Reinhard Steurer - Mahnender Professor in der Klimakrise
Dass sich rund 40 österreichische Wissenschafterinnen und Wissenschafter hinter die Straßenblockaden der "Letzen Generation" stellten, liegt auch an Reinhard Steurer. Der 51-jährige Boku-Professor initiierte die Aktion am Dienstag. Der Politikwissenschafter forscht seit einem Vierteljahrhundert zu Klimapolitik und mahnt auf Twitter wirksamen Klimaschutz ein. Für sich selbst hat er vorgesorgt, um die immer heißer werdenden Sommer nicht in Wien verbringen zu müssen.
Steurer stellte sich bereits früh hinter die Gruppe "Aufstand der Letzten Generation". Sie seien der Feueralarm für eine schlafwandelnde Gesellschaft. Auf Twitter führte er mehrfach aus, warum er denkt, dass die Politik die Klimakrise erst ernst nimmt, wenn sie von den Wählerinnen und Wählern ernst genommen wird. Was derzeit passiere, sei vielfach "Scheinklimaschutz", dieser bringe Wählerstimmen, weil er niemanden weh tue oder jemanden was wegnehme. Nach der heutigen Aktion beim Praterstern meinte Steurer, dass dies nun ein erstmaliges Verlassen der Komfortzone der Wissenschaft gewesen sei, "was die Zukunft bringt, werden wir sehen".
Aktivismus vom wissenschaftlichen Standpunkt heraus unterstützen
Sich selbst auf die Straße zu kleben, ist Steurer bisher nicht in den Sinn gekommen. "Ich bin noch nicht soweit", sagte er im Gespräch mit der APA. Er habe aber "großen Respekt" vor Wissenschafterinnen und Wissenschaftern, sich an zivilem Widerstand aktiv beteiligen. "Meine Überlegung ist, den Aktivismus klar von einem wissenschaftlichen Standpunkt heraus zu unterstützen."
Die große Frage, die ihn antreibe sei, "was sage ich meinen Kindern, wenn sie mich in 20 Jahren fragen: 'Wie war das damals?'". Ob er alles getan habe, was in seiner Macht stand. "Ich bin nicht nur Wissenschafter, sondern auch Vater", erklärte der Politologe. Steurer hat zwei Kinder, geht mit seinem Privatleben aber sehr sorgsam um, weil er, wie er sagt, davon ausgeht, dass es "immer grausiger" wird. Man habe schon in der Corona-Pandemie gesehen, wie mit der Wissenschaft umgegangen werde. Ähnliches erwarte er für die Klimakrise, je weiter sie eskaliert.
Der Vorarlberger studierte in Salzburg Politikwissenschaften und Psychologie, wechselte dann nach Wien zum Institut für Nachhaltigkeitsmanagement der WU Wien. Seit 2013 lehrt und forscht Steuer an der Universität für Bodenkultur (Boku) in Wien. Seinen Forschungsschwerpunkt verlagerte er in den vergangenen Jahren weg von der Frage, wie effektive Klimaschutzgesetze aussehen müssten, hin zur großen Frage, "wie es sein kann, dass wir den Kollaps unserer Zivilisation riskieren" - und wie Gesellschaft, Politik, Wirtschaft und Medien damit umgehen.
Kognitive Dissonanz als Ursache
Steurer denkt, die Antwort auf die Frage zu kennen. Sie liege in der psychologischen Natur des Menschen und heißt "kognitive Dissonanz". Dieser unangenehme Gefühlszustand entsteht, wenn das eigene Verhalten nicht mit den Werten übereinstimmt. Im Falle der Klimakrise werde er durch Verharmlosung und Scheinklimaschutz aufgelöst. Zum Thema arbeitet Steurer auch an einem Buch, das nächstes Jahr erscheinen soll, wie er zur APA sagte.
Seine Pension will der 51-jährige Professor jedenfalls nicht in Wien verbringen. Er plane, seinen Lebensabend im gebirgigen Teil Österreichs zu verbringen, "weil dort die Sommer noch ein paar Jahrzehnte länger erträglich sein werden". Steurers Rechnung ist simpel: Pro 100 Meter Seehöhe nimmt die Temperatur um bis zu einen Grad Celsius ab. Auf 700 Metern Seehöhe ist er daher deutlich besser dran als in Wien mit einer Seehöhe von 200 Metern. "Diese Möglichkeit ausweichen zu können, ist natürlich Luxus. Viele könnten dies nicht", so Steurer. Für ältere Menschen und vulnerable Personen seien die Sommer in Wien schon jetzt lebensbedrohlich.