Knochenarbeit: Was prähistorische Urnen über Brandbestattung verraten
Einen tieferen Einblick in bronzezeitliche Riten bei Brandbestattungen und das frühere Leben der Verstorbenen hat ein internationales Forscherteam um Lukas Waltenberger von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) anhand von zwei Urnen aus St. Pölten gewonnen. Möglich wurde das durch die Kombination von verschiedenen Methoden, heißt es in einer im Fachjournal "Plos One" veröffentlichten Studie.
"Wissenswertes über die Verstorbenen herauszufinden ist bei Brandbestattungen ungleich schwieriger als bei Körperbestattungen, bei denen man in der Regel auf ganze Skelette zurückgreifen kann", erklärte Waltenberger vom Österreichischen Archäologischen Institut (ÖAI) der ÖAW im Gespräch mit der APA. Hier könne zum Beispiel die Beckenform zur Geschlechtsbestimmung oder die Gelenksabnützung zur Altersbestimmung herangezogen werden.
Verbrannte Überreste seien hingegen oft sehr klein fragmentiert. Knochenstücke würden nur mehr eine Größe von einem halben bis zwei Zentimetern aufweisen und oft zerbröseln, wenn die Urnen entleert werden. Deshalb habe man archäologische Methoden mit Anthropologie, Computertomographie (CT), Archäobotanik, Zooarchäologie, Geochemie und Isotopenanalysen kombiniert, um das Maximum an Informationen herauszuholen, so der Anthropologe.
Zum Einsatz kamen diese Techniken bei zwei spätbronzezeitlichen Urnen (rund 1430 und 1260 v. Chr.), die 2021 bei Grabungen im Stadtzentrum von St. Pölten entdeckt wurden. Die Forscher fanden heraus, dass es sich bei den beiden Individuen um ein neun- bis 15-jähriges Kind mit Mangelerscheinungen und eine 23 bis 32 Jahre alte Frau gehandelt hat. Das Sterbealter sei durch Zahnzement-Analysen – wie bei Bäumen gibt es hier ringartige Strukturen – bestimmt worden. Diese Methode stamme aus der Forensik und werde selten bei Bestattungsfunden angewendet.
Kind litt an Mangelerscheinungen
Auch Krankheitsbilder konnten den Angaben zufolge anhand des Schädelknochens bestimmt werden: "Das Kind hat viele Jahre an Mangelerscheinungen gelitten und dürfte durch das geschwächte Immunsystem an einer Infektion verstorben sein", vermutet Waltenberger. Außerdem wurden die Bestattungsriten sehr genau rekonstruiert. Beim Kind seien die Knochen nach der Verbrennung am Scheiterhaufen aus den Überresten herausgepickt und fein säuberlich in die Urne gelegt worden. Bei der Frau dürfte man außerdem mit beiden Händen kleinere Knochenfragmente inklusive Holzkohle in die Urne geschaufelt haben.
Üblicherweise würden Urnen von den Archäologen ausgegraben und die Knochen mit Wasser gereinigt. "Da bekommt man als Anthropologe im Normalfall ein Sackerl mit Knochenfragmenten ohne Kontext und Hintergrundinformationen. Da geht viel verloren", erläuterte Waltenberger. In diesem Fall sei hingegen mittels CT-Scan ein erster digitaler Blick in die Urnen geworfen und dann Schicht für Schicht ausgegraben worden. "Fragile Knochenstücke haben wir mit Kunstharz fixiert, um sie in der Nachbearbeitung besser bestimmen zu können", so der Experte.
Einige Knochen hätten sich nach Beiziehung einer Archäozoologin als tierischen Ursprungs – etwa von Schaf, Wildschwein, Hirsch und Ziege – erwiesen. Sie seien als Speiseopfer am Scheiterhaufen mitverbrannt worden. "Der Hirsch könnte auch ein Hinweis darauf sein, dass diese Person der Jagd nahe stand und man ihr Fleischbeigaben mit ins Jenseits gegeben hat. Vom Wildschwein waren vor allem Zähne erhalten, was auf eine Kette aus Wildschwein-Zähnen als Schmuck hindeutet", erklärte Waltenberger.
Mithilfe der Archäobotanik fand man auch eine große Menge an pflanzlichen Überresten in den Urnen, die auf Nahrungsbeigaben zurückzuführen sein dürften – darunter Hirse, Linsen, Emmer, Einkorn und Holunder. Holundersamen könnten beispielsweise von Kompott stammen. "Auch Drusch-Reste, also Stängel und Ähren, die beim Dreschen übrigbleiben, waren in den Urnen. Wir gehen davon aus, dass sie als Anzünder für den Scheiterhaufen verwendet wurden", so der Anthropologe.
Service: https://doi.org/10.1371/journal.pone.0289140, Video zur digitalen Rekonstruktion: https://www.youtube.com/watch?v=4lg8ajmUXp8