Gewerkschafter fordern Maßnahmen gegen Lehrermangel in Wien
Der Lehrermangel an den Wiener Pflichtschulen spitzt sich angesichts von Pensionierungswelle, verlängerter Lehrerausbildung und immer mehr Abgängen in die Nachbarbundesländer weiter zu. Von Bildungsdirektion und Politik werde trotz jahrelanger Warnungen der Lehrervertretung nicht gegengesteuert, kritisieren Gewerkschafter im Gespräch mit der APA. Sie fordern Maßnahmen von der Politik.
Allein seit Beginn dieses Schuljahrs hätten knapp 140 Lehrerinnen und Lehrer (von insgesamt rund 14.000) ihren Dienst quittiert, berichtet der oberste Wiener Pflichtschullehrer-Gewerkschafter Thomas Krebs von der Fraktion Christlicher Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter (FCG) der APA. An manchen Wiener Pflichtschulen (Volks-, Mittel-, Sonder- und Polytechnische Schule) sei der Betrieb kaum noch aufrecht zu halten. Verstärkt werde die Entwicklung durch die Ausdehnung der Kurzparkzone auf ganz Wien, Pendler gingen dadurch an die Nachbarbundesländer verloren. Derzeit gehe es in sieben von zehn Beratungsgesprächen um Abwanderung aus Wien. Krebs fordert deshalb, Lehrern das Parkpickerl beim Schulstandort zur Verfügung zu stellen.
Frühzeitige Zuteilung der Lehrerposten
Weitere Forderungen: administratives Unterstützungspersonal und ein Schularzt für jeden Standort, flächendeckender Einsatz von ausreichend Schulpsychologen und -sozialarbeitern und eine frühzeitige Zuteilung der Lehrerposten. Wegen der späten Vergabe nach der Umstellung auf ein neues System hätten im Vorjahr viele Lehrerinnen und Lehrer Wien verlassen. "So ein Fiasko wie im letzten Schuljahr darf es nicht wieder geben", so Krebs.
In der Fraktion Sozialdemokratischer GewerkschafterInnen (FSG) und bei der Unabhängige Lehrer*innenvertretung ÖLI-UG glaubt man zwar nicht, dass die Zahl der Abgänge wegen des Parkpickerls deutlich zunehmen wird. Dass es personell immer enger wird, ist jedoch auch für sie unbestritten.
"Die Leute laufen aber nicht davon", betont FSG-Vertreter Thomas Bulant. "Sie ergreifen die Chance besserer Rahmenbedingungen." Mittlerweile gebe es im ganzen Land zu wenige Pflichtschullehrer und so komme es immer öfter vor, dass Kolleginnen und Kollegen aus Niederösterreich oder dem Burgenland unter dem Schuljahr eine Stelle im Wunschbezirk angeboten wird, bei der sie sich eineinhalb Stunden Pendeln nach Wien ersparen können. "Ich glaube, da könnten wir die Leute nicht einmal mit 200 Euro mehr in Wien halten."
Warnung vor Pensionierungswelle
Abwanderung aus der Bundeshauptstadt habe es zudem schon immer gegeben, etwa wenn jemand in Wien sein Studium absolviert hat und nach einiger Zeit im Heimatbundesland einen Posten angeboten bekam. Verschärft werde die Situation aber durch die aktuelle Pensionierungswelle, "davor warnen wir seit mehr als zehn Jahren". Dadurch wurde auch das Abwerben auf anderen Bundesländern intensiver.
Gleichzeitig kämen durch die Reform der Lehrerausbildung, die zu einer Verdoppelung der Ausbildungsdauer geführt hat, zu wenig Junglehrer nach, von denen noch dazu viele nicht mit einer vollen Lehrverpflichtung einsteigen würden. Geht es nach Bulant, gehört die Ausbildung sofort novelliert: Es brauche mehr Praxis, das Masterstudium müsse wirklich berufsbegleitend möglich sein und die Ausbildung so viel Praxisanteile haben, dass Absolventinnen und Absolventen gleich Vollzeit in den Beruf einsteigen.
Erschöpfung nach zwei Jahren Pandemie
Neben Pensionierungswelle und dem Buhlen der Nachbarbundesländer um Personal spielt auch die Coronapandemie eine Rolle bei den Abgängen. "Das hat sich in den vergangenen eineinhalb Jahren dramatisch verstärkt", berichtet Bernd Kniefacz von den ÖLI-UG. Die Erschöpfung nach zwei Jahren Pandemie sei groß, vor allem Ältere würden unter den aktuellen Bedingungen nicht mehr arbeiten wollen und in Frühpension gehen oder sich um einen Wechsel in die Verwaltung bemühen.
In der Bildungsdirektion werde nicht wirklich versucht, dem verschärften Lehrermangel etwas entgegenzusetzen, so Kniefacz' Eindruck. So gebe es in Wien viele Sonderverträge, aber kein Konzept, wie man gutes, motiviertes Personal, das etwa als Quereinsteiger über das Programm Teach for Austria unterrichtet, auch nachqualifizieren und im System halten könne. Mittelfristig müsse außerdem der Lehrberuf wieder attraktiver werden, gerade Junge würden durch Bürokratie und das hierarchische System verprellt.