Wenn Spielen süchtig macht
Spielen ist an sich ein unbefangenes Vergnügen, das die Kreativität fördert oder bei Problemstellungen helfen kann. In seiner übersteigerten Form kann das Spiel aber krankhafte Züge annehmen und sich in ähnlichen Symptomen wie andere Suchterkrankungen äußern. Mit Therapien lassen sich gute Erfolge erzielen. Die Wissenschaft kann aber laut Michael Musalek, ärztlicher Leiter des Wiener Anton-Proksch-Instituts (API) für Suchtkranke, nur bedingt helfen, vor allem mit monokausalen Erklärungsansätzen.
Pathologisches Spielen wird nach dem internationalen Krankheitsregister ICD-10 der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als Störung der Impulskontrolle gesehen. Im amerikanischen Register DSM-5 der APA (American Psychiatric Association) dagegen wird es bereits als Suchterkrankung eingestuft. In der klinischen Praxis sei es aber "keine Frage, dass es sich um eine Suchterkrankung handelt und nicht nur um eine Verhaltensstörung", betonte Musalek im Gespräch mit APA-Science.
Folglich gelten in der Diagnostik auch die allgemeinen Suchtkriterien, so der Experte. Diese reichen vom "Craving", dem starken Drang zu spielen, über Dosissteigerung, Kontrollverlust, körperlichen Entzugserscheinungen wie Schwitzen und Zittern bis zum Rückzug aus dem Sozialleben - das Spielen wird zum Lebensmittelpunkt. Bei Vorliegen von drei der sechs Kriterien könne man vom Vorliegen einer Spielsucht sprechen.
Gefährlicher Gewinn
"Erwischen" könne es im Grunde jeden, einen speziellen "Spieler-Persönlichkeitstypus" oder ein "Sucht-Gen" hält Musalek für eine Mär. Viele Wege führen zum pathologischen Glücksspiel, aber einer ist besonders gefährlich. "Das was wir mit Sicherheit sagen können ist, dass jeder Glücksspielabhängige einmal groß gewonnen hat. Das Furchtbarste was jemandem passieren kann ist, dass er hoch gewinnt." Erschwerend kommen oft Komorbiditäten, also Begleiterkrankungen wie zum Beispiel Alkoholabhängigkeit, Persönlichkeitsstörungen oder Depressionen hinzu: "Eine Glücksspielsucht kommt nie alleine. Die Grundstörung ist meist eine Depression, Angstzustände, massive psychosoziale Probleme. Und das kompensiert man dann mit Spielen."
Spricht man von Spielsucht, heißt das in der Regel Glücksspielsucht, die auch mit finanziellem Einsatz verbunden ist. Dieser Abhängigkeit wird oft am Automaten, in Casinos, Wettbüros, aber auch am Handy oder am PC nachgegangen. Überschneidungen mit der sogenannten Onlinesucht sind häufig. Darunter fallen Glücksspiele, Online-Spiele wie World of Warcraft oder Ego-Shooter sowie Social Media. "Die Sucht, von der wir noch am wenigsten wissen, die uns aber im nächsten Jahrzehnt am meisten beschäftigen wird, ist jene die sich rund um und in Social Media abspielt."
Hier zeige sich wieder ein allgemeingültiger Mechanismus des Suchtverhaltens: "Es ist immer der gleiche Zusammenhang: Umso besser ein Suchtmittel verfügbar ist, umso mehr wird es konsumiert." Und je mehr Menschen ein Suchtmittel gebrauchen, desto mehr Suchtkranke gebe es auch, sieht Musalek eine direkte Korrelation.
Zahlen zur Spielsucht
Zahlen zum problematischen Glücksspiel sind rar und stammen meistens aus Telefonumfragen. So hat das deutsche Institut für interdisziplinäre Sucht- und Drogenforschung (ISD) 2015 in Kooperation mit Gallup eine Repräsentativbefragung unter 10.000 Österreichern von 14 bis 65 Jahren durchgeführt. Dieser Studie ("Glücksspielverhalten und Glücksspielprobleme in Österreich") zufolge liegt bei etwa 64.000 Personen, also etwa 1,1 Prozent der Bevölkerung innerhalb dieser Altersspanne, ein problematisches oder pathologisches Spielerverhalten vor.
Männer weisen laut der Befragung zu einem höheren Anteil ein problematisches oder pathologisches Spielverhalten auf als Frauen (1,6 Prozent zu 0,5 Prozent). Innerhalb der Altersgruppen gibt es große Unterschiede, die 14- bis 30-Jährigen sind von Spielproblemen am stärksten betroffen (1,8 Prozent). (Anmerkung: Aus Gründen der Vergleichbarkeit zu der vorangegangenen Untersuchung 2009 wurden für die Befragung die DSM-4 Kriterien herangezogen. Im Wesentlichen gebe es aber kaum Unterscheidungen zu DSM-5, so die Autoren.)
Sucht-Experte Musalek bewertet sämtliche Zahlen, die in diesem Zusammenhang kolportiert werden, mit extremer Vorsicht. Das Thema Sucht sei an sich schon stark schambehaftet, für die Spielsucht treffe das in besonderem Maß zu. Das bedeutet, die Dunkelziffer von pathologischen Spielern könnte noch höher sein. Verwässert würden solche Ergebnisse auch durch teils extreme regionale Unterschiede, die sich durch unterschiedliche gesetzliche Regelungen rund um das kleine Glücksspiel(Automatenglücksspiel)erklären.
Therapie vielversprechend
Der Weg zu einer Spielsucht-Diagnose ist nicht immer einfach. Häufig werden Betroffene über Schuldnerberatungen an das Anton-Proksch-Institut verwiesen oder von Familienangehörigen, die die entstandenen Schulden nicht mehr bezahlen können oder wollen. Hand in Hand mit dem Suchtproblem gehen folglich auch massive soziale und finanzielle Probleme.
Ist die Krankheit einmal diagnostiziert, ist die Prognose "hervorragend" - wenn jemand regelmäßig zur Therapie geht. "Dann können wir wie bei allen anderen Suchterkrankungen mit einer 80-prozentigen Symptomfreiheits-Chance rechnen", erklärt Musalek. Allerdings sei eine Suchterkrankung immer chronisch, vergleichbar am ehesten mit einer Allergie: "Eine Allergie hat man ein Leben lang, die geht auch nicht weg. Aber wenn man mit dem Allergens nicht in Kontakt kommt, ist man pumperlg'sund."
Entscheidend sei es, sich frühzeitig und regelmäßig in Behandlung zu begeben. Die Therapie bezieht sich dann auf das Spielen selbst, auf Komorbiditäten und das "Allerwesentlichste", nämlich eine Lebensneugestaltung. "Wenn man sich quasi nur zusammenreißen möchte und gegen die Depression etwas macht, ist das in der Regel zu wenig. Es braucht neue Schwerpunktsetzungen, so dass die Attraktivität des Glücksspiels in den Hintergrund rückt." Ein Weg vom pathologischen zurück zum moderaten Spielen ist zwar nicht unmöglich, aber selten zu beobachten: "Wenn jemand wirklich suchtkrank ist, dann ist das in der Regel nicht mehr möglich - ähnlich wie beim Alkohol."
Ähnliche Sucht-Mechanismen
Die biochemischen Mechanismen einer Spielsucht unterscheiden sich nicht wesentlich von anderen Süchten. Nach Ergebnissen US-amerikanischer Forschungen dürfte das Belohnungssystem im Gehirn, genauer das limbische System und der "Glücksbotenstoff" Dopamin, eine zentrale Rolle spielen. Für den therapeutischen Alltag hat das allerdings kaum Relevanz. "Die Chance, dass wir den einen Faktor finden werden, der uns die Entwicklung der Spielsucht erklärt, halte ich für Null", ist Musalek vor allem gegenüber monokausalen Erklärungsansätzen skeptisch. So interessant die Grundlagenforschung in dem Bereich sei, in der klinischen Praxis weise jeder einzelne Mensch ein höchst komplexes Zusammenspiel verschiedener Einflüsse auf, die letztlich in eine Suchterkrankung münden. In der Forschung werde man demzufolge eher mit systemischen Ansätzen weiterkommen.
Bewusstsein als Prävention
Die beste Vorbeugung sei, über das Gefahrenmoment des Spielens Bescheid zu wissen, was aber immer noch relativ tabuisiert sei. Das führe in ein Dilemma: Solange jemand unauffällig sei, wolle man die Gefahr oft nicht sehen. Ab dem Zeitpunkt, wo jemand süchtig wird, drohe die Stigmatisierung. "Mit anderen Worten: Wir beginnen immer mit einer Bagatellisierung und dann wenn es soweit ist, dramatisieren wir."
Abhilfe schaffen könnte nur ausreichende und gediegene Information. Kein Patient habe sich am Anfang vorstellen können, wie dramatisch sich die Situation entwickeln würde - vor allem, weil niemand darüber spreche. Als Eltern eines spielsüchtigen Sprösslings sei es umso wichtiger, das Gespräch zu suchen und nicht mit Verboten zu drohen. "Wenn man gleich Sanktionen setzt, dann blockt der Jugendliche und man hat keinen Zugang mehr. Und dann hat man keine Möglichkeit mehr, helfend oder steuernd einzugreifen."
Von Mario Wasserfaller / APA-Science