Spenderorgan-Transport mit Elektro-Fluggeräten
Die Entwicklung der automatisierten Luftfahrt mit unbemannten Drohnen oder kleinen E-Flugzeugen könnte die Transplantationsmedizin revolutionieren. Ein deutsch-österreichisches Expertenteam geht im Rahmen von Simulationsberechnungen von einer Verkürzung der Transportzeit für Spenderorgane im Vergleich zum jetzt üblichen Straßentransport und von einer Verbesserung der Transplantationsergebnisse aus.
Robin Karpstein von der Technischen Universität München und seine Co-Autoren, so auch Jakob Brolli und weitere beteiligte Wissenschafter von der Universitätsklinik für Chirurgie (Transplantationschirurgie) der MedUni Graz, haben jetzt das Potenzial fortgeschrittener Luftfahrttechnologien im Bereich der Organtransplantationen in Österreich und Deutschland evaluiert. Ausgewertet wurden unter anderem die von rund 13.000 Organtransplantationen in Deutschland und von rund 3.000 in Österreich. Die Ergebnisse sind in "Scientific Reports" (doi: 10.1038/s41598-024-81045-2) erschienen.
Erfolg hängt vom schnellen Transport der Organe ab
"Die Transplantation solider Organe ist nach wie vor die einzige oder effizienteste therapeutische Lösung für viele Erkrankungen im Endstadium. Der Erfolg einer solchen Transplantation hängt weitgehend vom schnellen Transport der Organe vom Spender zum Empfänger ab, da die 'kalte Ischämiezeit' (CIT; Transport im gekühlten Zustand ohne Durchblutung; Anm.) eine entscheidende Rolle für die medizinischen Ergebnisse beim Empfänger spielt", schrieben die Experten.
Derzeit werden Spenderorgane zumeist auf dem Landweg transportiert, wenn man von der Überbringung per Flugzeug absieht. Die Wissenschafter haben deshalb die Länge dieser Transporte aus den Daten des europäischen Transplantationsnetzwerkes Eurotransplant (2018 bis 2021) und der ÖBIG-Transplant (Gesundheit Österreich) untersucht.
Aufgrund der unterschiedlichen Größe der beiden Länder ergaben sich auch sehr unterschiedliche Resultate. Die Wissenschafter: "In ganz Deutschland liegen 48 Prozent der Fahrten innerhalb einer Entfernung von 150 Kilometer. Auf Organebene sind dies 20 Prozent der Herz- und 20 Prozent der Lungentransplantationen, 34 Prozent der Lebertransplantationen, 64 Prozent der Nieren- und 50 Prozent der Pankreastransplantationen (Bauchspeicheldrüse; Anm.). In Österreich ist ein höherer Anteil der Fahrten eher kurz, da insgesamt 80 Prozent der Fahrten innerhalb einer Entfernung von 150 Kilometer liegen. 73 Prozent der Herztransplantationen finden innerhalb einer Entfernung von 150 Kilometer statt, 65 Prozent der Lungentransplantationen, 75 Prozent der Lebertransplantationen und 88 Prozent aller Nierentransplantationen."
Zeiteinsparungen von bis zu 30 Minuten
Gerade eine Transportdistanz für Spenderorgane von unter 150 Kilometern könnte aber schon jetzt bis schon in nächster Zukunft für fortgeschrittene Luftmobilität (AAM) mit automatisierten Drohnen oder auch Klein-Flugzeugen mit der Fähigkeit zu Senkrechtstart/Senkrechtlandung (z.B. Lufttaxis mit E-Antrieb) bieten. Die Wissenschafter kommen zu folgendem Schluss: "Unter Verwendung von Daten von Eurotransplant und ÖBIG wurde festgestellt, dass 48 Prozent der Organtransporte innerhalb Deutschlands und 80 Prozent der Organtransporte innerhalb Österreichs eine Transportlänge von weniger als 150 Kilometer aufweisen. Diese Entfernung liegt im Rahmen der Möglichkeiten der heutigen AAM-Technologie. Es sind Zeiteinsparungen von bis zu 30 Minuten im Vergleich zum bodengestützten Transport zu erwarten. Darüber hinaus verspricht die durch AAM ermöglichte Optimierung des Organtransportprozesses ein größeres Potenzial zur Reduzierung der 'kalten Ischämiezeit'."
Herkömmliche Hubschrauber kommen für solche Transporte oft nicht infrage. Sie werden im Rahmen von Transplantationen nur selten eingesetzt und sind ausgesprochen teuer. Außerdem werden die Notarzthubschrauber oft für andere Notfälle benötigt.
Die neuen Technologien rund um Drohnen und Mini-Flugzeuge könnten jedenfalls auf mehrfache Weise helfen, wie die Wissenschafter in ihrer Untersuchung festgestellt haben. Kommt es nur zum Transport einer ersten Laborprobe vom Organspender (Blut für immunologische Verträglichkeitsprüfung bis zum Eintreffen des Organs), ergibt eine mögliche Zeiteinsparung von durchschnittlich 21,5 Minuten. Doch das frühere Eintreffen der Laborprobe im Transplantationszentrum könnte die Zeit der "kalten Ischämie" sogar um eine Stunde und mehr verringern, weil man sofort bei Eintreffen des Organs auf anderem Weg mit der Transplantation starten könnte. Verwendet man eine Drohne auch zum Transport des Spenderorgans, steigt die Zeitersparnis auf durchschnittlich fast 37 Minuten. Der Lufttransport mit AAM könnte für den Transport von medizinischem Personal im Vergleich zu einer Fahrt mit dem Auto im Durchschnitt gar knapp 78 Minuten Zeit ersparen.
Derzeit gibt es noch keine von den Behörden zugelassenen Fluggeräte
Derzeit gibt es international noch keine von den Behörden zugelassenen großen Fluggeräte auf AAM-Basis. Aber die Entwicklung von solchen leicht einsetzbaren Flugtaxis mit Elektroantrieb (z.B. Joby S4, Lilium) läuft auf Hochtouren. Denkbar wäre auch eine stufenweise Einführung der Geräte. Die Wissenschafter: "Abhängig von den behördlichen Genehmigungen und insbesondere der Verfügbarkeit der Technologie besteht der wahrscheinlichste schrittweise Einführungsprozess darin, die AAM-Technologie zunächst mit Laborproben zu testen, sie dann zum Transport von Organen zu verwenden und sie schließlich, wenn sich die von Menschen gesteuerten AAM-Fahrzeuge bewährt haben und zur Ergänzung der Hubschrauberflotten verfügbar sind, in die Gesundheitsversorgung einzuführen." Immerhin verringert eine Stunde weniger "kalte Ischämiezeit" die Versagensrate von Leber-Spenderorganen bereits um rund dreieinhalb Prozent. Das kann lebensentscheidend sein.