Erstmals Quantenwirbel in paradoxem Materiezustand nachgewiesen
Supraflüssigkeiten zeichnen sich dadurch aus, dass sie ohne jegliche innere Reibung strömen können. Sie besitzen noch ein weiteres grundlegendes Merkmal: sogenannte Quantenwirbel. Solche Mini-Tornados wurden schon in verschiedenen Quantenflüssigkeiten beobachtet. Innsbrucker Physikerinnen und Physiker berichten nun im Fachblatt "Nature" über den ersten Nachweis quantisierter Wirbel in Suprafestkörpern, ein besonderer Zustand von Materie, der sowohl fest, als auch flüssig ist.
Kreisende Strömungen können sich in Flüssigkeiten bilden (z.B. ein Wasserstrudel), oder in Gasen (z.B. ein Tornado in der Atmosphäre). Solche Wirbel gibt es auch in der Quantenwelt, in der Teilchen bzw. Systeme aufgrund besonderer Bedingungen sich nicht mehr nach den Gesetzen der aus dem Alltag vertrauten klassischen Physik verhalten, sondern nach den Regeln der Quantenphysik. So hat man quantisierte Wirbel bereits in flüssigem Helium und in Supraleitern nachgewiesen, und selbst in den Kernen von rotierenden Neutronensternen werden sie vermutet.
In Suprafestkörpern (Suprasolids) konnte diese spezielle Rotation bisher noch nicht nachgewiesen werden. Die Existenz solcher Suprasolids wurde bereits in den 1950er-Jahren theoretisch vorhergesagt. In diesem paradoxen Zustand sind die Teilchen wie in einem Kristall zwar regelmäßig angeordnet, bewegen sich aber trotzdem ohne jegliche innere Reibung wie in einer Supraflüssigkeit.
Erst 2019 gelang es Francesca Ferlaino vom Institut für Experimentalphysik der Universität Innsbruck und dem Institut für Quantenoptik und Quanteninformation (IQOQI) der Akademie der Wissenschaften (ÖAW) und zwei anderen Gruppen unabhängig voneinander, einen solchen quantenmechanischen Materiezustand zu erzeugen. Dabei bilden Quantengase aus stark magnetischen Atomen bei einer Temperatur nahe dem absoluten Nullpunkt (minus 273 Grad Celsius) gleichzeitig einen Kristall und eine suprafluide Flüssigkeit.
Während man die kristalline Anordnung der Atome eines Suprafestkörpers direkt beobachten kann, sind seine supraflüssigen Eigenschaften viel schwerer zu fassen. So fehlte eben bisher der Nachweis eines der entscheidenden Merkmale von Suprafluidität in Suprasolids: die quantisierten Wirbel.
Durch Kombination theoretischer Modelle und aufwendiger experimenteller Methoden ist es dem Team um Ferlaino nun erstmals gelungen, solche Quantenwirbel in Suprasolids zu erzeugen und zu beobachten. Dafür mussten sie zunächst den aus ultrakalten Dysprosiumatomen bestehenden Suprafestkörper von der bisher eindimensionalen kristallinen Anordnung dazu bringen, ein zweidimensionales Kristallgitter zu formen, ohne die supraflüssigen Eigenschaften zu verlieren. Diesen zweidimensionalen Suprafestkörper konnten sie mit Hilfe von Magnetfeldern vorsichtig in Rotation versetzen, ohne den fragilen suprasoliden Zustand zu zerstören. Dieses "Umrühren" führte schließlich zur Bildung von Quantenwirbel.
Ferlaino sieht in dieser Arbeit einen "wichtigen Schritt zum Verständnis des einzigartigen Verhaltens von Suprafestkörpern und ihrer potenziellen Anwendungen im Bereich der Quantenmaterie". Schließlich würden die Ergebnisse die Tür zur Untersuchung hydrodynamischer Eigenschaften spezieller exotischer Quantensysteme öffnen.
Ferlainos Kollege Thomas Bland, der den Theorieteil des Projekts geleitet hat, verweist etwa auf Neutronensterne. Änderungen von deren Rotationsgeschwindigkeit könnten durch Quantenwirbel in ihrem Inneren verursacht werden. "Unsere Plattform bietet die Möglichkeit, solche Phänomene direkt hier auf der Erde zu simulieren", so Bland in einer Aussendung.
Service: http://dx.doi.org/10.1038/s41586-024-08149-7