Missbrauch in Tiroler Heimen: Unstimmigkeiten um Forschungsarbeit
Die wissenschaftliche Aufarbeitung zu Gewalt in konfessionellen Heimen in Tirol nach 1945 hat zu Unstimmigkeiten zwischen Innsbrucks Diözesanbischof Hermann Glettler und den damit beauftragten Forschern geführt. Glettler stellte die wissenschaftliche Qualität infrage, berichtete die "Tiroler Tageszeitung". Er sah in dem Forschungsbericht eine "Fixiertheit auf wenige Aussagen", die dem Gesamtblick nicht dienlich sei. Die Forschenden wiesen die Vorwürfe vehement zurück.
In einem Vorwort zu der nun in Buchform erscheinenden Studie namens "Demut lernen" formulierte Glettler seine Kritik. Als Beispiel nannte er Berichte von zwei Zeugen des Salesianerklosters in Hall. Nur zwei Erfahrungen würden kein Gesamtbild ergeben. "Und wenn in einem konkreten Fall Aussage gegen Aussage steht, kann es nicht sein, dass der Inhalt einer massiven Beschuldigung als historisches Faktum ausgegeben wird", sagte der Geistliche. Er meinte außerdem, dass die Studie zu schnell gemacht worden sei. Später sei noch Material aufgetaucht, das ein anderes Bild ergäbe.
Es sei auch jenen Fairness und größtmögliche Objektivität geschuldet, die sich "unter schwierigsten Bedingungen um eine angemessene Betreuung der ihnen anvertrauten jungen Menschen bemüht hätten", hieß es in der "TT". Ihn würden die Berichte in den Heimen aber erschüttern, betonte der Bischof. Er sprach von einem weit in das Fürsorgesystem der Nachkriegszeit hineinreichenden Totalversagen.
Vorwürfe zeugen für Historiker von "mangelndem Methodikverständnis"
Eine Gruppe von Zeithistorikerinnen und Zeithistorikern hatte für den 2022 veröffentlichten und 400 Seiten starken Forschungsbericht verantwortlich gezeichnet. Ina Friedmann und Friedrich Stepanek führten unter der Projektleitung von Dekan Dirk Rupnow 75 Interviews betreffend sieben Tiroler Einrichtungen. Zudem wurde eine wissenschaftliche Dreierkommission hinzugezogen.
Rupnow wies die Vorwürfe Glettlers nun entschieden zurück. Diese würden "jeglicher wissenschaftlichen Grundlage entbehren und von mangelndem Methodikverständnis sowie der Nichterkenntnis oder zumindest Nichtbeachtung des aktuellen Forschungsstandes zu diesem Thema zeugen". Dass Opfer ernst genommen werden, sei Standard.
Missbrauchsvorwürfe in Martinsbühel als Ausgangspunkt
Der Forschungsbericht ist Teil der Aufarbeitung der Missbrauchsvorwürfe rund um das mittlerweile geschlossene Mädchenheim Martinsbühel. Dieses war keine Fürsorgeeinrichtung des Landes, es wurden aber vom Land Mädchen dorthin zugewiesen. Geführt wurde das Mädchenheim bis 2008 von den Benediktinerinnen. Nach Bekanntwerden der Missbrauchsvorwürfe im Jahr 2010 hatten sich rund 100 ehemalige Heimkinder an die Ombudsstelle der Diözese Innsbruck gewandt.
Das Land richtete schließlich eine unabhängige Entschädigungskommission ein. Zusammen mit der Diözese setzte man eine Dreierkommission ein, die wiederum das Forschungsprojekt ins Leben gerufen hatte. Bei der Erstellung des Forschungsberichts stießen die Autoren allerdings auf Hürden, so war etwa die Aktenlage im Tiroler Landesarchiv sehr dürftig. Obwohl Land und Diözese Auftraggeber des Berichts seien, heiße dies nicht, "dass all ihre Einrichtungen die Forschungsarbeiten unterstützten. Deutlich spürbar war die Sorge, durch Kooperation letztlich in schlechtem Licht präsentiert zu werden", war bei Vorliegen des Berichts im Dezember 2022 erklärt worden. So sei etwa laut Kommission auch die Kooperation mit den Ordensschwestern, die in Martinsbühel gearbeitet hatten, sehr schwierig gewesen.
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