Neue Klasse galaktischer Nebel entdeckt
Einem internationalen Team von Astronomen um Stefan Kimeswenger vom Institut für Astro- und Teilchenphysik der Universität Innsbruck ist es gemeinsam mit wissenschaftlichen Laien gelungen, eine neue Klasse von galaktischen Nebeln zu identifizieren. Diese Entdeckung liefert einen wichtigen Baustein im Verständnis für die Entwicklung von Sternen und zeigt gleichzeitig die Bedeutung der internationalen Zusammenarbeit zwischen universitärer Forschung und "Community Science".
Erstmals ist es Wissenschaftlern ausgehend von einer Entdeckung durch wissenschaftliche Laien gelungen, einen Nachweis für eine voll entwickelte Hülle eines "Common-Envelope-Systems" (CE) zu liefern, mit dem die Phase der gemeinsamen Hülle eines Doppelsternsystems gemeint ist. "Gegen Ende ihres Lebens blähen normale Sterne sich zu roten Riesensternen auf. Da ein sehr großer Anteil von Sternen in Doppelsternen steht, beeinflusst dies die Entwicklung am Ende ihres Lebens. Denn bei engeren Doppelsternsystemen verschmilzt der sich aufblähende äußere Teil eines Sterns als gemeinsame Hülle um beide Sterne. Im Inneren dieser Hülle verhalten sich die Kerngebiete der beiden Gestirne aber praktisch ungestört und verfolgen ihre Entwicklung, als wären sie unabhängig voneinander", erklärt der Astrophysiker Stefan Kimeswenger. Ihre Ergebnisse konnten die Forscher nun im Fachmagazin Astronomy & Astrophysics veröffentlichen.
Hobby-Astronomen geben Anstoß für Entdeckung
Bereits seit längerem sind viele Sternsysteme bekannt, die aufgrund diverser chemischer und physikalischer Eigenschaften Überreste solcher Entwicklungen sein müssen. Auch Sternsysteme, die gerade erst eine gemeinsame Hülle entwickeln, wurden durch ihre besondere Helligkeit bereits entdeckt. Die voll entwickelte Hülle eines CE und deren Abstoßung in den interstellaren Raum konnte jedoch bisher in dieser Form nicht beobachtet werden. "Gerade diese Hüllen sind von großer Bedeutung für das Verständnis der Entwicklung von Sternen in ihrer Endphase. Darüber hinaus helfen sie uns, zu verstehen, wie sie den Raum mit schweren Elementen anreichern, die dann wiederum für die Entwicklung von Planetensystemen, wie auch unserem eigenen, wichtig sind", erklärt Kimeswenger die Bedeutung der neu entdeckten galaktischen Nebel und fügt hinzu, warum die Wahrscheinlichkeit für ihre Entdeckung gering ist: "Für moderne Teleskope sind sie zu groß und gleichzeitig sind sie sehr leuchtschwach. Außerdem ist ihre Lebensdauer, zumindest in kosmischen Zeitskalen betrachtet, eher gering. Sie beträgt nur wenige hunderttausend Jahre." Den Ausgangspunkt für diesen einmaligen Fund bildet eine Gruppe deutsch-französischer Hobby-Astronomen. In mühsamer Kleinarbeit haben sie in den mittlerweile digitalisierten Archiven historische Himmelsbilder nach unbekannten Objekten durchsucht und schließlich ein Fragment eines Nebels auf Fotoplatten aus den 1980er-Jahren gefunden.
Internationale Zusammenarbeit löst Rätsel
Mit ihrem Fund kontaktierte die Gruppe internationale wissenschaftliche Experten, darunter auch das auf diesem Gebiet sehr erfahrene Institut für Astro- und Teilchenphysik der Universität Innsbruck. Durch das Zusammentragen und Kombinieren von Beobachtungen der letzten 20 Jahre aus öffentlichen Archiven verschiedener Teleskope und mit den Daten von vier verschiedenen Weltraumsatelliten konnten die Forscher in Innsbruck die erste Annahme, nämlich die Entdeckung eines Planetarischen Nebels, der durch die Überreste von sterbenden Sternen verursacht wird, ausschließen. Das enorme Ausmaß des Nebels wurde schließlich mit Hilfe von Vermessungen durch Teleskope in Chile ersichtlich, Wissenschaftler in den USA haben diese Beobachtungen mittels Spektrographen schließlich vervollständigt: "Der Durchmesser der Hauptwolke ist mit 15,6 Lichtjahren fast 1 Million mal größer als der Abstand der Erde zur Sonne und viel größer als der Abstand unserer Sonne zu ihrem nächsten Nachbarstern. Aber auch Fragmente mit einer Ausdehnung von sogar 39 Lichtjahren wurden gefunden. Da das Objekt etwas über der Milchstraße liegt, konnte der Nebel sich weitestgehend ungestört von anderen Wolken im umliegenden Gas entwickeln", beschreibt Kimeswenger die Entdeckung.
Modell der neuen Klasse galaktischer Nebel
Durch eine Kombination all dieser Informationen ist es den Forschern gelungen, ein Modell des Objektes zu erstellen: Es besteht aus einem engen Doppelsternsystem eines 66.500 Grad heißen Weißen Zwergsterns und eines normalen Sterns mit einer Masse etwas unter jener der Sonne. Beide umkreisen sich in nur 8 Stunden und 2 Minuten und in einem Abstand von nur 2,2 Sonnenradien. Durch den geringen Abstand wird der nur etwa 4.700 Grad heiße Begleitstern an der dem Weißen Zwerg zugewandten Seite stark angeheizt, was zu extremen Erscheinungen im Spektrum des Sterns und zu sehr regelmäßigen Helligkeitsschwankungen führt. Um beide Sterne befindet sich eine gigantische Hülle, die aus dem äußeren Material des Weißen Zwergs besteht. Dieses Material ist mit etwas über einer Sonnenmasse schwerer als der Weiße Zwerg und sein Begleitstern und wurde vor etwa 500.000 Jahren in den Weltraum ausgeworfen.
Doch es gibt noch ein weiteres Rätsel, das in Zusammenhang mit der Entdeckung der neuen Klasse galaktischer Nebel steht, schildert Stefan Kimeswenger: "Möglicherweise steht dieses System sogar mit einer von koreanischen und chinesischen Astronomen 1086 gemachten Nova-Beobachtung in Verbindung. Die Positionen der historischen Beobachtungen passen jedenfalls sehr gut mit jenen unseres hier beschriebenen Objekts überein."
Veröffentlichung: YY Hya and its interstellar environment (2021). S. Kimeswenger, J. R. Thorstensen, R. A. Fesen, M. Drechsler, X. Strottner, M. Germiniani, T. Steindl, N. Przybilla, K. E. Weil, J. Rupert. A&A. DOI: https://doi.org/10.1051/0004-6361/202039787
Rückfragehinweis: ao. Univ.-Prof. Mag. Dr. Stefan Kimeswenger Institut für Astro- und Teilchenphysik Universität Innsbruck Tel.: +43 512 507 52040 E-Mail: Stefan.Kimeswenger@uibk.ac.at Web: Institut für Astro- und Teilchenphysik Lisa Maria Marchl, MSc, MSc Büro für Öffentlichkeitsarbeit Universität Innsbruck Tel.: +43 512 507 32026 Mobil: +43 676 8725 32026 E-Mail: lisa.marchl@uibk.ac.at Web: www.uibk.ac.at