Barrieren in der Wissenschaft und wie man sie überwinden kann
Diversität und das Meistern von Herausforderungen sollen bei einer Veranstaltung am Institute of Science and Technology Austria (ISTA) diskutiert und honoriert werden. Einer der Gäste ist Onur Güntürkün, Professor für biologische Psychologie an der Universität Bochum, der seit einer Polio-Infektion im Kindesalter im Rollstuhl sitzt. Mit APA-Science hat er im Voraus über Herausforderungen, Verantwortung und die Vorteile vielfältiger Perspektiven gesprochen.
Güntürkün ist mit vier Jahren an Kinderlähmung erkrankt. Zwei Jahre danach kamen seine Eltern mit ihm und seiner Schwester nach Deutschland, weil es dort bessere Behandlungsmöglichkeiten für ihn gab. Nach einigen Jahren kehrte die Familie in die Türkei zurück, wo er sein Abitur machte. "Zur Verzweiflung meiner Eltern wollte ich mit Psychologie etwas ihrer Ansicht nach Unvernünftiges studieren", erzählte er. "Weil die Deutschen mit Wilhelm Wundt die Psychologie erfunden haben und ich die Sprache konnte, kam ich zum Studium hierher."
Im Rahmen seiner Karriere ist er, wie in der Wissenschaft üblich, viel unterwegs gewesen - mit Aufenthalten u. a. in San Diego, Brisbane, Izmir und Antwerpen. Wegen der Tätigkeit in der experimentellen Forschung war er dabei mit vielen Herausforderungen konfrontiert: Man müsse sich beispielsweise im Feld und in Laboren, die mit dem Rollstuhl schwierig zu operieren sind, im Vorhinein ganz genau überlegen, welche Probleme es gibt und wie sie zu lösen sind. "Aber die Wissenschaft selbst ist das Beste und Schönste, was ich mir für mein Leben vorstellen kann", so Güntürkün.
"Dunkle Jahre" und positive Entwicklungen
Am Anfang seiner Studienzeit sei Deutschland in Bezug auf Barrierefreiheit "ein absolutes Entwicklungsland" gewesen. "In den Vereinigten Staaten konnte ich dann zum ersten Mal in meinem Leben mit einem öffentlichen Bus von Zuhause an die Universität fahren. Das war ein Gefühl von Freiheit und Kompetenz, das ich bis dahin noch nie erfahren hatte", erinnerte sich der Forscher. Die Hubplattform am Buseinstieg sei verrückterweise ein System der deutschen Firma Siemens gewesen, das damals aber nur in den USA verkauft worden ist. Nach der Rückkehr hatte sich sein Anspruchsdenken ein Stück weit verändert, seit diesen "dunklen Jahren" ist in dem Bereich aber auch in Deutschland viel vorangegangen, so Güntürkün.
Zwar sind Behinderungen extrem vielfältig, im Bereich der Mobilitätseinschränkungen gebe es aber simple Lösungen, um Barrieren abzubauen - etwa in einem Gebäude keine Treppen ohne einen alternativen Aufzug einzuplanen. Obwohl er Menschen überall auf der Welt als hilfsbereit wahrgenommen hat, auch wenn es an solchen Lösungen mangelte, sei es schöner, wenn sie vorhanden sind.
Zwischen berechtigter Erwartungshaltung und Selbstverantwortung
Güntürküns Perspektive hat sich im Laufe seiner Karriere verändert. Als Professor werde er eher gehört und ist weniger im experimentellen Bereich tätig. Ganz anders ist die Sache für junge Forschende: "Keiner macht für sie die Experimente, keiner holt für sie die Daten, das Gebäude wird für sie nicht komplett umgebaut", sagte Güntürkün. Dies falle oft zusammen mit dem schwierigsten, hoch kompetitiven Abschnitt akademischer Karrieren - eine Behinderung verleihe der Situation dann oft zusätzliche Komplexität.
Im Jahr 2024 stelle man berechtigterweise gewisse Erwartungshaltungen an moderne Institutionen. "Trotzdem muss ich meinen Teil beitragen und bin bereit, Schwierigkeiten in Kauf zu nehmen. Irgendwo zwischen diesen beiden Extremen liegt wahrscheinlich die Wahrheit", erklärte der Forscher. Jungen Menschen, die sich für die Wissenschaft interessieren, rät er zu einer positiven Grundeinstellung: "Der erste Schritt ist, die eigenen Träume ernst zu nehmen. Man muss sich im Leben zumindest die Chance geben, ihnen zu folgen."
Diversität als "größter Schatz" für die Forschung
Das Jahr 2024 steht aber auch für das Erstarken rechtsextremer Positionen. Güntürkün sieht darin vor allem eine Gefahr für die für den Wissenschaftsbetrieb wichtige internationale Mobilität und gesellschaftliche Akzeptanz von Personen aus dem Ausland. "Ich glaube, wir müssen wehrhaft und laut sein, um die Demokratie generell zu verteidigen - und damit auch diesen wichtigen Aspekt", so Güntürkün.
Umso wichtiger, da diverse Perspektiven dem Wissenschaftsbetrieb große Chancen bieten: "Jeder Mensch ist von den eigenen Lebenserfahrungen eingeschränkt in seinen Annahmen und Fragen, aber bringt gleichzeitig einen ganz individuellen Reichtum an Ideen mit. Ich glaube, diese Vielfältigkeit ist der größte Schatz, den die Wissenschaft zu bieten hat", resümierte der Psychologe.
Beim ISTA-Event am kommenden Dienstag werden neben Onur Güntürkün weitere Vortragende auch über die Auswirkungen von Armut, Geschlecht, Hautfarbe und Seheinschränkungen auf ihre akademische Karriere sprechen: Neurowissenschafterin Rachael Dangarembizi ist Senior Lecturer an der University of Cape Town, Südafrika. Mathematiker Andrew Krause ist Associate Professor an der Durham University, Großbritannien.
Service: Veranstaltung am 19.11.: Diversity in Science. Non-linear pathways in STEM: Breaking Barriers? Sprache: Englisch. Weitere Informationen und Anmeldemöglichkeit unter https://ista.ac.at/en/news-events/event/?eid=5268
(Dies ist eine entgeltliche Veröffentlichung des Institute of Science and Technology Austria im Rahmen einer Medienkooperation. Die redaktionelle Letztverantwortung liegt bei APA-Science.)