Sinkende Geburtenraten: Nach der Pandemie kam die Teuerung
Demograph:innen der Österreichischen Akademie der Wissenschaften haben die Schwankungen in den Geburtenzahlen von 26 Ländern während der Covid-Pandemie analysiert und mehrere Faktoren gefunden, die die Entwicklungen beeinflusst haben. Im Gegensatz zu vergleichbaren historischen Ereignissen erholten sich die Geburtenraten am Ende der Pandemie nicht und es kam in vielen Ländern zu einem starken Geburtenrückgang.
Die Demograf:innen Maria Winkler-Dworak, Kryštof Zeman und Tomáš Sobotka von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) untersuchen in einer aktuellen Publikation in der Fachzeitschrift "Human Reproduction Open", wie sich die Geburtenraten in 26 Ländern in der Spätphase der Corona-Pandemie zwischen November 2021 und Oktober 2022 entwickelt haben.
Die Forscher:innen haben auf Daten aus der Human Fertility Database, die gemeinsam vom Vienna Institute of Demography der ÖAW und dem deutschen Max Planck Institut für Demografische Forschung betrieben wird, zurückgegriffen und die monatlichen Geburtenraten pro Frau im gebärfähigen Alter in 21 europäischen Ländern sowie in Israel, Kanada, den USA, Japan und Südkorea verglichen.
Geburtenrate auch in Österreich gesunken
"Für diese wohlhabenden Länder haben wir belastbare Schätzungen für die Fertilitätsraten im Verlauf der COVID-Pandemie, die wir dann um saisonale Schwankungen bereinigt haben, um vergleichbare monatliche Werte zu erhalten. Die Entwicklungen in den Ländern unterscheiden sich zum Teil deutlich, aber es gibt trotzdem einen sichtbaren Trend: In der Spätphase der Pandemie zwischen November 2021 und Oktober 2022 sind die Geburtenraten in fast allen Ländern gesunken, auch bei uns in Österreich", sagt Maria Winkler-Dworak von der ÖAW. So sank die Gesamtfertilitätsrate in Österreich von 1,51 Geburten pro Frau im November 2021 auf 1,42 im Oktober 2022.
Bei früheren Pandemien kam es währenddessen zu Rückgängen, aber nach dem Ende meist zu einem deutlichen Anstieg der Geburtenraten. "Aus Studien zur Spanischen Grippe wissen wir zum Beispiel, dass zu Beginn der Krankheitswelle ein starker Rückgang verzeichnet wurde und gegen Ende eine Erholung. Das ist typisch für solche Zäsuren. Auch bei COVID gab es neun Monate nach dem Ausbruch 2020 einen Rückgang. Unsere Untersuchung zeigt, dass es danach auch mancherorts einen Mini-Babyboom gegeben hat, allerdings weit vor dem Ende der Pandemie und in deutlich geringerem Ausmaß", sagt ÖAW-Demograph Tomáš Sobotka.
Inflation, Impfprogramme, Corona-Politik
Um mögliche Ursachen für die Veränderungen der Geburtenzahlen zu identifizieren, haben die Forscher:innen Daten zur wirtschaftlichen Situation, politischen Maßnahmen und den Impfprogrammen in den analysierten Ländern zusammengetragen und drei Faktoren gefunden, die statistisch signifikant mit den Schwankungen korrelieren. "Die ökonomische Unsicherheit spielt sicher eine Rolle. Der Arbeitsmarkt hat sich nach den Einbrüchen zu Beginn der Pandemie erholt, was steigende Geburtenraten fördert. Allerdings ist durch Verwerfungen in den Lieferketten auch die Inflation gestiegen, was den positiven Effekt dämpft", sagt Maria Winkler-Dworak.
Maßnahmen wie Lockdowns und Social Distancing, die von der Politik gesetzt wurden, um die Ausbreitung der Pandemie zu verlangsamen, haben die Geburtenraten ebenfalls beeinflusst. "Nach der ersten Coronawelle und dem damit verbundenen Lockdown kam es in einigen Ländern schon 2021 zu einer geringfügigen Zunahme bei den Geburtenraten. Die politischen Maßnahmen und Home-Office-Regelungen haben zudem dazu beigetragen, dass viele Menschen mehr Zeit zuhause verbracht haben. Das hat neun Monate später die Mini-Booms bei den Geburtenraten befeuert", sagt Tomáš Sobotka. Mit dem Auslaufen der Maßnahmen kehrten die Geburtenraten aber zum früheren rückläufigen Trend zurück.
Der dritte relevante Faktor, den die Studienautor:innen präsentieren, ist das Timing der Impfprogramme in den Ländern, welches mit einem temporärem Rückgang der Geburtenraten neun Monate später zusammenfiel. "Weil seit geraumer Zeit viele Falschinformationen zu Impfungen kursieren, ist es wichtig festzuhalten, dass die Impfungen selbst keinen negativen Einfluss auf die Geburtenraten hatten. Zum Beispiel verzeichnete Portugal einen Anstieg der Fertilitätsrate während der ersten Impfwelle. Aber insgesamt lässt sich aus den Zahlen ableiten, dass viele Frauen ihren Kinderwunsch kurzzeitig aufgeschoben haben, bis sie vollständig geimpft waren", so Maria Winkler-Dworak.
Publikation
Birth rate decline in the later phase of the COVID-19 pandemic: the role of policy interventions, vaccination programmes, and economic uncertainty, Maria Winkler-Dworak, Krystof Zeman, Tomas Sobotka, Human Reproduction Open, Issue 3, 2024
DOI: https://doi.org/10.1093/hropen/hoae052
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