Israel: Aus der Not heraus an die Spitze der Wasseraufbereitung
Der Geruch von verdorbenen Eiern und Fäkalien liegt in der Luft auf der langen staubigen Zufahrtstraße zur Shafdan Kläranlage in Israel. Der Sand ringsherum verdreckt durch Unrat und Plastiksackerl. Doch hinter den Toren der Anlage bei Tel Aviv befindet sich eine der innovativsten Abwasseraufbereitungsanlagen der Welt. Durch nationale Kraftanstrengung schaffte es das wasserarme Land, sich im Management des kühlen Nass autark aufzustellen und für Dürreperioden vorzusorgen.
"Israel hatte eigentlich nie Herausforderungen mit Wasser, sondern immer schon signifikante Probleme", sagte Olga Slepner, Leiterin des Referats für internationale Beziehungen der Regierungsbehörde für Wasser und Kanalisation. Heute ist Israel in der Lage, Wasser auch an Nachbarländer abzugeben.
Der Bedarf im Land, das im Übergang vom mediterranen zum Wüstenklima liegt, ist seit Jahrtausenden höher als das natürliche Angebot. Die politischen Verantwortungsträger gehen zudem von aus, dass der Klimawandel die Situation noch weiter verschärfen werde.
Über viele Jahrzehnte hinweg stellte das Land die Wasserversorgung seiner Bevölkerung mit dem Abpumpen des Wassers aus dem See Genezareth im Norden, dem einzigen Süßwassersee des Landes, und Bohrungen sicher. So wie während der Pandemie hierzulande täglich mit den neuesten Corona-Zahlen in den heimischen Nachrichtensendungen begonnen wurde, wurde in Israel jahrelang der aktuelle Wasserstand des Sees übermittelt, auf dem Jesus über das Wasser gegangen sein soll. Die Werte galten als Stimmungsbarometer des Landes.
Umstieg auf Wiederverwertung
Die Kläranlagen von Mekorot, der nationalen Trinkwasserversorgungsungs-Gesellschaft, stellten beginnend mit 2005 den Umstieg auf Wiederverwertung sicher und änderten die Arbeitsweisen von Bauern signifikant. "Wir recyceln in Israel fast 90 Prozent des Abwassers der privaten Haushalte. Niemand macht das intensiver als wir. Auf Nummer zwei liegt Spanien mit 20 Prozent", sagte Lior Gutman, Pressesprecher von Mekorot. Damit wird nahezu die gesamte Bewässerung der Landwirtschaft sichergestellt, rund 1.200 Millionen Kubikmeter pro Jahr. Das entspricht 51 Prozent des nationalen Wasserbedarfs. Das Motto: "Eine langfristige Verpflichtung bis zum letzten Tropfen."
In einem großen weißen Rohr fließt so das Abwasser von rund drei Millionen Menschen aus Tel Aviv und Umgebung in die Anlage Shafdan. Im Inneren der Einrichtung angekommen durchfließt das Wasser drei verschiedene Stufen: In einer ersten Etappe werden Plastik, grober Dreck und vor allem feuchtes Toilettenpapier entfernt. Danach fließt das Wasser in große Becken nach draußen, wo Blei und andere Chemikalien entfernt werden. In der letzten Stufe wird feiner Sand ausgelöst.
Abdeckungen über den einzelnen Becken gibt es nicht, auch wenn während der heißen Sommer ein Teil des Wassers so verdunstet. "Aber mit Abdeckungen wäre der Gestank zu stark", sagte Gutman. Und bei Besichtigungen des Geländes muss man so mit einigen Spritzern am Körper rechnen, wenn das noch dunkle Wasser sprudelnd aus dem Inneren in die Becken strömt.
Sobald das Wasser im Haupthaus angelangt ist, dauert der Reinigungsprozess zwischen 24 und 36 Stunden. Drei Tage nach der Endreinigung ist das Wasser bereits 500 Kilometer weit entfernt bei Landwirten in der Wüste angekommen, um Bewässerung für ihre Plantagen sicherzustellen. Die Haushalte werden unterdessen mit Wasser aus fünf Anlagen der Meerwasserentsalzung von Mekorot versorgt. Von der Welle bis zur Ankunft im Wasserhahn dauert es dabei vier Stunden.
Unternehmen liefert 85 Prozent des israelischen Trinkwassers
Gegründet wurde Mekorot im Jahr 1937. Heute versorgt das Unternehmen Israel mit seinen etwas über neun Millionen Einwohnern mit insgesamt 14.000 Kilometer langen Pipelines mit rund 85 Prozent seines Trinkwassers. Im Jahr 2026 soll die komplette Wasserversorgung des Landes durch die Anlagen gedeckt sein. Der entstandene Klärschlamm wird für die Produktion von Elektrizität eingesetzt. Insgesamt verbraucht Mekorot mit seinen 2.000 Mitarbeitern aber aktuell noch fünf Prozent des gesamten Energieaufkommens des Landes, so viel wie kein anderes Unternehmen. Ein Plan für den großflächigen Einbau von Solaranlagen steht.
Das private Unternehmen im staatlichen Besitz bringt das Wasser in eigener Infrastruktur, dem Nationalen Wasserträger, zu den Städten und verkauft es dort an die jeweiligen Behörde, die für die letzten Meter zuständig ist. Das soll auch Gemeinden zum Wassersparen anregen.
Insgesamt seien die Investitionskosten für derartige Anlagen anfangs sehr hoch, sagte Gutman. Er war sich aber sicher, dass auch europäische Länder dem Vorbild Israels folgen werden: "Bisher gab es die große Not diesbezüglich noch nicht, wirklich jeden Tropfen wiederzuverwerten, aber das wird sich in Zukunft noch ändern."
Israel versorgt auch umliegende Gebiete mit der lebensnotwendigen Flüssigkeit in Trinkwasserqualität: Jordanien mit etwa 100 Millionen Kubikmetern, die Palästinensische Autonomiebehörde und der Gazastreifen erhalten ebenfalls größere Mengen. Sobald die Infrastruktur über dem Jordan noch besser ausgebaut wird, soll sich die Menge mindestens verdoppeln. Aufgrund der politisch heiklen Situation im Nahen Osten und zahlreicher Hacker-Attacken auf das Wassersystem hat sich Mekorot auch stark im Cyber-Schutz aufgestellt.
Alle Wasserquellen gehören dem Staat
Lange Zeit war in dem politisch unruhigen Land mit vielen Regierungswechseln das Wasser-Management auf elf unterschiedliche Stellen - Ministerien, dem Parlament und Behörden - aufgeteilt. Missmanagement und gravierender Wassermangel waren die unübersehbaren Folgen. 2008 wurde die Wasserverwaltung unter einer einzigen Stabstelle zusammengefasst. "Das war fast ein politisches Wunder. Aber die Politiker haben verstanden, dass das Problem so groß ist, dass es einen nationalen Schulterschluss braucht", sagte Slepner.
Generell gilt, dass jede einzelne Wasserquelle des Landes dem Staat gehört, auch wenn sie auf Privatbesitz liegt. "Das Einzige, das nicht darunter fällt, ist der Schweiß der Menschen", scherzte Slepner. Jeder Tropfen Wasser in den Pipelines wird zudem digitalisiert und in Echtzeit vermessen, um mögliche undichte Stellen so schnell als möglich zu entdecken.
Die Preise für den Endverbraucher und die Industrie werden zwei Mal pro Jahr evaluiert und unterscheiden sich auch von Region zu Region. Zudem gibt es niedrigere Tarife für geringeren Verbrauch, über einer gewissen Grenze steigen auch die Grundkosten. Das soll zum Sparen des kostbaren Guts animieren. Auch vergangene Werbekampagnen mit Prominenten, wie etwa Supermodel Bar Refaeli, erinnerte die Bevölkerung daran, das Wasser etwa beim Zähneputzen nicht laufen zu lassen. Buben und Mädchen lernen im Kindergarten über den richtigen Umgang. In extremen Dürre-Situationen wird auch der Wasserzugang für Landwirte eingegrenzt.
Im wasserreichen Österreich ist man von den Problemen Israels weit entfernt. Doch die Klimakrise wird das Problem auch hierzulande in den kommenden Jahren verschärfen. Wissenschafter warnten 2022 im IPCC-Bericht des Weltklimarats auch in Europa vor Wasserknappheit in der Zukunft. Das Landwirtschaftsministerium warnt, dass aufgrund der Auswirkungen der Klimakrise die verfügbaren Grundwasserressourcen in Österreich bis 2050 um bis zu 23 Prozent von derzeit 5,1 Milliarden Kubikmetern auf 3,9 Milliarden Kubikmetern abnehmen werde. Gleichzeitig werde der Bedarf steigen. Trinkwasser wird in Österreich fast zu 100 Prozent aus Grund- und Quellwasser gewonnen.