"Europa ist zurück": Ariane 6 flog erfolgreich ins All
Die Spitzen der europäischen Raumfahrt feiern es als einen "unglaublichen Erfolg": Erstmals ist die europäische Rakete Ariane 6 in den Weltraum gestartet und holt Europas Raumfahrt damit aus der Krise ihres Trägerraketensektors. Die Rakete startete am Dienstag gegen 21.00 Uhr (MESZ) am europäischen Weltraumbahnhof in Kourou in Französisch-Guayana unter den gebannten Blicken zahlreicher Beteiligter und Raumfahrtbegeisterter.
Gut eine Stunde später verkündete die ESA dann den Erfolg des Flugs, nachdem die Rakete mehrere Satelliten ausgeliefert hatte. "Wir schreiben heute Geschichte", sagte ESA-Chef Josef Aschbacher unter Applaus in Kourou. "Heute ist ein großer Tag zum Feiern." Er sei persönlich erleichtert.
Der gesamte Flug der 56 Meter hohen und 540 Tonnen schweren Rakete war auf knapp drei Stunden angesetzt. Bereits kurz nach dem Abheben, als die Ablösung der Booster verkündet wurde, brach auf den Terrassen am europäischen Weltraumbahnhof Jubel und Applaus aus. Bei jedem weiteren Meilenstein, den die Rakete erfolgreich absolvierte, erfüllten Freude und Erleichterung den Weltraumbahnhof.
Heimisches Know-how mit an Bord
Schon seit Monaten hat Europas Raumfahrt auf den Jungfernflug seiner neuen Rakete hingefiebert. Denn für den Kontinent steht viel auf dem Spiel. Die Hoffnungsträgerin Ariane 6 soll wieder einen eigenen Zugang zum All herstellen und so die Unabhängigkeit sichern.
Anteil an der Entwicklung und Umsetzung der neuen ESA-Trägerrakete für schwere Lasten haben auch mehrere österreichische Firmen. So findet sich heimisches Know-how und Technologie in der Hochtemperatur-Thermalisolation für die Raketenantriebe sowie im Steuermechanismus für die Oberstufe der Rakete. Dies lieferte der größte Weltraumzulieferer des Landes, Beyond Gravity Austria (vormals RUAG Space), mit Hauptsitz in Wien. Die im Unternehmens-Werk in Berndorf im Triestingtal (NÖ) produzierte Spezialisolation ist zum ersten Mal auf einer Trägerrakete im Einsatz.
An der Entwicklung des Datennetzwerks von Ariane 6 war das Wiener Hightech-Unternehmen TTTech beteiligt, das ebenso Komponenten für die Bordelektronik geliefert hat. Die Chips des Unternehmens ermöglichen es, Navigations- und Steuerungsdaten sowie Überwachungs- oder Videodaten zu übertragen. Test-Fuchs Aerospace Systems aus Groß-Siegharts (NÖ) entwickelte für Ariane 6 verschiedene Ventilsysteme. Das steirische Unternehmen Hage Sondermaschinenbau fertigte eine 50 Meter lange Anlage an, die zur Bearbeitung von Verschlusskappen für Ariane 6 zum Einsatz kam. So konnten Teile für das Tanksystem mit besonders widerstandsfähigen Schweißnähten versehen werden. Laut der Forschungsförderungsgesellschaft FFG waren zudem auch das Stahlbearbeitungsunternehmen ISW sowie das Edelstahlunternehmen Böhler an dem europäischen Großprojekt beteiligt.
Laut FFG-Angaben gegenüber der APA fällt mit jeder produzierten Ariane 6 ein Umsatz für die österreichischen Firmen von etwa 500.000 Euro an. Bei 30 bisher verkauften Starts bedeute dies einen Gesamtvolumen von 15 Millionen Euro, was die österreichischen Ausgaben für die Trägerrakete, die mit etwa 12 Mio. Euro beziffert wurden und vom Klimaministerium über die ESA für die Firmen bereitgestellt wurden, bereits übertreffe. Insgesamt waren 13 europäische Länder am Bau der Rakete beteiligt.
Europa darf hoffen: Weitere Raketen geplant
Seitdem vor ziemlich genau einem Jahr die letzte Ariane 5, die Vorgängerin der Ariane 6, in den Weltraum gestartet ist, hatte die europäische Raumfahrt keine eigenen Transporter mehr, um größere Satelliten in den Weltraum zu bringen. Die ESA gestand eine ernsthafte Krise des europäischen Trägerraketensektors ein, Aschbacher sprach von einem riesigen Problem.
Denn Ärger gab es auch bei den kleineren Satelliten. Nach einem erfolgreichen Erststart missglückte der erste kommerzielle Flug der Vega C Ende 2022. Eine Rakete dieses Typs soll erst im November wieder fliegen. Teils wich die ESA für Satellitenstarts auf Falcon-9-Raketen des US-Unternehmens SpaceX von Elon Musk aus.
Mit dem Erstflug der Ariane 6 ist für Aschbacher klar: "Europa ist zurück." Aus der Krise sei man raus. Er erklärte aber auch: "Dies ist nur der erste Schritt, wir haben noch viel Arbeit vor uns." Bereits Ende des Jahres soll die nächste Ariane 6 fliegen.
Die Vorstandsvorsitzende des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR), Anke Kaysser-Pyzalla, lobte: "Es ist gelungen, hier wieder eine Rakete zu erstellen, die man zukünftig in einer Art Raketenfabrik immer wieder bauen kann." Laut Rolf Densing, Leiter des ESA-Kontrollzentrums in Darmstadt reichten die Industriekapazitäten für bis zu elf Starts pro Jahr. Der Chef des Raketenbetreibers Arianespace, Stéphane Israël, sagte, schon im kommenden Jahr wolle man sechsmal eine Ariane 6 in den Weltraum schicken.
Kleiner Vorfall beim Jungfernflug
Ganz nach Plan verlief bei dem Jungfernflug aber nicht alles. Nach der erfolgreichen Startphase folgte eine technische Demonstrationsphase. In dieser zündete ein Hilfsantrieb in der Oberstufe zwar zunächst, stoppte dann aber, wie der Chef des Raketenbauers ArianeGroup, Martin Sion, erklärte. Warum, wisse man noch nicht.
Sion sagte zu dem Vorfall: "Das ist bedauerlich, aber das ist auch der Grund, weshalb wir eine technische Demonstration vornehmen, weil es Dinge gibt, die wir nicht am Boden testen können." Mit der Testphase am Ende des Erstflugs habe man so viele Informationen wie möglich sammeln wollen. Man habe schauen wollen, wie sich die Oberstufe der Rakete in sogenannter Mikrogravitation verhält, einem Zustand, in dem die Gravitationskraft nicht oder extrem schwach wirkt.
Vorgesehen war, dass die Rakete bei ihrem Jungfernflug 17 Nutzlasten ins All bringt. Nach gut sieben Minuten wurde die Oberstufe abgetrennt. Das wiederzündbare Vinci-Triebwerk wurde zweifach gezündet. In drei Phasen setzte die Rakete technische Passagiere in den Weltraum.
Am Ende sollte die Oberstufe auf dem Weg zurück zur Erde eigentlich verglühen. Weil der Hilfsantrieb stoppte, zündete das Vinci-Triebwerk der Oberstufe nicht erneut, um die zwei letzten Nutzlasten auszusenden. Sie werden nun in der Oberstufe bleiben, die im All verbleibt.
Wie modern die Rakete ist, darüber sind sich Experten uneinig
Die Ariane 6 musste zehn Jahre lang auf ihren Erststart warten. Sie ist das Nachfolgemodell der Ariane 5, die von 1996 bis Sommer 2023 im Einsatz war. Die Rakete soll Satelliten für kommerzielle und öffentliche Auftraggeber ins All befördern und ist deutlich günstiger als ihre Vorgängerin.
Je nach Mission kann die flexible und modulare Rakete mit zwei oder vier Boostern ausgestattet werden und unterschiedliche Nutzlasten in einem kleineren oder einem längeren Oberteil unterbringen. Bis zu 11,5 Tonnen Gesamtfracht kann sie bei geostationären Satelliten transportieren und 21,6 Tonnen in niedrigeren Umlaufbahnen.
Einer der zentralsten Fortschritte dürfte aber sein, dass die Ariane 6 Satelliten in unterschiedliche Orbits ausliefern kann. Somit kann sie auch Konstellationen ins All bringen.
Wie modern die Rakete ist, daran scheiden sich die Geister. ESA-Chef Aschbacher ist überzeugt, dass die Rakete den aktuellen Herausforderungen entspricht. Raumfahrtexperte Martin Tajmar von der TU Dresden antwortet hingegen auf die Frage, ob die Rakete auf der Höhe der Zeit sei: "Das kann man vergessen."
Tajmars Blick geht dabei in die USA und zu SpaceX: "2015 ist das erste Mal die Falcon-9-Rakete erfolgreich wieder gelandet und hat quasi das Zeitalter der wiederverwendbaren Raumfahrt gegründet, wo natürlich alle anderen jetzt dann komplett alt ausschauen."
Immerhin: Laut ESA-Raumtransportdirektor Toni Tolker-Nielsen soll die Rakete, die die Ariane 6 ablöst, auch wiederverwendbar sein. Derzeit plant die ESA, die Ariane 6 bis mindestens Mitte der 2030er-Jahre zu nutzen. Tajmar meint, dann sei man aber wieder 20 Jahre hinterher. Nur: Die langwierigen Entscheidungsprozesse bei der ESA könne man auch nicht mit der Arbeitsweise von SpaceX vergleichen.
Service: https://www.esa.int/ariane
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