"Klimasünder schadenersatzrechtlich zur Verantwortung ziehen?"
Immer mehr Menschen weltweit wählen den Weg zu Gericht, um sich für den Klimaschutz und bessere Lebensbedingungen einzusetzen. Für die Rechtswissenschaft ist dies eine relativ neue Herausforderung. Verfahren im Bereich des Klimaschutzes führen an die Grenzen traditioneller Prozessführung und verlangen in vielen Bereichen ein grundlegendes Überdenken etablierter schadenersatzrechtlicher Konzepte.
Der Kampf gegen den Klimawandel ist zweifellos eine der größten Herausforderungen der Gegenwart. Das große Engagement rund um die "Fridays for Future"-Proteste zeigt, dass das Thema Klimaschutz auf der politischen Agenda besonders der jüngeren Bevölkerung einen hohen Stellenwert genießt. Aber der Weg zu politischen Lösungen nimmt viel Zeit in Anspruch. Er ist stets kompromissbehaftet - gerade auf internationaler Ebene können sich die Verhandlungen oft über Jahrzehnte ziehen. Vielen dauert das zu lange: Unterstützt durch NGOs wie Client Earth, Protect the Planet oder Urgenda wagen immer mehr Betroffene den Weg vors Gericht um die Verursacher des Klimawandels zur Verantwortung zu ziehen. Sie berufen sich dafür auf bereits bestehende Gesetze und allgemeine Haftungsregeln.
Ein Beispiel ist der peruanische Bergführer und Landwirt Saúl Luciano Lliuya, der 2015 einen deutschen Energiekonzern auf Schadenersatz verklagte. Der Konzern trage mit seinem CO2-Ausstoß zum globalen Klimawandel bei, so der Vorwurf. Die steigenden Temperaturen bedrohen die Gletscher in Lliuyas Heimat in den Anden. Experten befürchten, dass ihr Schmelzen zu einer Überflutung der in der Nähe eines Gletschersees gelegenen Stadt Huaraz, in der auch Lliuya lebt, führen könnte. Lliuya fordert rund 20.000 Euro als Ersatz für entsprechende Schutzmaßnahmen. Das sei - gemessen am Beitrag des Konzerns zum globalen CO2-Ausstoß - der Anteil an den Kosten, für den der Konzern verantwortlich sei.
Fälle, wie jene von Lliuya, sind mit herkömmlichen Haftungsfällen kaum zu vergleichen. Solche "Climate Change"-Verfahren führen an die Grenzen herkömmlicher Prozessführung und stellen etablierte Haftungskonzepte zunehmend in Frage. Das macht sie zu einem spannenden Forschungsfeld für die Rechtswissenschaft. So gibt es in vielen Fällen gar keine individuell betroffenen Personen, die Umweltschäden im eigenen Namen einklagen könnten. Der Schaden entsteht vielmehr am ökologischen Gesamtsystem, betroffen ist also die gesamte Gesellschaft. Überlegungen, etwa bestimmten NGOs und Verbänden ein besonderes Klagerecht im Namen der Allgemeinheit einzuräumen, stehen noch am Anfang. Aber selbst in Fällen in denen es, wie im Fall Lliuyas, einen individuellen Schaden gibt, stehen Kläger vor zahlreichen Hürden. Die wohl größte davon ist der Nachweis der Kausalität: Obwohl viele der Effekte der Emission von Treibhausgasen heute gut erforscht sind, ist es im Haftungsprozess zudem erforderlich, zu beweisen, dass gerade die Emissionen des Prozessgegners zum konkreten eigenen Schaden geführt haben. Nach derzeitigen Beweisstandards gelingt dies nur in seltenen Ausnahmefällen. Darüber hinaus bereitet auch die Frage, ob das Unternehmen mit seinen Emissionen überhaupt gegen Pflichten verstoßen, also rechtswidrig gehandelt hat, Schwierigkeiten. Meist agieren die betroffenen Konzerne im Rahmen von Genehmigungen und etwaigen Emissionsbeschränkungen. Ob ein Unternehmen unter diesen Voraussetzungen belangt werden kann, ist umstritten. Instrumente wie der Emissionshandel sind mit der Frage der zivilrechtlichen Haftung nicht wirklich abgestimmt. Das alles sind Gründe, warum Klimaklagen bisher noch zu keinen "harten Ergebnissen" geführt haben.
Kläger wie Lliuya sind sich dieser Schwierigkeiten natürlich bewusst. Sie nehmen den langwierigen Zug durch die Instanzen dennoch in Kauf - oft weil sie keine Alternative haben. Einige sehen "Climate Change"-Verfahren auch als Möglichkeit, den mühsamen und langwierigen Verhandlungen über strengere Emissionsziele und effektivere Klimaschutzmaßnahmen auszuweichen. Gerade die genannten Probleme, zeigen jedoch, dass sich Gerichte nur sehr bedingt dafür eignen, klimapolitische Ziele durchzusetzen. Ein Versuch, die Situation zu verbessern, sind die von einem internationalen Expertenkomitee erarbeiteten Oslo Principles, die globale Prinzipien zur Reduktion des fortschreitenden Klimawandels formulieren. Möglichst konkret gefasste Pflichten sollen es dabei ermöglichen, ihre Einhaltung der Pflichten auch wirksam durchsetzen zu können. Das wäre unzweifelhaft ein Fortschritt!
Auch aus der Perspektive einer effizienten Allokation von Ressourcen ist es allerdings nicht sinnvoll, sich beim Klimaschutz gänzlich auf Gerichte zu verlassen. Über den demokratischen Prozess ausgehandelte, politische Lösungen sind deshalb unverzichtbar, so schwierig sie auch zu erzielen sein mögen. Um den Forderungen nach politischer Veränderung dennoch auch Rechtsverbindlichkeit zu verleihen und vielleicht eine gewisse "Beschleunigung" der Prozesse zu erreichen, hält das Schadenersatzrecht zumindest eine weitere Möglichkeit bereit. Politische Akteure, die sich ja regelmäßig bereits in Staatszielbestimmungen und internationalen Übereinkommen zum Klimaschutz bekannt haben, können unter gewissen Umständen selbst für ihre Untätigkeit vor Gericht gebracht werden. Die Klagsführung ist in solchen Fällen freilich ähnlich kompliziert wie in den Fällen der Konzernhaftung. Beispiele aus den USA oder den Niederlanden zeigen aber, dass Klimaaktivisten hier durchaus auch bereits Erfolge verbuchen konnten.