.
Neue soziale Beziehungen, Abhängigkeiten und Risiken
Da ich bislang digitale Optionen nur selten in größeren Gruppen verwendet habe, bin ich nun überrascht, wie eingeschränkt sie diese Arbeit unterstützen können. Der Umstieg auf digitale Kommunikation bedeutet hier nicht nur bloß einen Umstieg, er definiert neu, was möglich ist und was nicht. Er definiert soziale Beziehungen neu, er verwebt uns in neue Abhängigkeiten (etwa von Anbietern der genutzten Formate) und befördert bestimmte Risiken, etwa bezüglich Privatsphäre und Datenschutz. Auch der ökologische Fußabdruck des neuen (datenintensiven) digitalen Lebensstils bleibt noch zu ermitteln. Und - bei aller internationalen Euphorie für die digitale Lehre - ohne den direkten Austausch mit den Studierenden macht es einfach nicht den gleichen Spaß!
Zugleich ermöglicht der momentan angesagte Verzicht auf analoge Mobilität auch Experimente, die zuvor nicht denkbar schienen. Auf wie viele Konferenzreisen und Projektmeetings pro Jahr können wir verzichten, ohne dass unsere Arbeit leidet? Nicht auf alle, aber vielleicht doch auf ein paar mehr, als wir dachten! Als Mutter eines kleinen Kindes hatte ich schon in den letzten Jahren den besten denkbaren Anlass mir hier ein optimales Niveau jenseits von Moden und imaginierten Notwendigkeiten zu erarbeiten. Klare Prioritäten und Mut zur Lücke helfen jedenfalls beim Einsparen leerer Kilometer.
Und dann noch: Welche Forschungsfragen haben Bestand, wenn wir auf das Essenzielle fokussieren? Und welche neuen drängenden Fragehorizonte ergeben sich? In der Technikfolgen-Abschätzung bestimmt einige. Und vielleicht bekommen diese nun auch noch eine etwas persönlichere Note.
Zur Person: Karen Kastenhofer ist Senior Scientist am Institut für Technikfolgen-Abschätzung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW). Dort führte sie zuletzt ein Projekt zu möglichen Gesundheitsrisiken von 5G für das österreichische Parlament durch. Sie unterrichtet Wissenschafts- und Technikforschung, Nachhaltigkeitsforschung und Responsible Research and Innovation an der Universität Wien und der Technischen Universität Wien.
Service: Dieser Gastkommentar ist Teil der Rubrik "Corona - Geschichten aus dem Krisen-Alltag" auf APA-Science: http://science.apa.at/CoronaAlltag. Die inhaltliche Verantwortung liegt beim Autor/der Autorin.
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