Gesundheitsexperte: Antibiotikaverbrauch sollte verringert werden
In Österreich sterben jährlich rund 275 Menschen, weil die Bakterien, die sie krank machen, nicht mit Antibiotika umzubringen sind. In Europa passiert dies 33.100 Menschen, weltweit 1,27 Millionen. Solche Bakterien haben Resistenzen gegen die Wirkstoffe entwickelt oder von anderen Bakterien übernommen. Mediziner und Forscher machen mit dem "Europäischen Antibiotikatag" (18. November) auf das Problem aufmerksam und werben unter anderem für einen bedachteren Antibiotikaverbrauch, weil sonst Resistenzen weiter gefördert werden.
"Es ist erfreulich, dass Österreich zu den Niedrigverbrauchern im internationalen Vergleich zählt", sagt Burkhard Springer, der das Institut für medizinische Mikrobiologie und Hygiene der österreichischen Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES) in Graz leitet. Der Antibiotikaverbrauch in der Humanmedizin ist im Vorjahr allerdings gestiegen. "2022 war ein Jahr mit vielen Infektionen im Winter", erklärt er: "Allerdings handelte es sich dabei vor allem um virale Infektionen wie Entzündungen im oberen Atemwegsbereich." Das bedeutet, dass Antibiotika zum Teil eingesetzt wurden, wo sie gar nicht sinnvoll sind. Sie können nämlich Bakterien am Wachsen hemmen und töten, richten aber gegen Viren nichts aus. "In den Krankenhäusern war der Verbrauch nicht höher, der Anstieg ist allein auf den niedergelassenen Bereich zurückzuführen", so der Mediziner.
Jedes Mal, wenn Antibiotika zum Einsatz kommen, können sich resistente Bakterien vermehren, da sie die Einzigen sind, die unter diesen Umständen überleben und wachsen können. Deshalb ist es entscheidend, diese Medikamente richtig einzunehmen und die Anweisungen der Ärzte genau zu befolgen. "Zum Teil ist es ein Problem, dass die Menschen mit einer starken Erkältungserkrankung zum Arzt gehen und die Erwartung haben, dass sie Antibiotika verschrieben bekommen", erklärt Springer: "Wenn dies bei einem Arzt nicht klappt, besteht natürlich die Möglichkeit, zum nächsten zu gehen."
Wissen über Antibiotika schwach ausgeprägt
Das Wissen in der Bevölkerung über die Wirksamkeit von Antibiotika sei hierzulande nicht besonders ausgeprägt: Laut Risikobarometer-Umfrage der AGES glauben 40 Prozent der Menschen in Österreich, dass Antibiotika auch gegen Viren wirken. "Dementsprechend erwarten diese Erkrankten, dass sie Antibiotika bekommen, wenn sie eine Erkältung oder Grippe haben", erklärt er. Solche viralen Infekte sollte man aber ohne Antibiotika auskurieren. "Es ist offensichtlich auch nicht ein Hauptthema in der Schulbildung, wie Antibiotika wirken", sagt Springer: "Wir sehen insbesondere bei der jungen Generation Wissensdefizite." Bei den "Youngstern" zwischen 16 und 24 Jahren glaubt nämlich sogar rund die Hälfte, dass Antibiotika gegen Viren helfen.
In den vergangenen Jahren haben sich trotzdem die Resistenzraten stabilisiert und steigen nicht mehr so wie früher, wenn auch teils auf sehr hohem Niveau, berichtet der Experte. Beim gefürchteten Krankenhauskeim MRSA (Methicillin-resistenter Staphylococcus aureus) gibt es sogar fallende Resistenzraten. Das sei vor allem auf rigide Hygiene und Prävention in den Krankenhäusern zurückzuführen.
Forscher und Pharmafirmen entwickeln zwar ständig neue Antibiotika gegen solche Bakterien. "Wir müssen uns aber klar sein, dass es immer nur eine Frage der Zeit ist, wann auch dagegen Resistenzen entstehen", so Springer: "Wir brauchen diese neuen Antibiotika unbedingt, aber es ist vermessen zu glauben, den Kampf gegen die krankmachenden Bakterien damit zu gewinnen." Durch ihre kurze Generationszeit von minimal 20 Minuten läuft bei den Mikroben die Evolution deutlich schneller ab als etwa beim Menschen. "Sie passen sich also relativ schnell an neue Bedingungen an", erklärt der Mediziner. An je mehr Antibiotika sie sich gewöhnt haben, umso weniger Therapieoptionen stehen zur Verfügung. Demnach ist es essenziell, Antibiotika nur dann einzusetzen, wenn sie tatsächlich etwas bewirken können.
Resistenzentwicklung genau überwachen
Dafür muss man bei niedergelassenen Ärzten und Patienten mehr Bewusstsein und Wissen um das Problem schaffen, meint der Fachmann. "Es ist aber auch wichtig, die Resistenzentwicklung genau zu überwachen." Denn nur wenn man die Daten zu den Resistenzen sammelt und auswertet, könne man beurteilen, ob Interventionen und Gegenmaßnahmen überhaupt helfen.
In der Tiermedizin werden oft die gleichen Inhaltsstoffe wie in der Humanmedizin verwendet, für Menschen bedenkliche Antibiotikaresistenzen können insbesondere bei den Zoonosen entstehen, erklärt Springer. Diese Erreger können von Tieren auf den Menschen und umgekehrt übertragen werden. Bei anderen Bakterien ist der Mensch das einzige Opfer der Bakterien. "Hier fällt es mir schwer, der Tiermedizin irgendeinen Vorwurf zu machen", so der Mediziner: "Auch wenn Menschen und andere Tiere teils ihre Mikroben austauschen, muss man sagen, dass die Hauptverantwortung für die Resistenzen in der Humanmedizin die Humanmedizin trägt und für die Veterinärmedizin gilt das genauso." Insgesamt müsse man in beiden Bereichen dagegen handeln.
In manchen Ländern wie Georgien machen die Mediziner gegen krankmachende Bakterien auch Bakteriophagen mobil, was soviel wie "Bakterienfresser" bedeutet. In Wirklichkeit verzehren sie diese aber nicht, sondern sind Viren, die Bakterien befallen und töten können. "Sie wurden dort zum Beispiel bei Entzündungen von Brandverletzungen erfolgreich eingesetzt", berichtet Springer: "Aber auch gegen Bakteriophagen entstehen Resistenzen und es gibt schon Bakterienstämme, die eben nicht mehr auf diese Therapie reagieren."
Impfung kann Resistenzbildung einschränken
Nicht vergessen dürfe man, dass Impfungen ein probates Mittel gegen die Resistenzbildung sind, meint er: "Jede Impfung, die eine Infektion verhindert, verhindert auch, dass bei einer Therapie Antibiotika eingesetzt werden und Resistenzen entstehen können."
Bei Antibiotika ist der Spruch "Wenn es schon nicht hilft, schadet es wenigstens nicht" nicht nur bezüglich der Resistenzbildung falsch, erklärt der Mediziner. Im Körper eines Erwachsenen, der aus etwa 30 Billionen menschlichen Zellen besteht, leben rund 38 Billionen Bakterien. Viele davon sind für die Gesundheit unerlässlich: Sie helfen bei der Verdauung und verhindern, dass sich krankmachende Mikroben breitmachen. "Viele Leute, die Antibiotika nehmen, bekommen anschließend Durchfallerkrankungen", berichtet Springer: "Das liegt daran, dass auch wichtige Darmbakterien zerstört werden." Man sollte sich bewusst machen, dass man etwa auf eine gesunde Haut- und Darmflora angewiesen ist, um gesund zu bleiben.
Wenn man tatsächlich eine bakterielle Infektion hat und vom Arzt Antibiotika verschrieben wurden, dürfe man die Tabletten nur so lange nehmen, wie sie verschrieben wurden, und die Packung nicht "leeressen", so der Experte: "In Europa gibt es standardisierte Packungen, wo meist mehr Tabletten drinnen sind, als man nehmen soll." Keinesfalls sollten in der Packung verbliebene Tabletten bei einer späteren Infektion oder gar von anderen Familienmitgliedern genommen werden. "Es kann nur eine behandelnde Ärztin oder ein Arzt beurteilen, welches Antibiotikum bei welcher Infektion wirkt", erklärt er. Von Selbstmedikation sei dringend abzuraten.
Service: AGES-Übersicht zu Antibiotika & Resistenzen; Risikobarometer zu Antibiotikaresistenzen; Symposium anlässlich des "Europäischen Antibiotikatags"
(Diese Meldung ist Teil einer Medienkooperation mit der AGES)
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