Wie Religionsunterricht Zusammenleben fördern kann
Jeden Tag treffen wir Menschen unterschiedlicher Kulturen, Anschauungen, Religionen. Ein Team um die Religionspädagog:innen Wolfgang Weirer und Mevlida Mešanović hat christliche und islamische Pädagog:innen gemeinsam unterrichten lassen; daraus entstanden 12 Thesen für interreligiöse Bildung. Die positive auch internationale Resonanz zeigt, wie wichtig dieses Projekt für die Schulen und unsere pluralistische Gesellschaft ist.
„Religiöse Vielfalt erfahren Schülerinnen und Schüler im Alltag bei vielen Gelegenheiten. Aber im Religionsunterricht werden sie getrennt, obwohl sie gerne mehr über andere Religionen wissen wollen und unsere Gesellschaft sich in einer Situation zunehmender Pluralität befindet“, beschreibt Wolfgang Weirer vom Institut für Katechetik und Religionspädagogik der Universität Graz den Ausgangspunkt für das vom Wissenschaftsfonds FWF geförderte Projekt „Christlich-Islamischer Religionsunterricht im Teamteaching“.
Graz ist dafür der ideale Boden, denn innerhalb der österreichischen Religionspädagogik sind dort katholische, evangelische und islamische Forschende auf universitärer Ebene stark vernetzt. „Mir ist wichtig zu betonen, dass wir mit interreligiöser Bildung den konfessionellen Religionsunterricht nicht abschaffen wollen. Sondern islamische und katholische Religionslehrer:innen sollen für einige Stunden gemeinsam unterrichten“, betont Weirer. Seit 2012 gibt es in der christlichen Religionspädagogik Überlegungen zu interreligiöser Bildung, und die Erwartungen auf dieser Metaebene sind groß. Auf der anderen Seite sind an vielen Schulen Bottom-up-Projekte entstanden. Dazwischen tat sich eine Lücke auf, die den Anlass für diesen Projektantrag gab.
Viel Zuspruch und Engagement
Die islamische Religionspädagogin Mevlida Mešanović beschreibt, wie im Projekt mit wissenschaftlicher Begleitung vorgegangen wurde: „An fünf Schulen haben fünf islamisch-katholische Teams aus Lehrenden interreligiösen Unterricht im Teamteaching konzipiert und unterrichtet. Es waren jeweils drei bis fünf Unterrichtsstunden, wobei die Vorbereitungszeit viel größer war. Mich hat fasziniert, wie groß der Zuspruch von allen Seiten gewesen ist, vor allem von den Schüler:innen.“
Das bestätigt Teamkollege Weirer: „Der erste Höhepunkt war die Tatsache, dass das Teamteaching überhaupt ins Laufen kam. Fast alle haben gesagt: Das ist wichtig und wir möchten das unterstützen.“ Denn für ihr Projekt benötigten die Forschenden die Bereitschaft von Lehrkräften, die bereit waren, sich auf den zusätzlichen Aufwand einzulassen. Weiters brauchte es die Zustimmung von Schulleitung, Bildungsdirektion und Religionsgemeinschaften, denen das Projektziel ausführlich erklärt werden musste. Als zusätzliche Herausforderung kam Corona, was den Zugang zu den Schulen eine Zeit lang nicht erlaubte.
Das hätten wir gern öfter
Die Rückmeldungen der Schüler:innen zum interreligiösen Unterricht waren zu 100 Prozent positiv: vom Spaßfaktor über das Kennenlernen der eigenen und der anderen Religion bis zum Nachdenken über Werte und dem Erkennen, dass es viel Gemeinsames gibt. "Das hätten wir gern öfter", war der Tenor.
Der Fokus des Forschungsteams lag auf den Lehrpersonen: Wie geht es ihnen im Unterricht, welche Bedingungen sind förderlich und welche nicht. Für die Auswertung der umfangreichen Beobachtungen und Daten nahm man sich viel Zeit und achtete auf unterschiedliche Blickwinkel, denn die Majoritäts- und Minderheitenperspektive spielt eine Rolle, ist doch die katholische Religion in den meisten Schulen die dominierende. So unterrichten katholische Lehrkräfte an einer Schule im Rahmen des Stundenplans, während islamische Lehrkräfte auf bis zu 15 Schulen verteilt 30 Wochenstunden extra nachmittags unterrichten müssen.
12 Thesen für interreligiöses Teamteaching
Die Analyse brachte ambivalente Beobachtungen und daraus entstanden zwölf Empfehlungen, wie gemeinsamer Unterricht gelingen kann. An erster Stelle steht für Weirer das Vertrauensverhältnis: "Der Erfolg hängt von den beteiligten Lehrkräften ab, die müssen miteinander können. Das kann nicht verordnet werden, sondern braucht Zeit und gute Vorbereitung." Vielen Unterrichtenden war nicht bewusst, wie sehr sie Role-Models sind: Ihr Umgang mit der Team-Lehrkraft prägte das Verhalten der Schüler:innen. Schnell kamen sie zu binären Codierungen: "Wir machen das so, bei den anderen funktioniert das so" - das sollte vermieden werden. Oft wurden die Religionen nur aus wissenschaftlicher Sicht verglichen, während die Schüler:innen gerne über Alltagserfahrungen diskutiert hätten. Über Gemeinsamkeiten wurde mehr gesprochen, während Unterschiede nur kurz thematisiert wurden - hier seien Lernchancen verpasst worden. "Wichtig ist im Unterricht eine klare Struktur und Rollenverteilung: Wer kann welches Thema übernehmen. Vor allem soll nicht durcheinander gesprochen werden", empfiehlt Mešanović.
Für erfolgreiches interreligiöses Teamteaching braucht es außerdem in den Schulen eine Kooperation auf Augenhöhe, die aber oft nicht gegeben ist. Genauso fehlt eine Ausbildung der Pädagog:innen für interreligiöse kooperative Prozesse. Hochrelevant sind gesellschaftliche und politische Rahmenbedingungen und was in den (sozialen) Medien passiert.
Forschung auch international relevant
Das Interesse ist groß, auch von internationaler Seite. Die Veröffentlichung des Projektberichts in Religion, dem größten Open-Access-Fachjournal zu Theologie, bestätigte, dass das Projekt über den deutschen Sprachraum hinaus relevant ist. "Wir sind auch stolz auf unser Buch: Christlich-Islamischer Religionsunterricht im Teamteaching. Diesen Sammelband mit fokussierten Projektergebnissen und den 12 Thesen möchten wir so bald wie möglich in englischer Sprache publizieren", ergänzt Mešanović. Außerdem sind aus dem Projekt fünf Dissertationen hervorgegangen und im Peer-Review-Verfahren veröffentlicht worden. Ebenso erhielten Mitglieder des Projektteams insgesamt vier Auszeichnungen, unter anderem den Josef-Krainer-Preis sowie einen Preis des Integrationsfonds.
Interesse an Folgeprojekten
Aus dem Projekt entstand schließlich die Idee zum Workshop "Inter", berichtet Mevlida Mešanović: "Als Ergänzung zum Religionsunterricht bietet ein katholisch-islamisches Team einen Halbtagsworkshop zum Thema religiöse Vielfalt für die ganze Klasse. Die Nachfrage der Schulen ist riesig. 60 Workshops haben wir bereits gehalten und 14 weitere sind heuer schon vereinbart."
Nach Ende des FWF-Projekts kam die Evangelische Kirche auf das Projektteam zu und in einer Schule wurde ein erstes Teamteaching gestartet, weitere sollen folgen.
Der Bedarf ist da und Wolfgang Weirer resümiert: "Der konfessionelle Religionsunterricht soll bestehen bleiben, denn er ist die Grundlage für interreligiöse Lernprozesse. Dazu wünschen würde ich mir in bestimmten Phasen eine verbindliche Kooperation der katholischen, evangelischen, islamischen und orthodoxen Religionsunterrichte und des Ethikunterrichts. Denn solche Begegnungen ermöglichen wechselseitiges Verständnis und Toleranz."
Zu den Personen
Wolfgang Weirer leitet das Institut für Katechetik und Religionspädagogik an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Graz; dort forscht er zu Grundfragen religiöser Bildung sowie zur Weiterentwicklung des konfessionellen Religionsunterrichts.
Mevlida Mešanović ist islamische Religionspädagogin mit den Forschungsfeldern interreligiöses Lernen, Dialog sowie Diversität und Diskriminierung; sie war Mitarbeiterin von Weirer und forscht jetzt an der PPH – Private Pädagogische Hochschule Augustinum in Graz. Ihr gemeinsames Projekt Christlich-Islamischer Religionsunterricht im Teamteaching wurde vom Wissenschaftsfonds FWF mit 398.474 Euro gefördert.
Publikationen (Auswahl)
Gmoser A., Kramer M., Weirer W. (Hg.): Christlich-Islamischer Religionsunterricht im Teamteaching. Beiträge zu Theorie und Praxis interreligiöser Bildung, V&R Unipress 2024
Gmoser A., Kramer M., Mešanović M., Weirer W., Wenig E., Yağdı Şenol: Shared Religious Education through Christian–Islamic Team Teaching, in: Religions 15 / H. 9, 2024
Mešanović Mevlida: Development of Interreligious Competencies Among Islamic Religious Teachers, in: Islamic Religious Education in the Current Discourse. Empirical Insights in a Plural Society, Şenol Yağdı (Hg.): Wiener Beiträge zur Islamforschung, Springer 2024