Rückschlag für "Anthropozän" als neues Erdzeitalter
Angesichts des Einflusses, den die Menschheit auf die Erde ausübt, bemüht sich eine Expertengruppe seit längerem darum, das aktuelle Erdzeitalter als "Anthropozän" zu bezeichnen. Die offizielle Anerkennung des "Menschenzeitalters" als neue erdgeschichtliche Epoche scheint nun aber erst einmal vom Tisch zu sein. Das zuständige Expertengremium, die sogenannte Subcommission on Quaternary Stratigraphy (SQS), hat gegen den Vorschlag gestimmt.
Das bestätigte der Experte Reinhold Leinfelder der Deutschen Presse-Agentur am Mittwoch. Wie auch der Geologe Michael Wagreich von der Universität Wien ist Leinfelder Mitglied der Arbeitsgruppe Anthropozän ("Anthropocene Working Group", AWG), die hinter dem Vorstoß steht, offiziell das Erdzeitalter des Menschen auszurufen. Gründe für die Ablehnung seien ihm nicht bekannt, sagte Leinfelder. Zunächst hatten andere Medien über die Abstimmung berichtet.
Geologen teilen die Erdgeschichte in verschiedene Zeitalter ein. Demnach leben wir derzeit im Holozän, das vor knapp 12.000 Jahren begann. Da die Menschheit aber zuletzt die Erde - unter anderem durch den Ausstoß von Treibhausgasen und die Zerstörung von Ökosystemen - massiv verändert hat, sehen Experten verschiedener Fachrichtungen das Zeitalter des Menschen angebrochen. Es gibt dazu aber kontroverse Diskussionen in der Fachwelt.
Der Begriff Anthropozän wird zwar bereits verwendet, um den immensen Einfluss der Menschheit auf die Erde zu betonen. Bisher ist die Epoche aber nicht nach geologischen Maßstäben definiert und offiziell anerkannt.
Dazu wären mehrere Schritte notwendig. Zunächst hätte die SQS zustimmen müssen, danach die Internationale Kommission für Stratigraphie (ICS) und schließlich das Exekutivkomitee der International Union of Geological Sciences (IUGS).
Seit 2000 Gegenstand von Diskussionen
Eingeführt hatte den Begriff Anthropozän der niederländische Meteorologe Paul Crutzen. Der Nobelpreisträger und frühere Direktor des Max-Planck-Instituts für Chemie in Mainz schlug den Begriff bei einer Konferenz im Jahr 2000 vor. Seitdem diskutieren Fachleute, ob die durch den Menschen verursachten globalen Veränderungen schon jetzt eine neue Etappe auf der geologischen Zeitskala rechtfertigen - und wie diese definiert sein könnte.
Die AWG äußerte sich in einer Mitteilung zurückhaltend zum Ergebnis der SQS-Abstimmung. So seien die Ergebnisse ohne die Genehmigung des SQS-Vorsitzenden veröffentlicht worden. Es blieben zudem Fragen in Bezug auf die Gültigkeit der Abstimmung und deren Begleitumstände.
Um das "geologische Anthropozän" proklamieren zu können, braucht es einen Ort, an dem sich der Mensch in Gesteinsschichten schon systematisch verewigt hat. Die AWG hat sich im vergangenen Jahr auf Crawford Lake in der kanadischen Provinz Ontario geeinigt. Zur Diskussion standen ursprünglich zwölf Vorschläge für einen solchen global gültigen Haupt-Referenzpunkt ("Golden Spike") für das Anthropozän. Mit im Rennen war auch der Wiener Karlsplatz. Dieser schied aber bereits in einer früheren Abstimmungsrunde unter den Experten aus.
Der Vorschlag basierte auf Proben, die an der Baustelle für die Neugestaltung des Wien Museums am Karlsplatz gemeinsam mit der Stadtarchäologie genommen wurden. In den dortigen Stadtsedimenten konnten u.a. Plutonium 239 und 240 von den Atombombentests zwischen 1950 und 1964 nachgewiesen werden. Anders als im Crawford Lake liegen am Karlsplatz die jährlichen Schichtungen aufgrund diverser Bauarbeiten nicht mehr ungestört übereinander "Wir haben dort zwar eine gute Abfolge", diese ist aber an anderen Orten kontinuierlicher gegeben, erklärte Wagreich, der seit längerem die "anthropozänen Wellen" im Untergrund der Hauptstadt untersucht, im vergangnen Juli der APA. Trotzdem bliebt der Karlsplatz einer der Referenzpunkte für das Anthropozän - so der Vorschlag doch noch angenommen wird.
Service: Anthropozän-Arbeitsgruppe: http://quaternary.stratigraphy.org/working-groups/anthropocene