Experte: Zivile Forschung zunehmend Spielball geopolitischer Kräfte
Forschung und Technologieentwicklung haben sich unter anderem durch veränderte geopolitische Rahmenbedingungen deutlich gewandelt. "In den vergangenen Jahren ist die Konvergenz von ziviler und militärischer Forschung stark gestiegen. Das Potenzial von Technologien, die einen doppelten Verwendungszweck haben, ist größer geworden", erklärte Georgios Kolliarakis, einer der Koordinatoren des "EU P2P Global Dual-Use Export Control Programme", bei einer Veranstaltung in Wien.
Als "Dual-Use" wird in diesem Zusammenhang die mögliche missbräuchliche Verwendung von ziviler Forschung für politisch-militärische Zwecke bezeichnet. "Das wird ein immer größeres Problem und erfordert ein Umdenken bei der Forschungsförderung und den regulatorischen Mechanismen", so Kolliarakis im Rahmen des "FFG Forum 2024", eines Events anlässlich des 20-jährigen Bestehens der Forschungsförderungsgesellschaft FFG. Manche Technologien, wie etwa Anwendungen aus dem Gebiet der Quantenforschung, würden bereits Kopfschmerzen bereiten, auch wenn sie noch im Bereich der Grundlagenforschung angesiedelt seien.
Es brauche in der EU eine strategische Betrachtungsweise, die die USA oder China schon lange hätten, und eine gezielte Forschungsförderung, um die Autonomie der EU und die Überlebensfähigkeit zu sichern. Als Auslöser der Entwicklung sieht der Experte vor allem die geopolitische Fragmentierung, höhere Budgets für Sicherheitsforschung und die steigende Zahl der Akteure, abseits der Verteidigungsindustrie, etwa Start-ups. Außerdem sei Informations- und Kommunikationstechnologie zugänglicher als beispielsweise Nuklearforschung.
Sensibilisierung der Akteure notwendig
"Die Landschaft wird dynamischer, aber sind wir bereit, damit umzugehen? Wir brauchen diese Technologien jedenfalls, um uns zu behaupten", gab sich Kolliarakis, der auch am Wiener Zentrum für sozialwissenschaftliche Sicherheitsforschung (VICESSE) tätig ist, überzeugt. China sei in vielen Bereichen bereits weit voraus, wodurch kritische Abhängigkeiten entstehen könnten. Es brauche eine Sensibilisierung der Akteure im Hinblick auf Spionage oder auch nur den unabsichtlichen Transfer von Wissen. "Klein- und Mittelbetriebe sowie Forschungseinrichtungen sind das Ziel vieler ausländischer Investitionen. Das kann okay sein, oder auch nicht. Diese Rollen müssen beleuchtet werden", so Kolliarakis.
Auch die EU-Kommission will dieses Bewusstsein schärfen und hat Hochtechnologiebereiche definiert, bei denen verstärkt Sicherheitsvorkehrungen getroffen werden sollten - etwa hoch entwickelte Halbleiter, Künstliche Intelligenz (KI), Quantentechnologien und Biotechnologie. Wo regulatorisch eingegriffen werden sollte, um Gefahren zu vermeiden, sei grundsätzlich schwierig festzulegen, da es noch keine Instrumentarien gebe, mit denen künftige gute und schlechte Aspekte verlässlich abschätzbar wären, meint Kolliarakis. Auch wenn Regulierungseingriffe von manchen als Innovationskiller betrachtet würden, sollten Kooperationen bei sensitiven Technologien nur stattfinden, wenn es konkrete Rahmenbedingungen gebe.
Die teilnehmenden Ministerienvertreterinnen und -vertreter verwiesen auf die Notwendigkeit einer Risikoanalyse und die Schaffung von mehr Bewusstsein für das Thema. Internationale Kooperationen würden viele Einfallstore für Akteure öffnen, die mit negativer Energie Informationen absaugen wollen, so Heribert Buchbauer vom Wissenschaftsministerium. Sich komplett abzukoppeln, sei aber auch nicht zielführend. Eine verlässliche Zusammenarbeit bringe Vorteile für beide Seiten. In dieselbe Kerbe schlug Caroline Schmidt vom Innenministerium, die zudem hervorhob, dass Spionage nicht nur Wirtschaftsunternehmen, sondern zunehmend auch Forschungseinrichtungen betreffe.
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