Flüchtende oft nur als Opfer gesehen und kaum unterstützt
Der Ukraine-Krieg hat vor allem Frauen und Kinder massenweise zu Flüchtlingen gemacht. Während sich bei früheren Fluchtbewegungen die Hilfsbereitschaft hierzulande oft in Grenzen gehalten hat, erscheint die Stimmung nun deutlich positiver. Die Forscherin Madita Standke-Erdmann plädiert dafür, Frauen und Kinder auf der Flucht nicht nur in der Opferrolle wahrzunehmen und von staatlicher Seite die vielfach zurückgefahrenen Unterstützungsstrukturen nachhaltig auszubauen.
Gerade Frauen und Kinder machen auf der Flucht und in der Folge auch in den Zielländern oft Erfahrungen mit Gewalt. Wie sich die Diskussionen über diese Gefahren in den Medien und in politischen Debatten in verschiedenen Ländern niederschlagen, untersuchen Politikwissenschafterinnen der Universität Wien als Teil eines internationalen Forschungsverbundes.
Als Fluchtgrund ist genderbasierte Gewalt auch in Österreich anerkannt, heißt es in einer Aussendung des Wissenschaftsfonds FWF, der das Forschungsprojekt unterstützt. "Grundsätzlich sollte man festhalten, dass man in der Forschung immer noch relativ wenig über dieses Thema weiß", sagte Standke-Erdmann vom Institut für Politikwissenschaft der Uni Wien zur APA. Schon alleine das Herausgerissen-Werden aus den Lebensumständen ist ein äußerst gewaltvolles Erlebnis. Für Frauen oder Menschen aus der LGBTIQ-Community sind die Gefahren auf und nach der Flucht mannigfaltig.
Stärke werde Flüchtenden "indirekt abgesprochen"
"Wir haben immer noch ein sehr körperliches Verständnis von Gewalt", so die Wissenschafterin. Bei Frauen und Mädchen werde daher stark auf Anzeichen von Vergewaltigungen geachtet. Aber auch der sogenannte "transactional sex", also das Einfordern von Sex gegen eine wie auch immer geartete Unterstützung bei der Flucht und Migration, etwa durch Schlepper oder auch Grenzoffizielle, sei ein großes Thema. Das führe aber vielfach dazu, dass Frauen und Kinder sehr stark als "Opfer" angesehen werden. Vergessen werde dagegen oft, wie viel Handlungsstärke, Initiative, Durchsetzungsfähigkeit und Kraft sie unter widrigsten Umständen an den Tag legen.
In der Berichterstattung und in politischen Diskussionen werde ihnen dies oft "indirekt abgesprochen", so Standke-Erdmann. Seit 2015 würde das Thema Gewalt an Frauen bei Flucht und Migration sehr verengt angesprochen. Auch im parlamentarischen Diskurs gehe es oft um Gewalt-Erscheinungsformen, die als "nicht-europäisch oder nicht-westlich" kulturell geprägt vor allem von rechtspopulistischen oder nationalistischen Kreisen aufgegriffen werden - so etwa Themen wie unterentwickelte Frauenrechte, Zwangsheirat oder Genitalverstümmelung.
Letztlich versuche man hier eine Abgrenzung zwischen der europäischen Gesellschaft und "den Anderen", so die Wissenschafterin, die auch zahlreiche Interviews mit Personen in Unterstützungseinrichtungen geführt hat. Damit wird in der Folge auch für eine restriktivere Migrationspolitik Stimmung gemacht, wie sich in Österreich in den vergangenen Jahren augenscheinlich gezeigt hat. Gewalt gegen Frauen eigne sich entsprechend gut zur politischen und medialen Stimmungsmache.
Die Fluchtbewegungen um das Jahr 2015 hatten "ein sehr männliches Gesicht" in der bildlichen Darstellung und der politischen Einordnung. Damit einher ging der Generalverdacht des "Wirtschaftsflüchtlings" in Bezug auf die vielen jüngeren Männer, die ankamen. Frauen seien in der Berichterstattung weniger repräsentiert gewesen. Auch nach der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan war die Stimmung vielerorts klar gegen die Aufnahme von Flüchtlingen - auch wenn es etwa um gefährdete Juristinnen oder Journalistinnen ging.
Nicht nur Opfer, sondern auch Helfer
Die aktuelle Fluchtbewegung wird vielfach ganz anders gesehen und dargestellt: Einerseits sind da die ukrainischen Männer als heldenhafte Landesverteidiger und andererseits die flüchtenden Frauen und Kinder. Man sollte hier auf eine "differenzierte Berichterstattung" achten, und Frauen nicht nur als "humanitäre Opfer", sondern auch in anderen Rollen sehen, die sie etwa auch als Soldatinnen oder Helferinnen im eigenen Land spielen.
Die Solidarität mit der Ukraine und die Offenheit für eine Aufnahme vor allem von Frauen und Kindern ist bisher merklich höher als bei früheren Bewegungen aus dem Nahen Osten, Afrika oder aus Afghanistan. Trotzdem dürfe man nach rund eineinhalb Wochen Ukraine-Krieg nicht vergessen, dass etwa auf griechischen Inseln auch weiter Flüchtlinge anlanden. Die dortige Situation rücke aber nun sehr stark ins mediale Abseits.
Dass das nun anlaufende staatliche Engagement zur Versorgung der Geflüchteten auch längerfristig anhält, sei zu wünschen, betonte Standke-Erdmann. Bei früheren Fluchtbewegungen wurde bekanntlich viel der Zivilgesellschaft überlassen und öffentlich finanzierte Initiativen seitens der Politik mitunter stark zurückgefahren. "Es gibt vor allem in Österreich mehr Bedarf an Unterstützungsstrukturen für Geflüchtete", so die Forscherin.
Service: Informationen zum Forschungsprojekt: https://inex.univie.ac.at/research/gbv-mig/