Mobilität mit Mehrwert
Auslandsaufenthalte machen attraktiver für den Job und stärken die Persönlichkeit. Das ergeben nicht nur diverse Studien, eine Umfrage von APA-Science unter Institutionen aus Forschung, Bildung und Wirtschaft spricht dieselbe Sprache. Das EU-Bildungsprogramm Erasmus+ etwa fördert diese Mobilität vor allem für Studierende, aber auch in der Forschung führen viele Karrierewege mittlerweile ganz selbstverständlich über das Ausland.
Seit dem Start des Erasmus-Programms in Österreich im Wintersemester 1992/93 haben knapp 80.000 österreichische Studenten teilgenommen, allein im vergangenen Jahr nutzten mehr als 6.000 junge Menschen dieses Angebot, Auslandsluft zu schnuppern (siehe Erasmus+: Massenprogramm auf hohem Niveau).
Mit Erasmus+ hat die EU Anfang 2014 sämtliche bestehende Bildungs- und Jugendprogramme gebündelt und erstmals durch den Sportbereich ergänzt. Bis 2020 stehen insgesamt 14,7 Mrd. Euro zur Verfügung, wovon der Großteil in die Bildung fließt. Erasmus+ umfasst neben den Hochschulprogrammen Erasmus für Studierende und Jean Monnet für die internationale Hochschulkooperation auch andere Bildungsprogramme, etwa Comenius für Schüler bis zur Sekundarstufe II, Leonardo da Vinci für Auszubildende und Grundtvig für die Erwachsenenbildung. Außerdem wurde mit "Jugend in Aktion" erstmals ein eigener Förderbereich Sport eingerichtet.
Erasmus+ geht aber, wie das hinzugekommene Plus andeutet, noch weiter als das Vorgängerprogramm. Ab dem Jahr 2015 wird erstmals die Drittstaatenmobilität gefördert, also über EU-Länder hinausgehende Kooperationen - inklusive der Schweiz. Damit erweitert sich Erasmus vom "Outgoing"- auch zum "Incoming"-Programm. Den heimischen Hochschulen steht dafür ein Budget von 2,5 Mio. Euro zur Verfügung. Ernst Gesslbauer, Leiter der Nationalagentur für Lebenslanges Lernen im Österreichischen Austauschdienst (OeAD), rechnet damit, hier etwa 500 Studierende zu erreichen.
Fit für den Arbeitsmarkt
Der Nutzen von Auslandserfahrungen für den Einzelnen schlägt nicht nur für die Persönlichkeitsentwicklung positiv zu Buche, Absolventen mit internationaler Erfahrung schneiden laut der EU-Studie zur Wirkung von Erasmus im Vergleich zu Kollegen ohne Auslandsstudium- oder -praktikum auch besser auf dem Arbeitsmarkt ab: Sie sind seltener über längere Zeit arbeitslos und fünf Jahre nach dem Abschluss liegt ihre Arbeitslosenquote um 23 Prozent niedriger. Allerdings weisen Erasmus-Studierende demnach schon vor Beginn des Auslandsaufenthalts höhere Werte bei Eigenschaften wie Toleranz, Selbstvertrauen, Problemlösungsfähigkeit, Aufgeschlossenheit, Bewusstsein für eigene Stärken und Schwächen und Entscheidungsfreudigkeit auf. Nach der Rückkehr sind diese Werte im Vergleich zu anderen Studierenden im Durchschnitt um 42 Prozent höher.
Berufstätige Studenten werden mobiler
Neben dem klassischen Auslandssemester werden aber auch andere Formen der Mobilität gefragter, die etwa den Bedürfnissen von berufstätigen Studierenden besser entgegenkommen. Dazu gehören "kürzere Aufenthalte, dafür aber mehrere verteilt über die einzelnen Studienzyklen, oder ein Intensivprogramm im Ausland in Kombination mit vor- oder nachgeschalteten Online-Kursen, längere Auslandsaufenthalte verbunden mit dem Erwerb eines ausländischen Abschlusses (Doppeldiplom) und vieles mehr", wie Susanne Lichtmannegger, Leiterin der International Relations am MCI Management Center Innsbruck in Ihrem Gastkommentar schreibt.
Zunehmend mache man am MCI die Erfahrung, dass berufstätige Studierende, "die in der Vergangenheit nur in Ausnahmefällen ein Auslandssemester in Betracht gezogen haben, sich vermehrt dafür entscheiden, ein Semester an einer ausländischen Hochschule zu studieren oder ein Praktikum im Ausland mit einem Studium an einer Partneruniversität zu verbinden."
Mobilität in Forschung und Wirtschaft
Die erwiesenermaßen positiven Effekte von Auslandsaufenthalten während des Studiums setzen sich auch in der Wissenschaft fort, wo die Bereitschaft, zu neuen Horizonten aufzubrechen, zunehmend zum Anforderungsprofil gehört: "Forschung ist international, Mobilität zentraler Bestandteil einer Wissenschafterkarriere und wichtiger als jemals zuvor", meint etwa Philipp Marxgut, Leiter des Office of Science and Technology Austria (OSTA) in Washington (siehe Gastkommentar).
Erfahrungsberichte von Teilnehmern des Erwin-Schrödinger-Auslandsstipendiums des Forschungsförderungsfonds (FWF) stimmen mit dieser Einschätzung überein (siehe Gastkommentar): "Andere Forschungszugänge und -arbeiten zu erleben, mit anerkannten ForscherInnen eng zusammenzuarbeiten, Forschungsfragen in einer kontinuierlichen Zusammenarbeit in aller Tiefe zu ergründen und zu bearbeiten und andere Kulturen kennen zu lernen..."; "Zahlreiche damals geschlossene Kontakte sind bis heute von Bedeutung"; "Für eine wissenschaftliche Karriere bringt ein mindestens einjähriger Aufenthalt an einer anderen Forschungsstätte in einem anderen Land enorme Entwicklungsmöglichkeiten"; "Das Jahr in Harvard war für mich ein Meilenstein in meiner wissenschaftlichen und persönlichen Entwicklung."
Der Ruf der Ferne
Warum aber zieht es viele junge Menschen, die am Anfang ihrer wissenschaftlichen Karriere stehen, überhaupt ins Ausland? Für Andreas Reinstaller vom Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo), der an einer entsprechenden, von der EU-Kommission beauftragten Studie mitgewirkt hat (siehe auch Gastkommentar), zählt zum Beispiel die Qualität des Forschungsumfeldes in einem Land zu den wichtigsten subjektiven Beweggründen für einen grenzüberschreitenden Arbeitsplatzwechsel. Dem Hochschulsektor komme hierbei eine wichtige Rolle als Drehscheibe im internationalen Wettbewerb um hoch qualifizierte Forscherinnen und Forscher im Unternehmenssektor zu.
Ein ähnliches Stimmungsbild ergab auch eine Umfrage, die APA-Science unter einigen Institutionen aus Forschung, Wirtschaft und Bildung durchgeführt hat. "Auslandsaufenthalte der Mitarbeiter sind ein fester Bestandteil innerhalb der Forschung von Boehringer Ingelheim", erklärte etwa der Executive Director Erik Patzelt von Boehringer Ingelheim. Um laufend am aktuellsten Stand der Wissenschaft zu sein und die Weiterentwicklung der Mitarbeiter zu fördern, seien kürzere Aufenthalte an ausländischen akademischen Institutionen oder mehrmonatige Einsätze an anderen Unternehmensstandorten strategisch eingeplant. Auch am Austrian Institute of Technology (AIT) wird die Bereitschaft zur Mobilität großgeschrieben: "Das geht so weit, dass die Promotion zum Senior Scientist nur in Ausnahmefällen ohne vorangegangenen Auslandsaufenthalt erfolgt."
USA bleibt Zielland Nummer eins
Zielland Nummer eins für Forscher weltweit sind nach wie vor die USA, auch für Österreicherinnen und Österreicher. Aus heimischer Sicht sei das aus mehreren Gründen positiv, so OSTA-Leiter Marxgut. Zum einen erlaube es die "äußerst solide Ausbildung" in Österreich, sich problemlos in den besten (US-)Forschungseinrichtungen zu etablieren. Außerdem seien diese Forscher "ausgezeichnete Botschafter für den Forschungs- und Innovationsstandort Österreich", denen die Intensivierung der Kooperation und des Austausches mit ihrem Heimatland ein großes Anliegen sei. Nicht zuletzt würden zahlreiche österreichische Forscher zurückkehren und ihr "Wissen, das Netzwerk und den 'Spirit'" mit nach Hause bringen.
Für Österreich wiederum gehe es nicht darum, alle Österreicher aus Nordamerika zurückzuholen, so Marxgut, "sondern Bedingungen zu schaffen, welche es für die besten Köpfe - egal woher - attraktiv machen, einen Teil ihrer Karriere in Österreich zu verbringen." Forschungsinstitutionen wie jene am Vienna Biocenter oder das Institute of Science and Technology (IST) Austria würden zeigen, dass das möglich ist und dass die Richtung stimme.
Hürden bei den Rahmenbedingungen
Bei den Rahmenbedingungen, in Österreich zu forschen beziehungsweise hierher zurückzukehren, gibt es aber dem Anschein nach noch einiges Optimierungspotenzial. So hat die Evaluierung des FWF-Schrödinger-Stipendienprogramms ergeben, dass die Karriereperspektiven in Österreich als unattraktiv eingeschätzt werden. Die Motivation der hoch qualifizierten jungen Forscher, nach Österreich zurückzukehren, ist demnach in manchen Bereichen gering. Dies hänge nicht zuletzt mit "suboptimalen Bedingungen an den österreichischen Forschungsstätten im Allgemeinen" zusammen. Beklagt wurden unter anderem die ungünstigen Dienstvertrags-Regelungen (Kettenvertragsregelung). Weiteres Ergebnis: Wissenschafter würden immer wieder trotz nachweislich guter Forschungsleistungen keinen attraktiven Job in Österreich finden. Wenn die Karrierechancen im Ausland besser sind, fehle der Anreiz, nach Österreich zurückzukehren.
Verbesserungswürdig sind - auch das ein Ergebnis der Umfrage - nach Meinung der befragten Institutionen die Ausstellung von Arbeitsbewilligungen für Nicht-EU-Bürger, hier habe sich die Wartezeit in den vergangenen Jahren verlängert. Als schleppend erweise sich etwa der Prozess, eine Arbeits- und Aufenthaltsgenehmigung für Fachkräfte - Stichwort Rot-Weiß-Rot-Karte - zu bekommen: "Nachdem wir die Unterlagen eingereicht haben, dauert es bis zu acht Wochen, ehe sie genehmigt wird. Das ist definitiv zu lang", heißt es seitens des Leuchtenherstellers Zumtobel.
Ebenfalls ein Manko sieht man etwa bei Boehringer Ingelheim in der geringen Zahl geeigneter und leistbarer fremdsprachiger Schulen für die Kinder ausländischer Mitarbeiter. Außerhalb der Ballungsgebiete kommen oft die schlechte Anbindung an internationale Flughäfen (Carinthian Tech Research, Villach) oder die mangelnde Attraktivität eines regionalen Standorts hinzu (Zumtobel, Dornbirn).
Auslandserfahrung als Entwicklungs-Beschleuniger
Insgesamt gesehen profitieren von dem internationalen Austausch aber alle Beteiligten, hier sind sich die befragten Unternehmen und Institutionen einig. "In vielen Fällen sind österreichische Forscher mit der nötigen Expertise einfach nicht vorhanden, für einen globalen Forschungsstandort ist die Rekrutierung ausländischer Wissenschafter daher ein absolutes Muss", heißt es von Boehringer Ingelheim. Durch die enge Interaktion mit anderen österreichischen Forschungsinstitutionen komme dieses Know-how dann wiederum der heimischen Szene insgesamt zugute.
Aus wissenschaftlicher Warte gibt es über die Effekte von Auslandsaufenthalten allerdings noch viel herauszufinden, ist der Bildungsforscher und Hochschulberater Uwe Brandenburg im Gespräch mit APA-Science überzeugt. Mit der richtigen Unterstützung sei der Weg ins Ausland für Studenten meistens eine positive Erfahrung und stoße Persönlichkeitsveränderungen an, die im Studium und in der weiteren beruflichen Laufbahn vorteilhaft sein können, fasst Brandenburg wissenschaftliche Erkenntnisse zum Thema Internationalität und Mobilität zusammen.