Schlüssel zur Gletscherforschung: Luftbilder aus der Besatzungszeit
Luftaufnahmen der US Air Force bekommen in Österreich eine neue Bedeutung: Sie sollen zur Entwicklung der österreichischen Gletscher seit 1945 dienen. Der Grazer Glaziologe Jakob Abermann ist in US-amerikanischen Archiven auf historische Fotos gestoßen. Sie sollen es nun ermöglichen, die damaligen österreichischen Eisfelder flächendeckend zu vermessen. Die Ergebnisse sollen bis 2028 vorliegen und die Daten öffentlich zugänglich werden, teilte die Uni Graz am Montag mit.
Unmittelbar nach Ende des Zweiten Weltkrieges in Europa im Mai 1945 wurden amerikanische Kampfflieger für ein großes europäisches Kartierungsprojekt mit Luftbildkameras zur fotogrammetrischen Vermessung ausgestattet, erzählte Abermann auf Anfrage der APA. "Ich bin im Rahmen meiner Forschungsarbeit auf entsprechende Fotos aus der Schweiz gestoßen. Die US-Luftwaffe bekam die Erlaubnis über das Staatsgebiet zu fliegen und Fotos zu machen, wenn dafür der Schweiz Kopien der Fotos auf Glasplatten zur Verfügung gestellt wurden. Ich dachte mir, so etwas müsse es auch für Österreich geben", erzählte der Glaziologe vom Institut für Geografie und Raumforschung der Universität Graz. Und gibt es tatsächlich - allerdings nicht in den österreichischen, sondern amerikanischen Archiven. Abermann ist es gelungen, Kopien der fast 80 Jahre alten Bilder anzukaufen und ist gerade dabei in einem interdisziplinären Team den Schatz zu heben.
80 Jahre alte Einblicke in Geschichte der Alpengletscher
Die Aufnahmen, die ursprünglich in erster Linie für die Dokumentation von Kriegsschäden erstellt wurden, aber auch für eine gesamteuropäische Nachkriegskartierung dienen sollten, bieten heute einzigartige Einblicke in die Historie der Alpengletscher. Bisher gab es zu den österreichischen Gletschern - im Westen des Bundesgebietes teils auch Ferner oder Kees genannt - nur punktuelle Vermessungen einzelner Eisfelder.
Das Forschungsteam unter der Leitung von Abermann möchte anhand der nun vorliegenden Luftbilder und ihrer digitalen Auswertung nicht nur den Zerfall von Gletschern, sondern auch die Entstehung neuer Seen und Änderungen von Flussläufen zurückverfolgen. Die ersten Bilder sind bereits gescannt. Ein erster Blick auf die Dokumente zeigte bereits deutlich den Zerfall größerer Gletscher in kleine, fast statische Eisfelder. "Die 1940er-Jahre sind für uns besonders interessant, weil es damals auch relativ warm war und somit die Schneegrenze im Sommer sehr hoch lag", erläuterte Abermann weiter.
Interdisziplinäre Auswertung
Zur Auswertung werden Experten der TU Graz hinzugezogen: Aus den Luftbildaufnahmen, mit einer Bodenauflösung von rund zehn Metern sollen Orthofotos und auch Höhenmodelle erstellt werden. Tobias Bolch vom Institut für Geodäsie der TU Graz hob die Qualität der historischen Aufnahmen hervor: "Es ist schon erstaunlich, welch hohe Qualität man damals erreichte. Höchste Zeit, dass wir detaillierte Informationen zu einem wichtigen Zeitpunkt in der Geschichte des Hochgebirges bekommen", unterstrich der Forscher. Das Projekt wird von einigen Bundesländern, dem Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Regionen und Wasserwirtschaft, der Österreichischen Akademie der Wissenschaften sowie den Universitäten Graz, Innsbruck und der TU Graz finanziert.