Experten: Österreich hat großen Nachholbedarf bei Risikokapital
Ohne ein deutlich besseres steuerliches, regulatorisches und kulturelles Umfeld im Hinblick auf Risikokapital wird Österreich den Anschluss an die innovativsten Länder nicht schaffen, befürchtet der Forschungsrat. "Neben bürokratischen Aspekten geht es auch um ein gesellschaftliches Umdenken", erklärte Thomas Henzinger, Vorsitzender des Rats für Forschung, Wissenschaft, Innovation und Technologieentwicklung (FORWIT), gegenüber APA-Science.
Er habe erst kürzlich einen seiner ehemaligen Studenten getroffen, der in die USA gegangen sei. "Es hat kein Jahr gedauert, bis er eine Firma gegründet hat, obwohl er in Österreich nie einen Gedanken daran verschwendet hat. In den USA wird von Anfang an global gedacht, denn das Ziel ist nicht weniger, als eine der wertvollsten Firmen der Welt zu sein", strich Henzinger hervor. Frustrierend sei, "dass wir die Rahmenbedingungen kennen, aber es hierzulande nicht schaffen, diese zu duplizieren". Es fehle seit Jahrzehnten nicht nur am Ökosystem, sondern vor allem an der Ambition: "Wenn sich Forschende in den USA treffen, reden sie darüber, wie man Wissenschaft ins nächste Google umwandeln kann", so der Experte.
"Trauen uns nicht, groß genug zu denken"
Es würde an Role Models mangeln, an einer unterstützenden Community und an "Peer pressure", wo "nichts zu tun, keine Option ist". Wer eine wissenschaftliche Idee habe, "muss versuchen, nicht nur Papers zu schreiben, sondern auch wirtschaftlich daraus Kapital zu schlagen. Warum gelingt es uns nicht, das zu kopieren? Wir hatten de facto 40 Jahre Zeit zu sehen, wie es geht". Wirklich erfolgreiche Unternehmer würden die Welt verändern wollen. "Wir haben die Köpfe, wir trauen uns aber nicht, groß genug zu denken", konstatierte Henzinger, der bis 2022 Präsident des Institute of Science and Technology Austria (ISTA) in Klosterneuburg (NÖ) war.
"Österreich ist bezüglich Risikokapital kein Vorreiter und gehört nicht zu den führenden Nationen in Europa. Und Europa gehört nicht zu den führenden Regionen in der Welt", ortet auch Georg Kopetz, Vorstand als auch Mitgründer des Wiener Hightech-Unternehmens TTTech und FORWIT-Mitglied, "einen doppelten Aufholbedarf". Es brauche mehr privates Kapital für die Hochrisikoforschung – vor allem für den Bereich Deep Tech sowie innovationskritische und disruptive Themen, bei denen der wirtschaftliche Ausblick noch unklar sei. Es gebe zwar eine gewisse Dynamik seit dem Jahr 2019, wie auch der FTI-Monitor des FORWIT zeige. Die führenden Länder in der Region – Schweden, Finnland und Dänemark – seien Österreich hinsichtlich Risikokapital aber weit voraus.
Finanzierungsbereitschaft stark gesunken
Die strategischen Ziele der Bundesregierung (FTI-Strategie 2030) würden vorsehen, dass schon in wenigen Jahren 0,1 Prozent des BIP an privatem Venture Capital im Land zur Verfügung steht. "Diesen Zielkorridor verfehlen wir derzeit ziemlich deutlich", so Kopetz. Nach den Boom-Jahren 2020 und 2021 habe es im Vorjahr eine große Abschwächung dieser Dynamik gegeben. Die derzeitige Wirtschaftskrise und die Rezession in Europa würden zusätzlich belasten. In den vergangenen eineinhalb Jahren sei die Bereitschaft, neue Unternehmen zu finanzieren, stark gesunken,"man spricht von einem Rückgang um bis zu zwei Drittel".
Das erschwere Start-ups und Spin-offs das Leben massiv. "Aber es trifft Unternehmen in der Skalierungsphase noch mehr, weil dort der Kapitalbedarf viel höher ist", sagte der Experte. Es gebe hierzulande wenige, die den gesamten Zyklus – etwa bis zu einem Börsengang – erfolgreich durchlaufen würden, wodurch die Entrepreneure wieder als Risikokapitalgeber auftreten könnten und Geld sowie Know-how ins Ökosystem zurückfließen würde. "Notwendig sind Anreize von staatlicher Seite und eine Unterstützung des ganzen Lebenszyklus von der Gründung über die Skalierung bis hin zum Exit", gab sich Kopetz überzeugt.
Forderung nach staatlichen Anreizen
Bei der Gründungs- und Frühphase sei in den vergangenen fünf Jahren viel erreicht worden, verwies der TTTech-Chef auf erste Schritte. Das ISTA habe beispielsweise mit XISTA Science Ventures einen Fonds gegründet, der im Early Stage-Bereich investiert. Es gebe den aws-Gründerfonds und andere neue Mechanismen. Auch die österreichischen Universitäten würden sich inzwischen viel stärker koordinieren und abstimmen, um mehr Spin-offs auf den Weg zu bringen.
Diese Dynamik in der Frühphase sei aber nicht ausreichend, um zum europäischen Spitzenfeld aufzuschließen. Sinnvoll wäre laut Kopetz, dass man Investments in Technologieunternehmen bei einer gewissen Behaltedauer steuerlich begünstigt, indem erlittene Verluste zu einem bestimmten Prozentsatz abgesetzt werden könnten. Entsprechende Modelle würden in anderen Ländern gut funktionieren, um mehr privates Kapital in dieser frühen Phase zu lukrieren. Auch Mitarbeiterbeteiligungen sollten noch stärker steuerlich gefördert beziehungsweise die Freibeträge weiter erhöht werden.
Dachfonds für notwendige Skalierung
Vor allem mangle es aber an privatem Kapital für die Skalierungsphase, um Finanzierungsrunden von 50 oder 100 Millionen Euro auch mit österreichischer Beteiligung zu stemmen und in eine Größenordnung hineinzuwachsen, wo die Firmen auch für große Industriekonzerne als langfristige strategische Partner interessant werden. Es brauche einen Dachfonds, wie er in Deutschland zum Teil schon umgesetzt sei. "Dahinter steckt die Idee, dass privates Kapital vor allem von Banken, Versicherungen und industriellen Anlegern mit staatlichen österreichischen Garantien zumindest teilweise besichert wird, um die Skalierung heimischer Unternehmen zu ermöglichen und die Forschung im Land zu stärken", erklärte Kopetz.
Auf erste, sehr positive Schritte, verwies Henzinger: "Vor kurzem hat die Regierung mit einem neuen Gesetz eine deutliche Verbesserung geschaffen, das sowohl die private Forschungsförderung erleichtert, aber es auch vor allem Start-ups ermöglicht, die Mitarbeiter einfacher zu beteiligen." Es sei noch zu wenig bekannt, dass nun gemeinnützige Stiftungen aufgesetzt werden könnten, die wie ein amerikanischer Endowment Fund funktionieren. "Das sind im wesentlichen Großinvestoren, die einen Kapitalstock haben, den sie zu vermehren suchen und ein Teil der Gewinne des Kapitalstocks fließt dann begünstigten Organisationen zu, typischerweise einer Universität", so der FORWIT-Vorsitzende. Jetzt müsse man das auch angehen und umsetzen.
(Diese Meldung ist Teil einer Medienkooperation mit dem FORWIT.)