"Mikrobiomforschung ist mein Leben"
Wer annähernd so viele Veröffentlichungen hat wie Arten an Mikrobiota im Mund, der dürfte einiges in der Wissenschaft zu sagen haben. Gabriele Berg vom Institut für Umweltbiotechnologie an der TU Graz beschreibt sich bei einem Besuch von APA-Science selbst als eine außergewöhnliche Wissenschafterin: neugierig, fröhlich und optimistisch. Drei kombiniert Eigenschaften in einer Person. Geht das?
Das Mikrobiom ist Gabriele Bergs Leben. Diese Gemeinschaft aus mikroskopisch kleinen Bakterien, Archaeen, Algen oder Pilzen und alles was mit ihnen in Zusammenhang steht, lässt sie einfach nicht mehr los. Mit 360 Publikationen und mehr als 15.000 Zitationen gehört sie zu den Top 1 Prozent der Wissenschaftswelt. Dabei kommt es ihr nicht auf die Zahl an, sondern auf den Inhalt: "Ich habe das noch nie zusammengezählt. Mir geht es darum bestimmte fachliche Hürden zu überspringen. Das sind meine Visionen und die lassen sich nicht in Zahlen ausdrücken."
Um ihre Visionen ausleben zu dürfen, hatte sie einige Hürden in ihrem Leben zu meistern. Unter dem Mikroskop betrachtete sie erstmals Algen aus der Havel. Das ist jener Fluss, der durch ihre Heimatstadt Potsdam, südwestlich der Deutschen Bundeshauptstadt Berlin, fließt. Zu diesem Zeitpunkt ging Berg noch in die Schule. Potsdam befand sich in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) und Bonn war das politische Zentrum des Westens. Berg, aufgewachsen in einer der künstlerischsten Szenen Deutschlands, hatte nur mehr Augen für Kleinstlebewesen und analysierte 14-täglich im Rahmen des Unterrichtsfachs "Wissenschaftlich-praktisches Arbeiten" Wasserproben auf ihre Güte. Nachdem die berufliche Entscheidung auf die Naturwissenschaften gefallen war, ging es zum Studium der marinen Ökologie nach Rostock im Norden Deutschlands. Doch Studienplätze in der DDR waren rar und so startete sie zielgerichtet mit Joboption ins Lehramtsstudium Biologie. Nachdem eine Studierende ihren Platz in der marinen Ökologie aufgab, konnte Berg nachrücken und ihr Wunschstudium antreten. Das war auf Dauer allerdings auch schwierig, da eine Karriere in der Marineforschung an ein parteipolitisches Bekenntnis gekoppelt war. Niemand durfte die DDR verlassen und die See war nur mit speziellen Passierscheinen zu betreten, die nicht jeder bekam.
Also ging es nach dem Studium in der Hansestadt weiter östlich an die Universität Greifswald. Trotz der Nähe zur Ostsee sollte das nächste Kleinstlebewesen, nicht nur aus politischen Gründen, ein Pilz auf terrestrischem Gebiet werden. "1987 habe ich mich dort mit Mikrobiologie und Biotechnologie beschäftigt. Pilze waren eine Organismengruppe, die übersehen wurden. Sie waren weitgehend unbekannt und das hat mich interessiert. In Greifswald gab es die Koryphäe Hanns Kreisel. Nach dem Studium bin ich zu ihm gegangen, um hier Kenntnisse zu vertiefen", erzählt Berg rückblickend über das eine Forschungsjahr. Berg befand sich nach wie vor auf DDR-Gebiet. In diesem Land ging es viel um die Anwendung von Erkenntnissen. Daher wurden die Pilze isoliert, um sie auf biotechnologische Nutzbarkeit zu prüfen. Beispielsweise wurde untersucht, ob sie für die Antibiotika-Herstellung nützlich seien oder für "Bioleaching"-Verfahren eingesetzt werden könnten. Letzteres ermöglicht die Metallgewinnung aus eigentlich unlöslichen Erzen mittels Mikroorganismen, denn diese können Mineralien ganz gezielt herauslösen. "Das war damals eines der ersten interdisziplinaren Forschungsprojekte der DDR überhaupt. Die Projektarbeit war ja nicht so bekannt, aber das war ein Projekt und daran habe ich gearbeitet. Später bin ich aus persönlichen Gründen an die Universität Rostock zurückgegangen und habe dort als Assistentin gearbeitet", sagt Berg.
Forschung in der DDR
Am 9. November 1989 fiel "die Mauer" zwischen Ost- und Westdeutschland und es begann die Zeit der politischen Wende. "Das war so ein unglaubliches Glück zum richtigen Zeitpunkt. Ich war 28 Jahre und dachte, das ginge frühestens mit 60 irgendwie", so Berg. Das "irgendwie" steht für ihre berufliche Karriere, von der sie sich nie hätte träumen lassen, dass sie wahr wird: "Ich hätte zwar noch promovieren dürfen. Aber ich hätte niemals eine Unikarriere machen können, ohne in eine Partei gehen zu müssen." Und so kam es, dass sie mit ihrer Promotion unter dem Arm von Person zu Person ging und alle möglichen Professoren der Universität Rostock fragte, ob sie ihr Betreuer sein wollten. Denn während der politischen Wende stand kein Stein auf dem anderen, einen klassischen Doktorvater gab es nicht und die Lehre hielt sie selbst am Laufen: "Die ganze Universität wurde entlassen. Ein Drittel der Stellen wurde neu ausgeschrieben, viele gingen ins Ausland. ... Die Hälfte der Bevölkerung ist ausgewandert. Ich meine, das muss man sich einmal vorstellen. Das war ein Einbruch der Geburtenrate um 70 Prozent. Das war schlimmer als nach dem Zweiten Weltkrieg."
Im Jahr 1995 hatte sie dann Ihre Promotion in der Tasche. Zudem waren ihr Mann und sie bereits glückliche Eltern von zwei Burschen. Diese anstrengende Phase hat sie sehr geprägt: "Mit zwei so kleinen Kindern zu promovieren ist ja auch kein Zuckerschlecken gewesen. Da musste ich schon auf viele soziale Dinge verzichten. Mein Mann hat auch extrem viel getan. Das war immer ein Auf und Ab."
Nach insgesamt 14 befristeten Projektstellen an der Universität Rostock folgte Berg dem Ruf der Technischen Universität Graz und nahm 2006 den ersten weiblichen Lehrstuhl für "Umweltbiotechnologie und Ökotechnik" im Bereich der Naturwissenschaften an. "Wissenschaft lebt ja durchaus auch vom Wechsel. Seit Hunderten von Jahren war das so, dass Forscher ihre Universitäten, ihre Wirkungsorte gewechselt haben. Ich bin nicht unbedingt freiwillig gegangen. Wenn ich ehrlich bin, neigt man immer dazu dort zu bleiben, wo man gerade ist." Trotzdem hat die vierköpfige Familie, die mittlerweile um vier Enkelkinder gewachsen ist, die Koffer gepackt und ist mit nach Graz gezogen. Bereut habe niemand diesen Schritt. Aber es mache ja auch keinen Sinn, die beiden Orte zu vergleichen.
Der Weg an die TU Graz
Gut 1.000 Kilometer südlich der Heimat war es für Familie Berg nicht immer leicht. Mit dem ersten weiblichen Lehrstuhl der Naturwissenschaften an einer technischen Universität und der Frage nach Rollenbildern stockt ihr der Atem: "Ich finde es ehrlich gesagt bis heute sehr herausfordernd. Der Anteil der Frauen an der TU Graz insbesondere in leitenden wissenschaftlichen Positionen ist bis heute sehr niedrig." Für die internationale Wissenschaftslandschaft sei das Geschlecht allerdings egal. Bei dem Gedanken, dass ihr "männlicher Vorname" etwas zu ihrer Karriere beigetragen haben könnte, muss sie lachen. Berg erläutert, dass der Name Gabriele in romanischen Sprachen auch ein männlicher Vorname sein kann. Das habe beim Abholen am Flughafen schon einmal für die eine oder andere Verwirrung gesorgt.
Dass Berg in der ganzen Welt unterwegs ist, und das vor dem Corona-Lockdown fast wöchentlich, mag aber nicht nur an ihrem Vornamen liegen. Aus der völlig unbedeutenden Nische der Mikrobiomforschung sei mittlerweile ein Mainstreamfeld geworden. "Mit der Jahrtausendwende kam der methodische Durchbruch", so Berg. Die vielen neuen Erkenntnisse haben zu einer Wissenschaftsrevolution geführt, "wie die Erfindung einer Brille", und weiter: "Wir sind eigentlich noch so am Anfang der Entdeckung und Erkundung, dass ich eigentlich die Spitze des Bergs noch nicht erreicht habe."
Bei diesen Worten hat sie wieder ihre Visionen vom großen Erkenntnisgewinn über die Zusammenhänge des Mikrobioms vor Augen. Nach knapp 15 Jahren an der TU Graz ist Berg sehr stolz darauf, "dass ich hier ein so schönes Institut aufbauen durfte, dass es dem Institut so gut geht, dass ich viele Absolventen, jetzt insgesamt 40 Dissertanten, und sehr viel mehr Masterstudenten, in einen bestimmten Abschnitt begleiten konnte. Alle haben sie weltweit gute Jobs gefunden." Laut Berg darunter gleich viele Frauen wie Männer.
Berufung zum Wissenschafter
In der Steiermark fühlt sich nicht nur ihr internationales Team wohl, sondern auch ihre Familie. "Private Sternstunden, das sind meine Kinder natürlich und meine vier Enkelkinder. Da verbringe ich meine Zeit, wann immer ich kann." Nur Bergs älterer Sohn und Mathematiker, lebt mittlerweile wieder in Deutschland in Frankfurt am Main. Wissenschaft ist in der Familie Berg omnipräsent. Ihr Mann ist Botaniker und auch die beiden Söhne haben eine Naturwissenschaft studiert. "Wissenschafter sein, ist auch was ganz Intrinsisches. Das ist eine Neugier mit Wissensdrang gekoppelt, den hat man oder den hat man wahrscheinlich nicht. Das ist ja nicht ein normaler Beruf, sondern das ist eigentlich eine Berufung. So empfinde ich das. Ich kann Freizeit und Beruf nicht teilen. Ehrlich gesagt - Mikrobiomforschung ist mein Leben", beteuert Berg. Auch in ihrem Kopf schwirren die Kleinstlebewesen ständig umher, zumindest in Gedanken. Sei es bei einem Konzertbesuch, dem Spiel mit den Enkelkindern oder beim Essen eines Apfels. Das einzig Störende an ihrer Wissenschaftskarriere sei der administrative Aufwand: "Diese ganze Projektverwaltung nimmt den Großteil meines Tages ein, das sehe ich mit großem Bedauern."
Die einzige Abwechslung zu ihrer Tätigkeit am Computer stellen die täglichen Besuche ihrer Mitarbeiter im Labor dar sowie Kongresstätigkeiten oder Probenentnahmen im Inn- und Ausland. Die Corona-Einschränkungen lassen die Wissenschafterin jetzt einmal verschnaufen.
Auf dem Weg zu anderen Orten kann es dann auch schon mal passieren, dass Bundeskanzler Sebastian Kurz im Flugzeug eine Reihe hinter Berg sitzt: "Ich hatte 27B und er 28D. Eigentlich hatte ich mich geärgert, weil ich nicht so gerne hinten sitze. Ich habe mich nicht getraut ihn anzusprechen. Es war peinlich, dass die Leute ihn alle mit dem Handy fokussiert haben", so Berg. Das tat ihr fast schon leid und sie erfreute sich darüber, dass man als Wissenschafter als ganz normaler Mensch wahrgenommen wird und auch ein normales Leben führen könne: "Jeder kleinste Fußballer ist zehnmal bekannter als der berühmteste Wissenschafter." Dabei machen für Berg die Eigenschaften Neugier, Abstraktionsfähigkeit, Begeisterung und das mikrobiologische Handwerk einen guten Wissenschafter aus. Bei ihr selbst kommen die "Visionen" dazu. Es sei eine Art Bauchgefühl, dass ihr Zusammenhänge klar machen. Obwohl sich viele Dinge erst Jahre später mit der richtigen Methode bewahrheiten lassen.
Eingebungen am Gipfel oder beim Mikroben-Tanz
Diese Erkenntnisse können dann ganz plötzlich in Erscheinung treten. So wie bei einer Tagungsreise nach Neuseeland, bei der die Konferenz aufgrund eines Erdbebens nur mehr im Studentenwohnheim abgehalten werden konnte: "Man war wirklich sehr angespannt und da haben ein Kollege und ich eine spannende Theorie über Züchtung entwickelt und wie diese das Mikrobiom beeinflusst." Es muss nicht immer ein Erdbeben im Ausland sein, um einen solchen Aha-Moment zu erleben, manchmal tut es auch ein steirischer Berg: "Ich bin oft am Berg. Das schätze ich schon sehr an der Grazer Umgebung. Einen Berggipfel zu ersteigen, finde ich sehr befriedigend." Viel in der Natur zu sein ist aber auch für die Entspannung der Umweltbiotechnologin sehr förderlich. Außerdem liest sie Belletristik, schaut Filme oder trifft sich mit Freunden. Zwar seien darunter auch Freunde mit anderen Berufen, aber geht man ins Detail, ist es dann doch immer wieder die Mikrobiom Community, die viel Raum einnimmt.
Denn mit denen lässt es sich beim Tanz auch ganz gut entspannen. So können Tanzevents auf Tagungen schon mal bis in die frühen Morgenstunden andauern. Aber nicht nur das: "Dieses Tanzen ist schon sehr speziell. Manchmal spielen wir auch untereinander, welcher Mikroorganismus man sein möchte. Aber da machen dann auch nicht alle mit. Die meisten wollen dann immer die sein, an denen sie forschen oder gerade nicht."
Das klingt danach als müsste man an diese Geschichte einen klassischen Mikrobiomforscher-Witz anschließen, doch ein solcher ist Berg nicht bekannt. "Ich persönlich kann leider gar keine Witze erzählen, dafür ist mein Mann zuständig", sagt die Wissenschafterin laut lachend.
Dank für wissenschaftliche Erkenntnisse
Ähnlich beglückend wie ein Teil dieser Mikrobiom-Community zu sein, muss für Berg auch das Heisenberg Stipendium der Deutschen Forschungsgemeinschaft im Jahr 2003 gewesen sein. Die mehrjährige finanzielle Absicherung ließ sie weitere Forschungsfragen beantworten. Allerdings hört man bei der Freude über Preise auch Kritik: "Unter den Top 1 Prozent der Wissenschafter zu sein, das ist für mich eigentlich die größte Auszeichnung, weil das ja unabhängig ist. Für viele Preise kann man sich bewerben oder man bekommt sie von verschiedenen Gesellschaften. Das (Top 1; Anm.) ist ja so eine ganz unabhängig Bewertung."
Nachdem für Berg die wissenschaftlichen Erkenntnisse im Vordergrund stehen und nicht alle Projekte erläutert werden können, seien an dieser Stelle einige ihrer Projekthighlights genannt. Einerseits gibt es da den Apfel, rund, knackig und mit ganz viel Mikrobiom. Dieser habe im Rahmen des dazugehörigen Sparkling Science Projekts mit Gymnasiasten aus Graz dazu geführt, dass die britische Tageszeitung "The Guardian" mit Hauptsitz in London mit den Worten "Breaking Through" anrief. Es wurde die gesamte mikrobielle Gemeinschaft des Apfels untersucht. Herausgefunden wurde, welche und wie viele Mikroorganismen im Apfel als nützlich und potenzielle Pathogene für den Menschen angesehen werden konnten. Die Aufmerksamkeit gewann dieses Projekt durch die einfache wissenschaftliche Sprache und das Teilen der Ergebnisse auf unterschiedlichen Social Media Plattformen. "Viral gehen", so Berg, diesen Begriff habe sie dadurch erst gelernt.
Bei diesem Projekt war ihr der Erfolg sicher, denn welch einfacheres Objekt als der Apfel hätte einem die Diversität des Mikrobioms besser näherbringen sollen. Als allerdings ein Kollege der TU Graz sie bat an seinem Projekt mitzumachen und einen Reinraum zu untersuchen, hat sie anfangs für einen schlechten Scherz gehalten. "Was soll ich als Mikrobiologin im Reinraum? Das wollte ich gar nicht und habe dann doch mitgemacht, um ihn zu unterstützen und das große Projekt nach Graz zu bekommen. Letztendlich hat es sich dann als eines der spannendsten herausgestellt. 2008 gab es nur die NASA, die sich überhaupt mit dem Innenraum-Mikrobiom beschäftigt hat", sagt Berg. Ihre Untersuchungen ergaben, dass diese Reinräume nicht ganz steril sind. Ganz im Gegenteil sei die Diversität sogar ziemlich hoch, was Bergs Bild über die Reinräume vollkommen geändert hat: "Da bleiben die (Organismen übrig; Anm.), die gegen Reinigungsmittel resistent sind. Wir haben da richtig neue Spezies gefunden, die sich über Jahre dort entwickeln. Die Evolution von Mikroorganismen geht ja schnell. Insbesondere unter starkem Druck." Mittlerweile wurden, auch mit Einbezug von Bergs Regensburger Kollegin Christine Moissl-Eichinger, die damals noch nicht in Graz war und mittlerweile einen Lehrstuhl an der Medizinischen Universität Graz hat, weitere Räume wie Intensivstationen von Krankenhäusern oder in der Lebensmittelverarbeitung oder Tiergehege analysiert.
Es ist an der Zeit die Welt zu retten
Bei der Wissenschafterin führt die Vielzahl an kleinen Aha-Momenten zu ihren Visionen. Sei es das Samenmikrobiom kleiner Pflanzen aus den Aflenzer Staritzen, Bodenlebewesen in Afrika oder das Mikrobiom hochgezüchteter riesiger Zuckerrüben. Der Erkenntniszuwachs ist der Schlüssel zu Bergs Erfolg. Das empfindet sie selbst als großen Vorteil eines längeren Forschungslebens: "Im Prinzip gibt es natürlich Projekte, die man sein gesamtes wissenschaftliches Leben verfolgt. Zum Beispiel die Spezifität des Mikrobioms an Pflanzen. Ich habe erst Kulturpflanzen untersucht, dann Moorökosysteme, dann alpine Wiesen. Diese vielen Projekte funktionieren wie ein Puzzle, das man später zusammensetzt. Dann gibt es auch diesen Erkenntniszuwachs, der dann gleich eine große Stufe ist."
Neben ihren persönlichen Erfolgen weiß sie auch um jene ihrer österreichischen Kollegen: "Österreich steht im internationalen Vergleich ganz vorne und weiß es nicht." Auf den vorderen Plätzen der meistzitierten österreichischen Wissenschaftern sitzt neben Berg auch Michael Wagner vom Zentrum für Mikrobiologie und Umweltsystemwissenschaft der Universität Wien. Auch viele andere Kollegen in Österreich bringen die Mikrobiomforschung weiter.
Doch was hilft der ganze Erkenntnisgewinn, wenn er nicht gehört wird? Berg ist besorgt, wenn sie an die Biodiversität und die Dezimierung der Arten denkt. Einen Allwissenden würde sie wohl fragen, wie es um die Zukunft steht und wie man an die Menschen besser herankäme: "Damit sie verstehen, dass man nicht immer alles in Plastik kaufen, permanent mit dem Auto fahren oder nur seinen Vergnügungen nachgehen muss. Eine Lösung dafür zu finden, das würde mir schon taugen."
Berg will nicht nur Erkenntnisse sammeln, sondern auch Wissen transferieren und zur Anwendung bringen. Da kommt wohl nicht von ungefähr, dass sie nicht nur mit Kurz, sondern auch mit anderen Staatsoberhäuptern gerne einmal über die Zukunft der Artenvielfalt reden möchte. Gerade beim Kauf von regionalen Produkten ohne Plastikverpackung könne jeder mitmachen und damit rasch etwas ändern. "Die Mikrobiome untereinander und was wir wirklich machen können, um unserer Erde zu retten. Das beschäftigt mich schon sehr. Damit meine Enkelkinder wirklich eine lebenswerte Erde vorfinden und gutes Essen. Das finde ich ganz wichtig und in diese Richtung forschen wir wirklich. Ich sehe ja auch die Pandemie und die multiresistenten Mikroorganismen als Punkt, den man beforschen muss. Es gibt keine einfache Lösung, da muss sicherlich auch der Mensch zurücktreten."
Damit nun die Welt gerettet werden kann, müsste man nur noch eine Brücke finden, um mit den Politikern ins Gespräch zu kommen.
In Erinnerung bleiben
Derweil kümmert sie sich um die Ausbildung und Motivation ihrer Dissertanten und Dissertantinnen. Damit diese den Mut aufbringen, den aktuellen Wissenstand zeitnah in die Öffentlichkeit zu bringen. Werden es dann die Studierenden und das Werk Bergs sein, die in Erinnerung bleiben sollen? Berg: "Man bleibt schon über sein Werk, was man geschaffen hat. Die Publikationen, die Erkenntnisse und die vielen jungen Leute, die diese Erkenntnisse weitertragen in die Welt. Und ich möchte schon als Visionär der Mikrobiomforschung in Erinnerung bleiben. Ehrlich gesagt, als ich hier nach Graz gekommen bin, da gibt es Steine für Forscherinnen, habe ich aus Jux immer gesagt; ich möchte später auch so einen Stein kriegen."
Zwar hat Berg noch keinen solchen Stein, scheint aber auf einem guten Weg dorthin. Vielleicht erhält sie diesen später einmal, für die Entdeckung eines neuen Wirts, der genauso viele Mikrobiota beherbergt wie Zitationen Bergs.
Das Gespräch führte Sandra Fleck / APA-Science
Service: Mehr über das Mikrobiom im Gespräch mit den Forscherinnen Gabriele Berg und Christine Moissl-Eichinger: 'Mikrobiom - Das "kleinste Leben" groß im Kommen'. Diese Meldung ist Teil der Reportage-Reihe "Im Porträt" auf APA-Science: http://science.apa.at/portrait