Post-Olympics mit Blues - Forschung steckt in Kinderschuhen
Fast vier Monate sind seit der Eröffnung der Sommerspiele in Paris vergangen. Mit dem Tag X ist die jahrelange, penible Planung beendet gewesen. Viele Sportlerinnen und Sportler blickten nach ihrem Antreten auf ein großes Fragezeichen. Violetta Oblinger-Peters, 2008 in Peking Olympia-Bronzemedaillengewinnerin im Kanu, beschäftigt sich mit dem Thema "Post-Olympic Blues". Denn die Leere im Terminkalender kann bei dem einen oder der anderen auch eine innere Leere verursachen.
Oblinger-Peters arbeitet als Doktorandin für Sportpsychologie am Institut für Sportwissenschaft der Universität Bern, u.a. forscht sie zum Thema Existenzieller Sinn im Leistungssport. Sie wählte "Post-Olympics" als PhD-Projekt und führte unter Athletinnen und Athleten aus unterschiedlichen Sportarten und Kontinenten, die an den Winterspielen 2022 in Peking teilnahmen, eine Langzeit-Studie durch. Die drei Erhebungszeitpunkte waren unmittelbar nach dem Großevent sowie ein Jahr später.
Die Frage nach dem Sinn im Leben - und im Sport
Die Zeit nach den Olympischen Spielen sei eine Phase, in der sich Sportlerinnen und Sportler ganz grundsätzliche Fragen stellen, die auch den Sinn im Sport und im Leben betreffen, sagte die 47-jährige Oblinger-Peters zur APA - Austria Presse Agentur. "Es hat viel damit zu tun, wie wir kulturell über Leistungssport schreiben, reden und denken. Wir bauschen das ja so auf. Da sind diese vier Jahre, dann sind die großen Spiele und danach ist gut. Aber für die Leute ist es eben nicht gut. Die Protagonisten und Protagonistinnen fallen dann wirklich in dieses Loch. Was kommt danach? Dafür haben wir kein Skript."
Bis zu den Spielen sei relativ genau vorgegeben, was passiert, danach seien die Akteure und Akteurinnen relativ uninteressant. "Es gibt Studien, die zeigen, dass sie sich wie Medaillenproduktionsmaschinen fühlen ("kommodifiziert") und nicht als Mensch gesehen werden. Dass es egal ist, wer die Medaille holt, es nur um die Anzahl und die Farbe geht. Sie fühlen sich unglaublich benutzt und disidentifizieren sich dann zynisch vom System", sagte Oblinger-Peters.
Es gibt auch positive Bewältigung
Diejenigen aber, für die klar ist, weshalb sie den Leistungssport machen, und die für sich die Sinnfragen beantworten können, hätten eine positive Bewältigung, sei bei ihrer Studie rausgekommen. "Für mich ist das Sinnkonstrukt das Erklärende. Andere, die andere Konstrukte haben, würden es anders erklären. Die würden die Biologie viel mehr miteinbeziehen." So gäbe es aus biologischer, medizinischer Sicht den Erklärungsversuch, dass ein Gefühl ähnlich einer Entzugserscheinung aufkomme. "Die ganzen Reize brechen weg, sie fühlen sich extrem leer, so unglaublich ausgelaugt."
Das Bedürfnis zu verstehen, weshalb es jemand einfach nicht gut gehe, oder wie lange das dauere, sei groß. "Bei mir in der Studie ist es so, dass häufig von einem bis eineinhalb Jahre gesprochen wird. Da geht es hoch und runter, da gibt es depressive Verstimmungen. Es ging vielen gar nicht gut, und sie haben versucht, sich das irgendwie zu erklären."
Entspannen nach Olympia fällt manchen schwer
Oblinger-Peters erzählte von Studienteilnehmern und -teilnehmerinnen, die nach den Spielen erst einmal wochenlang herumreisten - mit dem Bedürfnis, sich zu entspannen. "Aber das konnten sie nicht. Sie haben Panikattacken bekommen, weil sie gemerkt haben, sie können vor diesen Entscheidungen, die jetzt anstehen, nicht weglaufen. Die Fragen müssen geklärt werden."
Die Sportpsychologie würde sagen, dass es wichtig sei, Pläne für nachher zu haben, dass man in dieser Zeit unterstützt werde. Oblinger-Peters: "Aber das System ist nicht so gemacht, dass man nachher gut unterstützt werden kann. Weil viele Ressourcen wegbrechen, Trainerstellen neu ausverhandelt werden. Häufig sind auch Wahlen in den Verbänden, die in diesem Rhythmus stattfinden. Alle Strukturen zerfallen. Es ist eine ungünstige Zeit, um aufgefangen zu werden."
Oblinger-Peters bemerkte "interessanterweise" keinen Unterschied, ob die Spiele für die Person mit Erfolg gekrönt waren oder nicht. "Jeder und jede hat seine subjektive Theorie, weshalb es ihm oder ihr gut oder schlecht geht. Das geht einmal in die eine, einmal in die andere Richtung. Viele von ihnen hatten mehrere Post-Olympics-Phasen, weil sie zwei-, oder dreimal an den Spielen teilgenommen haben. Andere waren das erste Mal dabei."
So erzählte ihr eine Person, dass es ihr, obwohl es sportlich schlecht gelaufen sei, ganz gut ging, weil sie gleich mit einem neuen Ziel weitermachen konnte. "Dann gab es welche, die gesagt haben, sie seien, obwohl es gut gelaufen sei, in ein Loch gefallen, weil sie nicht wussten, ob sie da nochmals hinkommen werden."
Mit dem eigenen Ergebnis zufrieden sein, kann helfen
Es gäbe Studien, die zu zeigen versuchen, dass wenn Zufriedenheit mit dem eigenen Ergebnis bestehe, die Wahrscheinlichkeit nachher depressive Verstimmungen zu haben, geringer sei. "Aber wir müssen ganz vorsichtig sein, weil es ganz wenige quantitative Studien dazu gibt, wie viel Prozent der Olympiateilnehmerinnen und Olympiateilnehmer betroffen sind", sagte die ehemalige Spitzensportlerin.
Oblinger-Peters hatte nach ihrem Medaillengewinn 2008 keinen Blues, erlebte diesen aber zuvor bei ihrem Ehemann Helmut Oblinger, der 2000 in Sydney Vierter geworden war. "Er hatte eine fürchterliche Zeit", erinnert sich die Oberösterreicherin.
Ihre eigene Teilnahme an Peking-Olympia war wegen eines Herzproblems inklusive Katheterablation unklar gewesen. Nach dem Medaillengewinn sei - auch mit der Schwangerschaft - so viel Positives zusammengekommen. "Die Medaille war in dem Gesamtkontext so etwas Schönes und Positives. Sie war das Symbol für unseren Weg, und eben nicht nur das große sportliche Ziel, das ist abhake. Ich habe mich nie als Medaillenproduktionsmaschine gesehen."
Das Thema "Post-Olympics" ist noch sehr unerforscht, Oblinger-Peters begann eine Kooperation mit einigen internationalen Forschern. "Wir müssen alle im System darauf schauen, dass es der Sportlerin und dem Sportler nicht nur bis zum Tag X gut geht, sondern sie dann auch rausführen. Ich möchte die Verantwortung gerne mittragen, in welcher Form auch immer." Wer weiß, vielleicht in Zukunft in einem wissenschaftlichen Projekt im Rahmen des Aktionsplans "Mental Health" des Internationalen Olympischen Komitees, oder auch in einer Zusammenarbeit mit dem Österreichischen Olympischen Komitee.
(Das Gespräch führte Birgit Egarter/APA)