Klima-Glossar: Klimaklagen
Klimaklagen sind der Versuch, Gerichte im Sinne des Klimaschutzes in Stellung zu bringen. Sie treten dabei in unterschiedlichen Formen und Rechtsbereichen auf, etwa gegen Unternehmen im Bereich des Privatrechts oder vor allem unter Berufung auf die Menschenrechte gegen Staaten oder auch die EU. Das Ziel kann sein, eine gerichtliche Feststellung zu bewirken, dass jene mehr für den Klimaschutz tun müssen - auch Schadensersatz oder Unterlassung spielen u. a. eine Rolle.
Unter das Privatrecht fallen die Rechtsbeziehungen zwischen "natürlichen Personen", also Bürgerinnen und Bürgern aber auch "juristischen Personen" wie Unternehmen. In diesem Bereich sind die Klagen vielfältig: In der Regel richten sie sich gegen Unternehmen und stützen sich auf die Argumentation, dass klimaschädliche Produktion, Energiegewinnung oder aber der Verkauf klimaschädlicher Produkte Ansprüche auf Schadensersatz oder Unterlassung rechtfertigen. Ziel einer Klimaklage auf privatrechtlicher Grundlage kann Kostenersatz für Anpassungsmaßnahmen sein, etwa für den Bau von Dämmen gegen Hochwasser. Ein neueres Phänomen sind Klagen gegen Finanzinstitute, denen eine rechtliche Verantwortung wegen der Finanzierung klimawandeltreibender Unternehmungen vorgeworfen wird. Auch Klagen in Bezug auf Greenwashing, also Fehlinformationen zur Nachhaltigkeit eines verkauften Produktes, werden inzwischen zu den Klimaklagen gezählt.
Trend zu mehr privatrechtlichen Prozessen
"Global gesehen besteht aktuell ein Trend zu mehr privatrechtlichen Prozessen in diesem Bereich", sagte Stephanie Nitsch, Leiterin der Forschungsstelle für Umweltrecht an der Universität Wien, zur APA. "Ob die einzelnen Verfahren dann erfolgreich sind, wird sich zeigen." In der Vergangenheit habe es neben einigen Misserfolgen für die Kläger auch Erfolge gegeben, wie etwa ein Urteil gegen Shell am Bezirksgericht Den Haag im Jahr 2021.
Demgegenüber werden im öffentlichen Recht gegenüber Staaten oder Hoheitsträgern wie der EU vor allem Grund- und Menschenrechte angeführt. Jene schützen gewisse "Rechtsgüter" wie etwa das Leben, die Gesundheit und das Eigentum oder aber Tätigkeiten wie das Demonstrationsrecht oder die freie Meinungsäußerung. "Die Grund- und Menschenrechte sind so vage formuliert, dass sie Interpretationsspielräume eröffnen", sagte Michael Lysander Fremuth, wissenschaftlicher Direktor des Ludwig Boltzmann Instituts für Menschenrechte in Wien, zur APA. Wissenschaft und Gerichte seien deswegen berufen, den Menschenrechtsschutz immer wieder zu aktualisieren, auch in Bezug auf den Klimawandel. Hinsichtlich der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) wird dabei neben Artikel 2, dem Recht auf Leben, insbesondere Artikel 8, das Recht auf Privat- und Familienleben, eingefordert.
Ein erhöhtes Aufkommen von Klagen seit 10 Jahren
In Bezug auf die Menschenrechte gibt es seit rund zehn Jahren ein erhöhtes Aufkommen von Klagen. Ein erster medienwirksamer Erfolg war der Fall "Urgenda" in den Niederlanden. Damals hatte ein niederländisches Gericht die Regierung zu einer verstärkten Reduzierung der Treibhausgas-Emissionen verpflichtet. 2021 wurde Klimaneutralität in Deutschland mit einem Beschluss des Bundesverfassungsgerichtshof sogar als verfassungsrechtlich verbürgtes Ziel anerkannt. "Das war verknüpft mit einem intertemporalen Freiheitsversprechen; denn wenn heute nicht genug gespart wird, werden zukünftige Generationen so hart sparen müssen, dass fast gar keine Freiheitsbetätigung mehr möglich ist", so Fremuth. Welche Maßnahmen dorthin führen sollen, bleibt aber vom Gesetzgeber zu bestimmen.
In der österreichischen Rechtsordnung besteht keine Möglichkeit, den Gesetzgeber zu verpflichten, neue Gesetze zu erlassen. Der Verfassungsgerichtshof (VfGH) kann Gesetze "nur" aufheben - das ist allerdings häufig nicht im Sinne der Kläger, die mangelhafte Gesetzgebung meist verändern möchten. "Stark vereinfacht gesagt: Es sind Zulässigkeitskriterien und Prozessvoraussetzungen, an denen eine Vielzahl an Beschwerden hierzulande gescheitert ist", sagte Fremuth. Der VfGH bewerte jene Kriterien nicht nur in Bezug auf den Klimaschutz relativ streng. Ein rechtsstaatlich nachvollziehbarer Standpunkt, meinte der Jurist: "Ich sehe es durchaus positiv, dass Gerichte erklären: Wenn ihr mehr Maßnahmen wollt, dann wendet euch an die vorrangig Verantwortlichen, also insbesondere die Gesetzgeber."
Beim Urteil zur Klage des Vereins "KlimaSeniorinnen Schweiz" hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) im April festgestellt, dass die Schweiz ihre Verpflichtungen zum Klimaschutz im Hinblick auf das Recht auf Privat- und Familienleben verletzt. "Der EGMR hat erstmals sehr deutlich ausgeführt, dass Artikel 8 ein Anspruch auf Schutz vor den negativen Auswirkungen auf Leben, Gesundheit, Lebensqualität und Wohlbefinden entnommen werden kann", so Fremuth. Der Vorwurf war, dass es in der Schweiz keine durchgehende Gesetzgebung zur Reduktion der Treibhausgasemissionen gab und dass die Schweiz die eigenen Ziele selbst in der Vergangenheit nicht erreicht hatte.
Klimaklage gegen Österreich
Auch eine Klimaklage gegen Österreich hat jüngst vor dem EGMR einen höheren Status ("priority status") erreicht, wird also schneller als Fälle ohne Priorität behandelt. Die Bundesregierung muss bis zum 20. September eine Stellungnahme abgeben und die Fragen des Gerichtshofes beantworten. "Gemessen an dem KlimaSeniorinnen-Urteil wird man wohl sagen müssen, dass die Rechtslage in Österreich gegenwärtig nicht EMRK-konform ist, denn die gesetzliche Fortschreibung von Reduktionspflichten im Klimaschutzgesetz ist ausständig", sagte Fremuth. Auch hier könnte der Gerichtshof eine Rechtsverletzung feststellen, wie im Falle der Schweiz. Ob er theoretisch auch weitergehende, legislative Maßnahmen vorschreiben darf, werde zwar unter Fachleuten kontrovers gesehen, der Gerichtshof sehe sich aber dazu befugt.
In den Extremen gibt es in den Rechtswissenschaften zwei konkurrierende Positionen in Bezug auf Klimaklagen, wie Fremuth erklärte: "Die Einen sagen, dass es für den Klimaschutz und hinsichtlich der Belastungen, die mit ihm verbunden sind, fundamental politische Entscheidungen braucht - Gerichtsentscheidungen in diesem hochpolitischen Bereich würden die Gewaltenteilung gefährden und die Gerichte zudem überfordern. Die Anderen halten strategische Prozessführung schon ob ihrer Öffentlichkeitswirkung für wichtig; sie erkennen die Ermahnung der Politik als Aufgabe der Gerichte und wenn dann zusätzlich eine für den Kläger erfolgreiche Entscheidung gefällt wird, sehen sie das als Sieg, letztlich für die gesamte Menschheit."
Einen Grund für die anhaltenden Diskussionen sieht Nitsch in der Vielfältigkeit des Phänomens und den unterschiedlichen rechtlichen Grundlagen der jeweiligen Klagen: Wenn beispielsweise Produkte mit unrichtigen Aussagen zu deren Nachhaltigkeit beworben werden, sei das eine Aufgabe der Gerichte. Ihrer Meinung nach ist es deshalb wichtig zu unterscheiden, auf welcher rechtlichen Argumentation eine Klage basiert und wann es mitunter einen Konflikt hinsichtlich der Gewaltenteilung geben könnte.
Service: Globale Datenbank von Klimaklagen: https://climatecasechart.com