Unwetter in Libyen: Experte sieht Klimawandel-begünstigten Worst Case
Bei dem verheerenden Unwetter im Mittelmeerraum, das im Osten Libyens nach Angaben des Roten Kreuzes zu rund 10.000 Vermissten geführt hat, handelte es sich laut Georg Pistotnik von der Abteilung für Klimaforschung der Geosphere Austria um einen "Worst Case". Die Voraussetzungen, die zu der Bildung des subtropischen Tiefdruckgebietes "Daniel" geführt haben, ähnelten jenen bei tropischen Wirbelstürmen. Die Klimaerwärmung spiele hier eine durchaus "große Rolle".
Das Tiefdruckgebiet "Daniel" ist anders entstanden als sonstige Tiefs in den gemäßigten Breiten. Im Normalfall braucht es dazu nämlich große Temperatur-Gegensätze. Die Grundvoraussetzung für die Vorkommnisse, die in den vergangenen Tagen auch Teile Griechenlands oder Bulgariens stark in Mitleidenschaft gezogen haben, bevor es nun in Libyen zur großen Katastrophe kam, liegen in den sehr warmen Meerestemperaturen.
Unter solchen Bedingungen kann sich ein Tiefdruckgebiet sozusagen nur davon "ernähren", erklärte Pistotnik im Gespräch mit der APA. Durch die enorme Verdunstung gelangen riesige Energiemengen in die Atmosphäre. Auf diese Weise entstehen auch tropische Wirbelstürme.
Dazu braucht es vor allem sehr große Flächen mit sehr warmer Oberfläche. Derart ausgedehnte Hochtemperaturgebiete bietet das relativ kleine Mittelmeer eigentlich selten. "Im Durchschnitt der letzten Jahrzehnte gab es in etwa zwei Tiefdruckgebiete pro Jahr, die solche Kriterien erfüllt haben - nämlich, dass sie einen warmen Kern haben", so der Klimaforscher.
"Verkettung ungünstiger Umstände"
Dass sich die Situation nun derart verheerend entwickeln konnte, lag an einer "Verkettung ungünstiger Umstände". Zuerst sind die Oberflächentemperaturen im Mittelmeer insgesamt großflächig höher als im langjährigen Schnitt. Im Ionischen Meer und östlichen Mittelmeerraum, wo sich das Tief entwickelt hat, sind es aktuell rund 28 Grad Celsius. Das sind um ein bis zwei Grad Celsius mehr als sonst um diese Jahreszeit. Das ist zwar nicht übermäßig mehr als sonst, aber doch ein entscheidender Faktor.
Dazu kam eine Wetterlage, in der sich das Tief von der restlichen Westwindzone abkoppeln konnte, erklärte der Meteorologe. So konnte der Wetterkomplex quasi unbehelligt lange über der großen, warmen Meeresoberfläche liegen bleiben und sich aufladen. "Typischerweise geschieht so etwas im Mittelmeerraum erst im Oktober oder November."
Seitens der Wissenschaft sei genau so eine Situation zuletzt vielfach befürchtet bzw. erwartet worden. "Dass es genau heuer passiert ist, ist gewissermaßen ein Zufall", so Pistotnik: Man könne hier höchstwahrscheinlich von einem "Medicane" sprechen. Dabei handelt es sich um ein Kunstwort, das sich aus "mediterranean" und "hurricane" zusammensetzt. Dafür braucht es Windgeschwindigkeiten von über 120 Stundenkilometern über zumindest eine Minute hinweg.
Energiemengen "schießen im wärmeren Klima durch die Decke"
Mit dem fortschreitenden Klimawandel steige jedenfalls die Gefahr solcher Ereignisse auch auf Meeresflächen, die davon früher fast nicht betroffen waren. Auch hier komme zum Tragen, dass wärmere Luft mehr Energie in Form von Wasserdampf aufnehmen kann. Pistotnik: "Die Energiemengen, die hier im Spiel sind, schießen im wärmeren Klima regelrecht durch die Decke." In einem insgesamt wärmeren Umfeld werden Entwicklungen wie in den vergangenen Tagen wahrscheinlicher.
In den nun von "Daniel" betroffenen Meeresgebieten wurde das Wasser nun stark durchmischt und abgekühlt. Das bringe dort zumindest mittelfristig Entspannung. Weite Teile des Mittelmeeres sind aber immer noch deutlich zu warm. So sei also nicht auszuschließen, dass es zu ein bis zwei weiteren, ähnlichen Sturmereignissen kommen könnte, so Pistotnik. Über das Verhalten solcher subtropischer Wirbelstürme tropischer Prägung sei bisher noch recht wenig bekannt. "Die Zugbahnen sind wirklich erratisch", so der Wissenschafter.
Oft würden sich solche Tiefs im Mittelmeerraum in Frühstadien aber auch abschwächen und gar nicht auf Land treffen. Für die Adria, die im Vergleich eine eher kleine Wasserfläche aufweist, und ihr Einzugsgebiet, zu dem auch die Alpensüdseite und damit Teile Österreichs zählen, ist das Risiko laut dem Forscher gering, die Auswirkungen eines solchen Wirbelsturmes mit warmem Kern zu erleben.