"Wien am Sand" - Ausflug zu Überresten tropischer Meere in der Stadt
Wem die tiefen Temperaturen schon zu schaffen machen, dem empfiehlt sich ein Ausflug in tropische Gefilde. Diesen Trip kann man auch auf dem Sofa machen - mit dem neuen Buch der beiden Paläontologen Mathias Harzhauser und Thomas Hofmann "Wien am Sand". Darin entführen sie zu den Überresten tropischer Meere in der Stadt, von denen viele Fossilien zeugen, die noch bis ins frühe 20. Jahrhundert in hunderten Steinbrüchen, Sand- und Tongruben auf dem Stadtgebiet gefunden wurden.
Die meisten dieser Fundstellen sind heute zugeschüttet, abgetragen und verbaut, an sie erinnern höchstens noch Straßennamen wie die Tongasse im 3. Bezirk oder die Laimgrubengasse im 6. Bezirk. Doch die dort geborgenen zahllosen versteinerten Überreste von Schnecken, Muscheln, Seekühen, Robben, Delfinen usw. finden sich noch in Wiener Sammlungen und Museen und zeugen von einer heute verschwundenen Welt.
ÖAW-gefördertes Projekt
In dem von der Akademie der Wissenschaften (ÖAW) geförderten Projekt "A geological time travel through Vienna" unter Leitung von Mathias Harzhauser, Chef der Geologisch-Paläontologischen Abteilung am Naturhistorischen Museum Wien (NHM), hat ein Forscherteam diese Fossiliensammlungen durchforstet, systematisch wissenschaftlich aufgearbeitet und 230 Fundpunkten zugeordnet. Die Ergebnisse fließen auch in das Interreg-Projekt "Geo-Time Travel" ein, das sich mit der touristischen Erschließung erdwissenschaftlicher Themen im Raum Wien-Weinviertel-Brünn beschäftigt, so Harzhauser zur APA.
Diese Fundorte reichen von Rodaun im Westen bis in die Donaustadt im Osten, von Stammersdorf im Norden bis Rothneusiedl im Süden. Nur selten sind den Funden in den Archiven exakten Adressen zugeordnet, viele Angaben sind vage.
So findet sich etwa im NHM das Skelett einer "Seekuh aus Ottakring", was sich laut Harzhauser als "'tradename' des 19. Jahrhunderts" entpuppte. Denn den Forschern gelang es, für viele Fundpunkte die genauen Positionen zu rekonstruieren. So entpuppte sich die Ottakringer Seekuh als Hernalserin, die 1885 in einer Sandgrube an der Dornbacher Straße im heutigen 17. Wiener Gemeindebezirk geborgen wurde.
Viele Fossilfundstellen in Wien liegen östlich der einstigen Küstenlinien in Ablagerungen, die von jenen Meeren und einem See stammten, die vor 18 bis zehn Mio. Jahren große Teile des Wiener Umlandes bedeckten. So erstreckte sich vor 14 Mio. Jahren im heutigen Pötzleinsdorf ein Sandstrand, vor zwölf Mio. Jahren jagten in Hernals Robben und Alligatoren und vor zehn Mio. Jahren wuchs rund um Wien der erste Wein an den Ufern des riesigen Pannonsees. "Delfine und Seehunde kamen in allen Tongruben von Nussdorf, Hernals und Heiligenstadt vor - das war ein dünnes Band mit einer Anreicherung an Wirbeltieren, das sich quer durch Wien zog", so Harzhauser.
Die Lieblingsstelle der Autoren
Die Lieblingsstelle des Paläontologen liegt in Favoriten: Wo früher entlang der Laaer Straße in mehreren Gruben Ton abgebaut wurde, befindet sich heute die Parkanlage Löwygrube. Von der ehemaligen Ziegelei zeugt noch eine kleine Abbauwand, die als Wiener Naturdenkmal geschützt ist. "Da steht man vor den Resten einer Warmzeit und zugleich vor 250.000 Jahre altem Löss einer Kaltzeit - das Werden der Landschaft und die Dynamik unserer Umwelt werden hier besonders deutlich", so Harzhauser.
Die Autoren bieten in dem Mittwochabend in Wien präsentierten Buch nicht nur einen Überblick über die Ausdehnung dieser Gewässer im Laufe der Jahrmillionen sowie Einblick in die Geschichte der Erforschung der Versteinerungen aus dieser Zeit. Sie laden auch zu einer zwölf Stationen umfassenden geologischen Reise durch Wien. Diese reicht von der Nussdorfer Meeresbrandung über den Robbenstrand von Hernals bis dorthin, wo die Wiener Mammuts grasten - wie auch der Titel von Harzhausers und Hofmanns erstem gemeinsamen, 2016 erschienenem Buch lautete ("Wo die Wiener Mammuts grasten - Naturwissenschaftliche Entdeckungsreisen durch das heutige Wien", Metroverlag).
Service: "Wien am Sand - Von Prinz Eugen und der Seekuh in Ottakring: eine Zeitreise durch die geologische Vergangenheit Wien" von Mathias Harzhauser und Thomas Hofmann; Verlag des Naturhistorischen Museums; 168 S.; 19,90 Euro; ISBN 978-3-903096-75-2