Forscher wollen Blutvergiftung an Herzfrequenzvariabilität erkennen
Verschiedenste Infektionskrankheiten ziehen die lebensbedrohliche Komplikation einer Sepsis (auch Blutvergiftung, Blutstrominfektion) mit sich - weltweit stirbt jeder fünfte betroffene Patient letztlich daran. Eine überstandene Sepsis zieht wiederum häufig eine Herzfunktionsstörung mit sich. Forschende am Gottfried-Schatz Zentrum der Med-Uni Graz gehen davon aus, dass sich eine Blutvergiftung schon früh anhand der Herzfrequenzvariabilität vorhersagen lassen könnte.
Wenn eine Sepsis - eine schwere Entzündungsreaktion des Organismus - nicht frühzeitig erkannt wird, sind septischer Schock und Multiorganversagen eine häufige Folge - rund 20 Prozent der Patienten versterben, teilte die Med-Uni Graz in einer Aussendung mit. Die gefährliche Fehlfunktion kann aber auch das spätere Leben der Patienten langfristig beeinträchtigen: Kognitive oder motorische Störungen können ebenso vorkommen wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Forscher versuchen daher im Körper Marker für eine frühere Diagnose zu finden, um sie ehestmöglich behandeln zu können. Denn je später die Diagnosestellung erfolgt und eine angemessene Therapie eingeleitet wird, desto schlechter sind Heilungs- und Überlebenschancen.
Wie wirkt sich eine Sepsis auf die Funktion der Herzzellen aus?
"Herzfunktionsstörungen treten im Zusammenhang mit einer Sepsis häufig auf", weiß Susanne Scherübel-Posch vom Lehrstuhl für Medizinische Physik und Biophysik der Med-Uni Graz. Die Biophysikerin und Biologin erforscht, wie die "Blutvergiftung" die Funktion der Herzzellen verändert. Sie hat mit Forschenden der Universitäten in Graz und Montpellier dazu die zugrunde liegenden Mechanismen untersucht und in der jüngsten PNAS-Ausgabe veröffentlicht. Demnach dürften Veränderungen der sogenannten Schrittmacherzellen des Herzens eine wichtige Rolle zu spielen.
Die Fähigkeit unseres Herzens, den zeitlichen Abstand von Herzschlag zu Herzschlag laufend zu verändern, um sich der jeweiligen Belastung optimal anzupassen, wird Herzfrequenzvariabilität (HRV) genannt. Im septischen Zustand ist die HRV stark reduziert, das heißt, der Körper kann sich an die körperlichen und mentalen Anforderungen nicht mehr optimal anpassen.
Der Taktgeber für jeden Herzschlag ist der Sinusknoten im rechten Vorhof der Herzkammer. Seine Zellen werden daher auch Schrittmacherzellen genannt. Der Sinusknoten wiederum wird maßgeblich vom autonomen Nervensystem beeinflusst also jenem Teil des Nervensystems, der der willkürlichen Kontrolle entzogen ist und sich autonom verhält. Der sogenannte Vagusnerv dieses Systems kann als regulierende Schaltstelle zwischen dem Gehirn und den Organen verstanden werden. Mittlerweile weiß man, dass bei einer Sepsis die Stimulation genau dieses Nerves stark abgeschwächt ist, was letztlich zur Einschränkung der Herzfrequenzvariabilität führt. Scherübel und ihre Grazer und internationalen Kollegen haben untersucht, woran das liegt.
Sinusknotenzellen unter Sepsis weniger ansprechbar
"Wir vermuteten, dass die eingeschränkte HRV unter septischen Bedingungen unter anderem, von einer reduzierten Ansprechbarkeit der Sinusknotenzellen, also den Schrittmacherzellen des Herzens abhängen könnte", erklärte Scherüberl-Posch den Forschungsansatz des Teams. Ihre letzten Experimente haben diese Vermutung bestätigt.
Die Ergebnisse der Experimenten im Sinusknoten-Zellgewebe von Mäusen gaben einen Einblick in die Regulierung des Sinusknotens bei Sepsis: Es zeigte sich, dass die Sinusknotenzellen nicht im normalen Ausmaß auf die Ausschüttung des Botenstoffes aus dem parasympathischen Nervensystem reagieren. "Dieser Botenstoff übt eine entzündungshemmende Wirkung aus, was wiederum die HRV beeinflusst" wie die Wissenschafterin erklärte. Als Konsequenz sei die Herzfrequenzvariabilität reduziert und die frequenzsenkenden Wirkung auf die Schrittmacherzellen des Herzens beeinträchtigt. Der parasympatische Teil des autonomen Nervensystems kann somit seinen entzündungshemmenden Effekt nur stark eingeschränkt ausüben. Das trage wiederum zu einer enormen Belastung des Herzens und weiters auch zur hohen Sterblichkeit bei Sepsis bei.
Aus Sicht der Grazer Wissenschafterin könnte sich daher das Monitoring der Herzratenvariabilität durchaus als Prognosetool bei Sepsis eignen: "Die aktuellen wissenschaftlichen Ergebnisse untermauern die Anwendung der HRV als prognostischen Marker in der frühen Diagnose der Sepsis, um noch vor dem Vollbild dieser schwerwiegenden Erkrankung therapeutische Maßnahmen einleiten zu können", zeigte sich die Wissenschafterin überzeugt.
Service: Lipopolysaccharide-induced sepsis impairs M2R-GIRK signaling in mouse sinoatrial node, PNAS, Juli 2022, https://www.pnas.org/doi/10.1073/pnas.2210152120