Von der Steinzeit bis heute; Genanalysen offenbaren dramatische Geschichte domestizierter Schafe
Durch die statistische Analyse von hunderten DNA-Proben von steinzeitlichen und modernen Schafen hat ein internationales Forschungsteam mit Beteiligung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften die Domestizierung, Verbreitung und Populationsentwicklung über die letzten 12.000 Jahre rekonstruiert. Die Ergebnisse werden in der Fachzeitschrift "Science Advances" publiziert.
Schafe gehören zu den ersten Tieren, die von Menschen domestiziert wurden. Ausgrabungen der steinzeitlichen Siedlung Aşıklı Höyük in Zentralanatolien (heutige Türkei), die rund 10.300 Jahre alt ist, zeigen frühe Spuren der Haltung von Schafen als Nutztiere. Einem internationalen Forschungsteam ist es gelungen, mitochondriale DNA aus den Knochenüberresten zu isolieren und mit Proben aus anderen Regionen und späteren Epochen zu vergleichen.
Schafspopulationen über 10.000 Jahre rekonstruiert
"Aşıklı Höyük war 1.000 Jahre lang besiedelt, dadurch haben wir hier einen unvergleichlichen Schatz an genetischer Information über eine sehr frühe, domestizierte Schafpopulation. Die genetischen Expertinnen und Experten haben mitochondriale DNA, die nur von der Mutter weitergegeben wird, aus Knochen isoliert und mit Proben aus anderen archäologischen Fundstellen in Anatolien, der Levante, dem Kaukasus und Europa kombiniert. Durch den Vergleich mit der mitochondrialen DNA moderner Schafe aus 15 Ländern konnten wir die Entwicklung der Schafspopulationen in Europa und Asien über die vergangenen 10.000 Jahre rekonstruieren", sagt die wissenschaftliche Direktorin des Österreichischen Archäologischen Instituts Barbara Horejs, die mit ihrem Team für die Österreichische Akademie der Wissenschaften (ÖAW) an der Arbeit mitgewirkt hat.
Die Analysen der Forscher:innen zeigen, dass die genetische Vielfalt unter den domestizierten Schafen in Aşıklı Höyük über den gesamten tausendjährigen Besiedlungszeitraum hoch war, obwohl viele Domestizierungstheorien einen genetischen Flaschenhals für frühe Nutztierpopulationen in Herdenhaltung voraussagen. "Fünf verschiedene mütterliche Erblinien kommen mit relativ gleicher Verteilung über die gesamten 1.000 Jahre vor, obwohl archäologische Spuren nahelegen, dass sich die Haltung und Nutzung zur Fleischproduktion in dieser Phase intensiviert haben. Eine mögliche Erklärung dafür ist, dass eine recht große Population regelmäßig durch das Einkreuzen wilder Tiere aufgestockt wurde", sagt Horejs.
Steinzeit-Erbgut in heutigen Schafen
In modernen Schafspopulationen in Europa und Asien finden sich nur noch zwei der fünf mitochondrialen Erblinien, die in Aşıklı Höyük präsent waren. Die rund 60 Millionen Schafe, die heute in Europa gehalten werden, gehören fast ausschließlich zur Haplogruppe B. "Modellierungen von Populationsentwicklungen zeigen, dass es später einen genetischen Flaschenhals gegeben haben muss, irgendwann zwischen dem Ende der Besiedlung von Aşıklı Höyük und der Einführung der domestizierten Schafe in Europa vor rund 8.500 Jahren. Genau in diesen Zeitraum gehören unsere Proben vom Çukuriçi Höyük, die wir bei Ausgrabungen dieser Pioniersiedlung der ältesten bäuerlichen Gruppen an der türkischen Ägäisküste gefunden haben und die ÖAW-Archäozoologe Alfred Galik untersucht hat. Die genetischen Ergebnisse der domestizierten Schafe vom neolithischen Çukuriçi in unserer Studie gehören zur Haplogruppe B und unterstützen diese Interpretation", sagt Horejs.
Statistische Analysen zeigen, dass die Population in dieser Phase etwa um einen Faktor zehn zurückgegangen sein muss. In den vergangenen 5.000 Jahren hat sich die Population in Europa dann wieder mehr als verzehnfacht. "Unsere Untersuchungen belegen, dass die frühe Nutztierhaltung sich schnell entwickelt hat, mit stabilen Populationen, einem regen Austausch von Tieren zwischen Siedlungen und regelmäßigem Einkreuzen von Wildtieren. Einen genetischen Flaschenhals gab es erst im Zuge der Ausbreitung der Nutztierhaltung von Anatolien aus nach Europa und Asien, die parallel zur Verbreitung der Landwirtschaft stattgefunden hat", sagt Horejs und betont: "Zukünftige Analysen des kompletten Genoms der Schafe, über die mitochondriale DNA hinaus, können weitere wichtige Informationen über Populationen und Wanderungen von Menschen und Tieren in dieser entscheidenden Epoche unserer Geschichte liefern."
Derzeit laufende Forschungen von Horejs mit ihrem neuen Modell der "Multispecies Mobility" lassen Erkenntnisse zur Bedeutung verschiedener Spezies bei der Transformation von Jäger- und Sammlergruppen in sesshafte Ackerbauern erwarten.
Publikation
"Ancient sheep mitogenomes from Neolithic Anatolia and Europe reveal dramatic demographic fluctuations over the last 12,000 years", Edson Sandoval-Castellanos et al., Science Advances, 2024
Rückfragehinweis: Sven Hartwig Leiter Öffentlichkeit & Kommunikation Österreichische Akademie der Wissenschaften Dr. Ignaz Seipel-Platz 2, 1010 Wien T +43 1 51581-1331 sven.hartwig@oeaw.ac.at Barbara Horejs Österreichisches Archäologisches Institut Österreichische Akademie der Wissenschaften Dominikanerbastei 16, 1010 Wien T +43 1 51581-6101 barbara.horejs@oeaw.ac.at