Klima-Glossar: Gravitative Massenbewegungen
Hangrutschungen, Muren, Berg- oder Felsstürze und Geröll-Lawinen: All diese Naturereignisse gehören zu den "gravitativen Massenbewegungen". Die Bezeichnung stammt aus der Geologie, wobei das Lateinische "gravitativ" bedeutet, dass die Schwerkraft dafür sorgt, dass Material hangabwärts transportiert wird. Allen Vorgängen mit oftmals zerstörerischen Folgen ist gemein, dass ihre Häufigkeit mit den Auswirkungen des Klimawandels stetig zunimmt.
Zunehmende Starkregenereignisse, wie auch deren Gegenteil Trockenheit, sind die zwei Folgen der menschgemachten Klimakrise, die dafür verantwortlich sind. Besonders in den Bergen oder spezifisch in Österreichs alpinen Regionen zählen diese Wetterphänomene zu den auslösenden Momenten von sogenannten gravitativen Massenbewegungen. Ebenso beeinflusst die Schwächung des Waldes, gleichfalls vom Klimawandel hervorgerufen, seine Schutzfunktionen für Siedlungen vor Steinschlag & Co. In höheren Lagen oberhalb der Baumgrenze fehlt der Wald generell, was beim Auftauen des Permafrosts die Gefahr einer solchen Massenbewegung ebenso erhöhen kann.
Es gibt auch langsame Massenbewegungen
Neben den eingangs aufgezählten, rasch eintretenden Ereignissen gibt es auch langsame Massenbewegungen wie den Talzuschub oder das Hangkriechen. Bei diese Vorgängen bewegen sich große Flächen eines Berges talwärts. Der Vorgang ist sehr langsam, manchmal sogar nur wenige Millimeter pro Jahr. Die deutlich größere Gefahr für sogenannten Sturzereignissen, wie etwa Muren, geht von plötzlich und mit großer Wucht auftretenden Veränderungen in der Natur aus.
2018 haben Forscher des Austrian Institute of Technology (AIT) ihre Erkenntnisse über den Zusammenhang von Massenbewegungen und Klimawandel bei der Generalversammlung der European Geosciences Union (EGU) in Wien vorgestellt. Sie untersuchten wie tagelang dauernder Starkregen die Gefahr erhöht, dass in Österreich, Deutschland und der Schweiz größere Erd- und Gesteinsmassen talwärts stürzen. Demnach sei sogar in niedrigen Lagen bis zum Ende des Jahrhunderts im Schnitt ein zusätzlicher Erdrutsch pro Jahr zu erwarten, in höher gelegenen Regionen seien es vierzehn. Während die Gefahr in der näheren Zukunft bis 2050 nur mäßig steige, nehme sie dann bis 2100 stärker zu.
Erdrutsche sind zudem auch an den Hängen von Vulkanen zu erwarten, wenn dort Gletscher abschmelzen, berichtete auf derselben Veranstaltung ein Forscher der Universität Clermont Auvergne (Frankreich). Im Falle des Vulkankomplexes "Mount Meager" in Kanada könnte durch abschmelzende Gletscher dort sogar ein Vulkanausbruch ausgelöst werden.
Hangrutsch-Tätigkeiten nehmen zu, je mehr es regnet
In Österreich zeigten unter anderem ein Hangrutsch in Kärnten, mehrere Murenabgänge in Tirol und Salzburg was passieren kann, wenn die dahinterstehenden schadensverursachenden Gewitter während des 21. Jahrhunderts und darüber hinaus zunehmen werden, "je höher die Temperatur ansteigt". Diese Aussage machte Herbert Formayer, wissenschaftlicher Leiter des Klimastatusberichts, Anfang April 2022.
Als Grund nannte Formayer "die Kombination aus einer gesicherten Zunahme der Niederschlagsintensität um etwa zehn Prozent pro Grad Erwärmung und einer wahrscheinlichen Zunahme der Häufigkeit instabiler Luftschichtungen im Alpenraum". Der Statusbericht widmete sich den Unwetterfolgen im Jahr 2021. In Europa sorgte damals Tief "Bernd" am 14. und 15. Juli für Regenmengen von 100 Liter pro Quadratmeter und 200 Todesopfer - und auch wenn die verheerendsten Folgen in Deutschland und Belgien auftraten, war auch Österreich mit Überschwemmungen in der Halleiner Altstadt oder Murenabgängen in Salzburg intensiv betroffen.
Im Sommer 2022, einem der heißesten der Messgeschichte Österreichs, gab es im Grunde ein ähnliches klimatisches Vorgeschehen wie 2021: Ein im Vergleich zu den Jahren 1961 bis 1990 "viel zu warmes" Jahr - und auch die Anzahl der Hitzetage bewegte sich wieder auf einem ähnlich hohen Niveau. Im Sommer dieses Jahres kam es wegen heftiger Niederschläge erneut zu einer erhöhten Gefahr von Hangrutschungen in Österreich und Slowenien.
Laut der ehemaligen Geologischen Bundesanstalt (GBA), inzwischen Teil der Geosphere Austria, betreffen Massenbewegungen "vornehmlich jene Hangbereiche, die einerseits durch menschliche Eingriffe (z.B. Böschungen), andererseits im Zuge sich wandelnder Klimabedingungen instabil werden".
Grundsätzlich gilt laut den Geologieexperten, dass in "einem geologisch jungen Hochgebirge", wie die Alpen eines sind, Massenbewegungen besonders häufig vorkommen - die Klimakrise ist also ein zusätzlicher Verstärker zu einer bereits bekannten Tatsache. Ende 2019 berichtete ein Team um Thomas Glade vom Institut für Geografie und Regionalforschung der Universität Wien über den Wissensstand zu Auswirkungen des Klimawandels. Temperaturen und ihre Entwicklungen seien gut dokumentiert, Mängel wurden jedoch unter anderem im Bereich Bodenerosion, Hangrutschungen und Muren festgestellt.
Die gesamten Erkenntnisse zu den "Extremereignissen alpiner Naturgefahren in Österreich" finden sich unter https://extrema.univie.ac.at.