Nobelpreis: Ferenc Krausz ermöglicht den Blick in den Augenblick
Jeder Hobbyfotograf weiß: Ein Rennauto bei Höchstgeschwindigkeit zu fotografieren, erfordert eine kurze Belichtungszeit, sonst wird das Bild unscharf. Vor dem gleichen Problem standen Forscher, die sich für das Verhalten flinker Elektronen interessierten. Ihnen hat der diesjährige Physik-Nobelpreisträger Ferenc Krausz mit Attosekunden-Laserpulsen die schnellste Messtechnik der Welt in die Hand gegeben, um selbst Vorgänge zu verfolgen, die lange als augenblicklich galten.
Für die Untersuchung schneller Prozesse gibt es einen Grundsatz: Jede Messung muss schneller erfolgen als die Zeit, die das zu untersuchende System braucht, um sich merkbar zu verändern - andernfalls ist das Ergebnis ungenau.
Das gilt auch für die Vorgänge in den kleinsten Bausteinen der Welt: Um die Bewegung der Atome in Molekülen zu untersuchen, werden ultrakurze Laserlichtblitze - die Wissenschafter sprechen von Lichtpulsen - benötigt, die nur Millionstel Milliardstel Sekunden (Femtosekunden) dauern. Damit lässt sich bereits seit Jahrzehnten das von den großen und schweren Kernen dominierte Verhalten der Atome gut beobachten.
Noch interessanter ist es allerdings, den Elektronen zuzusehen, bestimmt doch deren Verhalten etwa, wie chemische Reaktionen ablaufen. Doch Elektronen sind extrem leicht und flink - und bis in die 1980er Jahre dachte man, dass es nicht möglich ist, die zu ihrer Beobachtung notwendigen kurzen Lichtpulse mit einer Dauer von nur einer Trillionstel Sekunde, also Milliardstel einer Milliardstel Sekunde (Attosekunde), zu erzeugen.
Denn ein solcher Puls wäre kürzer als die Zeit, die das sichtbare Licht für eine einzige Schwingung, also ein Wellenberg und ein Wellental, benötigt. Um die Kürze einer Attosekunde zu veranschaulichen, dient ein Vergleich: In einer Sekunde stecken so viele Attosekunden, wie Sekunden seit dem Urknall vor 13,8 Mrd. Jahren vergangen sind - nämlich jeweils eine Trillion.
Neues "Fenster" geöffnet
Hier kommen die diesjährigen Physik-Nobelpreisträger Anne L'Huillier, Pierre Agostini und Ferenc Krausz ins Spiel. Sie erhalten die Auszeichnung "für experimentelle Methoden zur Erzeugung von Attosekunden-Lichtpulsen zur Untersuchung der Dynamik von Elektronen in der Materie". Mit ihrer Arbeit hätten sie ein Fenster geöffnet, "um Phänomene zu erforschen, die zuvor unmöglich zu beobachten waren", betonte das Nobelpreis-Komitee.
Das erste Stück dieses Fensters hat die französische Physikerin Anne L'Huillier mit einer Beobachtung am Forschungszentrum Paris-Saclay in den 1980er Jahren aufgemacht: Wenn intensives Laserlicht im Infrarot-Bereich ein Edelgas durchdringt, entstehen sogenannte "Harmonische", also Oberschwingungen mit einem ganzzahligen Vielfachen der eingestrahlten Grundfrequenz - ähnlich wie schwingende Saiten einer Gitarre oder eines Klaviers Obertöne produzieren.
Die mittlerweile an der Universität Lund (Schweden) arbeitende Wissenschafterin versuchte in den folgenden Jahren mit ihrem Team, dieses Phänomen theoretisch zu verstehen. Sie zeigten, dass die Wechselwirkung zwischen dem Laserlicht und den Gasatomen diese Oberschwingungen verursacht.
Dabei entreißt ein ausreichend intensiver Laserpuls einzelnen Gasatomen ein Elektron und beschleunigt es. Nach einer kurzen Distanz wird das Elektron dann wieder von seinem Atom eingefangen und setzt dabei seine durch die Beschleunigung erlangte überschüssige Energie in Form von Licht frei. Und dieses Licht besitzt viel höhere Energie als das Licht des ursprünglichen Infrarot-Lasers - seine Wellenlänge liegt im Ultraviolett- bis zum Röntgenbereich.
Weiterentwicklung von Titan-Saphir-Lasern
Diese Oberschwingungen überlagern sich, löschen sich aus und verstärken sich. Unter idealen Bedingungen entstehen so Lichtpulse, die nur einige hundert Attosekunden dauern. Bis man deren Dauer tatsächlich messen konnte, dauerte es aber noch einige Jahre.
Pierre Agostini, mittlerweile an der Ohio State University (USA) tätig, konnte 2001 am Forschungszentrum Paris-Saclay mit seinem Team erstmals auf diese Art und Weise eine Reihe aufeinanderfolgender Lichtpulse erzeugen und untersuchen. Das Nobelpreis-Komitee verglich diese Serie von Lichtpulsen mit aneinandergekoppelten Waggons eine Zuges, wobei jeder Puls nur 250 Attosekunden lang war.
Ferenc Krausz gelang es im selben Jahr mit seiner Arbeitsgruppe an der Technischen Universität (TU) Wien erstmals, einen solchen Waggon vom Zug abzukoppeln und auf ein eigenes Gleis zu führen: Sie konnten mit einer speziellen Technik einzelne, isolierte Lichtpulse mit einer Dauer von jeweils 650 Attosekunden erzeugen und veröffentlichten ihr Ergebnis im Fachjournal "Nature" unter dem schlichten Titel "Attosecond metrology" (Attosekunden-Metrologie; https://doi.org/10.1038/35107000).
Die Grundlagen dafür legte Krausz in den Jahren davor mit der Weiterentwicklung von Titan-Saphir-Lasern, "das Arbeitspferd der Ultrakurzzeit-Puls-Community", wie der Leiter des Instituts für Photonik der TU Wien, Karl Unterrainer, gegenüber der APA erklärte. Krausz entwickelte die sogenannte "Chirped-Mirror-Technologie", die es ermöglichte, die infraroten Laserpulse, mit denen das Edelgas bestrahlt wurde, auf vier Femtosekunden zu verkürzen.
Fragen beantwortet, die zuvor nicht beantwortet werden konnten
"Die demonstrierten experimentellen Werkzeuge und Techniken öffnen die Tür zur Attosekundenspektroskopie gebundener Elektronen", schrieben Krausz und seine Mitautoren in der Publikation von 2001 - und das sah auch das Nobelpreis-Komitee 22 Jahre später so: "Die Eröffnung eines neuen Zeitfensters ermöglichte die Beantwortung von Fragen, die zuvor nicht beantwortet werden konnten."
Als Beispiel nannte das Nobel-Gremium den photoelektrischen Effekt, den Albert Einstein 1905 erstmals erklärte und wofür er 1921 den Nobelpreis erhielt. Demnach kann Licht Elektronen aus einer Metalloberfläche schlagen - wobei niemand sagen konnte, wieviel Zeit zwischen dem Auftreffen des Lichtteilchens und der Freisetzung des Elektrons vergeht. Lange nahm man an, dass dies augenblicklich erfolgt.
Krausz - damals bereits seit 2004 am Max-Planck-Institut für Quantenoptik in Garching tätig - gelang mit Hilfe der Attosekundenpulse ein Blick in diesen Augenblick. Und er wies 2010 im Fachjournal "Science" nach, dass dieser Vorgang doch nicht instantan erfolgt und die Dauer der Freisetzung vom jeweiligen Energieniveau des Elektrons abhängt.
Es ist dies nur eines von unzähligen Beispielen, bei denen ultrakurze Lichtblitze zur Untersuchung der Bewegungen von Elektronen in Echtzeit eingesetzt werden, womit die Analyse verschiedener Prozesse und Vorgänge in der Materie möglich wird. Mittlerweile liegt der Rekord solch kurzer Lichtpulse bei wenigen Dutzend Attosekunden. Die Attosekundenphysik mache es nun möglich, "jene Mechanismen zu verstehen, die durch Elektronen gesteuert werden", sagte Eva Olsson, Vorsitzende des Nobelpreiskomitees für Physik.