Corona schleicht sich über Immunzellen in Lungenbläschen ein
SARS-CoV-2 selbst kann kaum in das Gewebe von Lungenbläschen eindringen. Die Covid-19-Erreger benutzen dafür offenbar Makrophagen-Immunzellen als "Trojanisches Pferd", um durch eine überschießende Abwehrreaktion Schaden anzurichten. Dies hat eine jetzt von Berliner Wissenschaftern durchgeführte Studie ergeben.
"Einer Berliner Forschungsgruppe unter Leitung der Charité (...) ist es gelungen, die Infektion mit SARS-CoV-2 an menschlichen Lungen zu simulieren und somit zentrale Erkenntnisse zum Infektionsmechanismus zu generieren. Anhand von im Labor kultivierten, lebenden Lungenproben zeigt sie, dass der Covid-19-Erreger in nur sehr begrenztem Maß in der Lage ist, die Zellen der menschlichen Lungenbläschen direkt zu infizieren. Hingegen wird der überwiegende Teil der in die Lunge gelangten Viren von Makrophagen ("Fresszellen"; Anm.) - Zellen der angeborenen Immunabwehr - direkt aufgenommen und löst in diesen eine gezielte Immunaktivierung aus. Die Ergebnisse sind jetzt im Fachmagazin 'European Respiratory Journal' erschienen", teilte die Universitätsklinik am Mittwoch mit (doi: 10.1183/13993003.02725-2021).
Alveolaren der Lunge haben nur selten ACE2-Rezeptoren
Unter der Leitung von Andreas Hocke von der Medizinischen Klinik mit Schwerpunkt Infektiologie und Pneumologie der Charité hat das Forschungsteam zum Teil völlig neue Erkenntnisse gesammelt. Dabei stellte sich in den Laboruntersuchungen heraus, dass die Zellen der Alveolaren der menschlichen Lunge nur selten ACE2-Rezeptoren aufweisen, welche SARS-CoV-2 benötigt, um anzudocken.
"Wir konnten die direkte Abhängigkeit von SARS-CoV-2 zu seinem Rezeptor in menschlichen Lungen sowie in Lungenorganoiden - das sind Modelle menschlicher Lungenbläschen, die wir aus Stammzellen des Lungengewebes gewonnen haben - zeigen und damit andere, alternative Rezeptoren ausschließen", erklärt die Erstautorin der Studie, Katja Hönzke (Charité). Gelangen große SARS-CoV-2-Virusmengen aus dem oberen Atemweg in die Lungenbläschen, so vermehren sich diese demnach nicht in hohem Maß in den ansässigen Epithelzellen der Lunge, wie das bei anderen schweren Virusinfektionen oft der Fall ist, sondern werden direkt von den Fresszellen (Makrophagen) aufgenommen.
"Wir haben mit detaillierten bioinformatischen Analysen sowie anhand von Autopsiegewebe von an Covid-19 verstorbenen Personen gesehen, dass sich die Fresszellen durch die Aufnahme der Coronaviren verändern", sagte der zweite Erstautor der Studie, Benedikt Obermayer-Wasserscheid. Diese Veränderungen lösen wiederum unterschiedliche Reaktionen im Rahmen der Lungenentzündung aus: Die Fresszellen geben Entzündungsbotenstoffe ab und können zum Teil sehr starke Entzündungskaskaden starten. Ebenso beobachteten die Wissenschafter, dass sich das Virus in den Immunzellen nicht vermehrt.
Lungenschäden eher durch Immunreaktion
Hocke: "Unsere Studie deutet darauf hin, dass schwere Lungenschäden bei Covid-19 eher auf eine durch Makrophagen ausgelöste Immunaktivierung als auf eine direkte Zerstörung der Lungenbläschen durch das Virus zurückzuführen sind. Damit trägt sie wesentlich zum Verständnis der Entstehung von Covid-19 in der Frühphase einer möglichen Lungenentzündung bei und zeigt, warum SARS-CoV-2, im Gegensatz zu MERS-Coronaviren, in der Mehrzahl der Fälle einen eher moderaten Verlauf aufweist."
Es ließe sich davon ausgehen, dass die lokalen Immunmechanismen im Atemgewebe die SARS-CoV-2-Viren in den allermeisten Fällen sehr effizient beseitigen und die Entzündungsreaktion begrenzen. Geschieht das nicht, was möglicherweise durch individuelle Risikofaktoren beeinflusst wird, können in seltenen Fällen schwere und tödliche Verläufe entstehen. Im Zentrum nachfolgender Arbeiten sollen nun Untersuchungen an patientenindividuellen Organoidmodellen folgen, um so den Einfluss von allgemeinen Risikofaktoren wie Alter, Geschlecht, Begleiterkrankungen und anderen Medikationen auf die Aktivierung der Entzündungsantwort zu analysieren. Mit diesen Kenntnissen ließen sich dann mögliche Therapieansätze, die auf das Immunsystem abzielen, identifizieren.