Schnelles Wachstum verschafft Bakterien Vorteil im Darm
In unserem Körper leben Billionen unterschiedlicher Mikroorganismen - mit der höchsten Dichte im Darm. Medikamente können das komplexe System der mikrobiellen Lebensgemeinschaft massiv verändern bzw. auch zerstören. Welche Keime nach einer Antibiotikatherapie, die im Darm die besten Chancen auf ein Comeback haben, untersucht der Biophysiker Daniel R. Amor am Institut für Biologie der Uni Graz. Seine jüngsten Erkenntnisse wurden im Fachblatt PNAS publiziert.
Bakterien eilt der Ruf als Krankheitserreger voraus. Doch sie gefährden nicht grundsätzlich unsere Gesundheit. Vielmehr sorgt in den meisten Fällen ein ausgewogenes Mikrobiom - also die Gesamtheit der den Menschen besiedelnden Mikroorganismen - dafür, dass aggressive, krankmachende Erreger nicht ungehindert in den Körper eindringen können. Bei guter körperlicher Verfassung wird die mikrobielle Gemeinschaft im menschlichen Darm stabil von Bakterienarten dominiert, die für den Wirt harmlos sind.
Antibiotika kennt keinen Unterschied zwischen guten und gefährlichen Keimen
Wenn die Gesundheit beeinträchtigt ist, kann die Gemeinschaft von Krankheitserregern - wie etwa der Krankenhauskeim Clostridioides difficile - übernommen werden, die die mikrobielle Gemeinschaft im Darm dominieren, die gesunden Mikroben verdrängen und schwere Krankheiten auslösen können, wie der Forscher in Graz erklärte. Dann hilft oft nur noch ein Antibiotikum: Es bekämpft die Infektion, kann dabei aber zugleich auch den nützlichen Keimcocktail im Darm empfindlich stören. Gefährliche Keime können sich dann nochmals besser ausbreiten. "Unser Verständnis darüber, wie Gemeinschaften mit mehreren Arten auf Störungen wie Antibiotika reagieren, ist begrenzt", hielten die Studienautoren fest.
Forscher gehen davon aus, dass unter den Darmbakterien unverzüglich nach der Absetzung des Antibiotikums ein Rennen um die Wiederbesiedlung des Darms beginnt. In ihm konkurrieren Bakterien, die wir gut brauchen können, gegen die für uns schädlichen Artgenossen. Welche Organismen die besten Chancen auf einen Platz im Darm haben, dürfte von mehreren Faktoren abhängen. "Bisher wusste man, dass ihre Empfindlichkeit gegenüber den Antibiotika-Wirkstoffen eine große Rolle spielt - also wie robust sie dagegen sind", erklärte Amor. Er hat mit Jeff Gore vom Department of Physics des Massachusetts Institute of Technology (MIT) herausgefunden, dass auch die Wachstumsrate der Bakterien im Rennen um den Darm entscheidend ist.
Amor und sein Kollege vom MIT haben mikrobielle Modellgemeinschaften aus zwei unterschiedlichen Bakterienspezies (Lactobacillus plantarum und Corynebakterien) in Experimenten unter Laborbedingungen beobachtet, nachdem sie ihnen unterschiedliche Antibiotika gegeben hatten. Dabei erkannten sie, dass auch gegen Antibiotika anfällige Arten wieder auftreten können. Nämlich dann, wenn sie sich schnell ausbreiten können, wie es etwa bei Corynebakterium ammoniagenes der Fall ist. Diese Spezies reagierte zwar am empfindlichsten auf Antibiotika, zugleich konnte sie nach Absetzung schneller wachsen als Lactobacillus plantarum.
Wenn Ärzte ein Antibiotikum verschreiben, orientieren sie sich normalerweise an der Empfindlichkeit der Mikroorganismen, die es zu bekämpfen gilt. "Unsere Ergebnisse zeigen, dass die Anfälligkeit von Arten gegenüber Antibiotika oft nichts über die Resilienz von Gemeinschaften aussagt, da die Wachstumsdynamik nach Antibiotika-Exposition eine dominierende Rolle spielen kann", wie hingegen die Autoren betonten. Um die Auswirkungen einer Antibiotikabehandlung zu verbessern, halten es die Autoren für sinnvoll weitere Messungen der Wachstumsraten der relevanten mikrobiellen Spezies im Labor durchzuführen. Das könnte aus ihrer Sicht zu einem effektiveren Einsatz von Antibiotika führen.
Der Biophysiker Amor stammt aus Barcelona. Dort hat er für seine Doktorarbeit untersucht, wie sich biologische Prozesse - etwa Infektionen - mit physikalischen Methoden erklären und beeinflussen lassen. Nach fünf Jahren am MIT kam er für eine Post-Doc-Stelle an die Uni Graz. Seine Untersuchungen sind im Forschungsschwerpunkt Complexity of Life in Basic Research and Innovation (COLIBRI) der Uni Graz zur Erforschung komplexer Systeme eingebunden. Darin untersuchen Forschende, wie komplexe Systeme - etwa in der Biologie, aber auch in der Gesellschaft - funktionieren, was sie beeinflusst und welche Effekte sie auslösen.
Service: Daniel R. Amor und Jeff Gore, "Fast growth can counteract antibiotic susceptibility in shaping microbial community resilience to antibiotics." Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS). 04.2022. https://doi.org/10.1073/pnas.2116954119