EU-Lieferkettengesetz - Experte: Erster Schritt, für Nachschärfung
Der Innsbrucker Nachhaltigkeitsrechtler Malte Kramme sieht in dem EU-Richtlinienentwurf zum Lieferkettengesetz einen "ersten Schritt", mahnt aber Nachschärfungen ein. Konkret verlangt er im APA-Interview konkretere Vorgaben für die Wirtschaft. "Unternehmen sind auf sich allein gestellt", beschrieb Universitätsprofessor Kramme die Situation. Es gebe noch keine Industriestandards, vieles bleibe "im Vagen".
Dass Österreich - wie Deutschland - in puncto Lieferkettentransparenz vorpreschen und ein eigenes Gesetz vorlegen sollte, dazu sieht Kramme keine Notwendigkeit. Sollte der EU-Richtlinienentwurf aber verabschiedet werden, so wäre eine Gesetzesänderung in Österreich vonnöten, erläuterte der Professor für das Recht der Technik, Mobilität und Nachhaltigkeit.
Kramme setzt sich mit der deutschen Gesetzgebung und dem EU-Richtlinien-Entwurf wissenschaftlich auseinander. Das deutsche Gesetz, das Anfang 2023 in Kraft treten soll, verpflichtet Unternehmen ab einer Größe von 3.000 (ab 2024 1.000) Mitarbeitern dazu, bestimmte Maßnahmen einzuhalten, die es erleichtern sollen, Missstände entlang der Lieferkette zu entdecken und frühzeitig gegenzusteuern.
Unternehmen auch bei Zulieferern in der Pflicht
Im Februar 2022 legte die EU-Kommission einen Richtlinienentwurf für ein Lieferkettengesetz vor. Sofern die Richtlinie verabschiedet wird, sind alle Mitgliedstaaten, also auch Österreich, zur Umsetzung in das nationale Recht verpflichtet. Die EU-Regel soll nicht nur für eine fairere Globalisierung, sondern auch für europäische Wettbewerbsgleichheit sorgen.
Das Ziel: Unternehmen sollen nicht mehr lediglich für die Arbeitsbedingungen hierzulande verantwortlich gemacht werden, sondern auch für die Arbeitsbedingen ihrer Zulieferer. Am 11. September 2012 waren 260 Menschen bei einem Brand in einer pakistanischen Jeansfabrik, in der auch der deutsche Textildiskonter KiK produzieren ließ, ums Leben gekommen, weil Sicherheitsstandards und Brandschutz nicht eingehalten wurden. Für Kramme war dieser Vorfall die "Initialzündung" für geplante Lieferkettengesetze. Nach dem Unglück wies KiK jegliche rechtliche Verantwortung zurück. Erst nachdem sich eine Menschenrechtsorganisation für die Opfer einsetzte, kam es zu einer Schadenersatzzahlung von fünf Mio. Euro. Ein gerichtliches Verfahren wurde wegen Verjährung eingestellt. "Ein Paradefall dessen, was man versucht, unwahrscheinlicher werden zu lassen", kommentierte Kramme.
Doch diese Bemühungen in Gesetze zu gießen, sei "ein langer, steiniger Weg". Zum einen seien Lieferketten gerade für komplexe Produkte - etwa Smartphones - oft "unheimlich breit und tief" und somit schwer zu überblicken und kontrollieren. Zum anderen seien Zulieferer für Unternehmen unterschiedlich bedeutsam, wodurch sich auch das Einflussvermögen verändere. Dass das deutsche Gesetz Sanktionen nur für Verstöße direkter Zulieferer vorsieht, beurteilte Kramme kritisch.
NGOS kritisieren Schlupflöcher
Wenig begeistert vom EU-Richtlinienentwurf äußerten sich bisher hiesige Wirtschaftsverbände. So warnte die Industriellenvereinigung (IV) im Februar vor einem drohenden "Bürokratiemonster", das vor allem kleinere und mittlere Unternehmen überfordern könnte.
NGOs wie Fairtrade und das Netzwerk Soziale Verantwortung, sowie die Arbeiterkammer (AK) und der Österreichische Gewerkschaftsbund (ÖGB) begrüßten indes die Initiative grundsätzlich, kritisierten jedoch Schlupflöcher. Ferner bestehe "Nachbesserungsbedarf" im Fristenlauf. Noch sei etwa unklar, wie lange die Diskussion zwischen EU-Parlament und EU-Mitgliedsländern bis zum endgültigen Beschluss der EU-Richtlinie dauert. Danach seien noch zwei bis vier Jahre Übergangsfrist vorgesehen, so die Organisationen.
Dass die Ankündigung der geplanten Gesetze noch nicht zum Umdenken im großen Stil geführt hatte, zeigte indes ein kürzlich durch die Menschenrechtsorganisation Südwind veröffentlichter Bericht. Eine Untersuchung von zehn Unternehmen der Schuh- und Lederwarenindustrie zeuge von "Intransparenz und Unwillen beim Menschenrechtsschutz", hieß es darin. Fünf der zehn befragten Firmen hätten Auskünfte über ihre Lieferketten verweigert. Die Unternehmen würden zwar angesichts des angekündigten EU-Lieferkettengesetzes mit einer Strategieentwicklung beginnen und sich auf eine Risiko-Analyse vorbereiten. Gleichzeitig fehle es aber weitgehend an einer "wirkungsorientierten Umsetzung und an nachvollziehbarer Berichtslegung über Beschwerden sowie der Beseitigung von Missständen". "Der Bericht zeigt einmal mehr die großen Lücken der freiwilligen Selbstverantwortung von Unternehmen auf", erklärte Lieferketten-Expertin Gertrude Klaffenböck von Südwind. Die Hoffnung: Ein klarer Rechtsrahmen in Form eines strengen Lieferkettengesetzes könne Abhilfe schaffen.
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