Neue Materialien für Luftfahrt und Bauwesen könnten sich dank Pilzen und Bakterien selbst reparieren
Mit EU-Mitteln geförderte Forscher nutzen biologische Materie, um einzigartige neue Materialien zu schaffen, die sich an ihre Umgebung anpassen und selbst reparieren können.
Der Science-Fiction-Autor Arthur C. Clarke sagte einmal treffend, dass „jede hinreichend fortschrittliche Technologie nicht von Magie zu unterscheiden ist“.
Dr. Kunal Masania, außerordentlicher Professor für Luft- und Raumfahrzeugstrukturen und -materialien an der Technischen Universität Delft in den Niederlanden, war von Clarke sehr beeindruckt. „Das hat mich immer sehr inspiriert“, sagt Masania. „Durch meine Forschung versuche ich, eine Art Magie in das Leben der Menschen zu bringen.“
Lebende Materialien
Masania entwickelt so genannte „lebende Materialien“, die in der Luft- und Raumfahrt und im Transportwesen eingesetzt werden sollen. Diese lebenden Materialien sind, wie der Name schon sagt, buchstäblich lebendig. Sie enthalten Mikroorganismen wie Pilze und Bakterien, die ihnen die Fähigkeit verleihen, ihre Integrität zu bewahren und sich selbst zu heilen.
Seine Arbeit mag wie Zauberei erscheinen, aber sie ist sehr real und macht große Fortschritte. Sie ist Teil eines fünfjährigen Projekts namens AM-IMATE, für das Masania im Januar 2023 einen Zuschuss der Europäischen Union erhielt. Das Forschungsteam untersucht das Potenzial biologischer Organismen, in innovative neue Materialien integriert zu werden, die in Industrie und Ingenieurwesen eingesetzt werden können.
„Das Ziel ist es, technische Strukturen zu schaffen, die sich wie lebende Organismen verhalten, die mechanische Belastungen wahrnehmen und sich ihnen anpassen können“, so Masania.
3D-gedruckte Pilze
Das Material, das Masania entwickelt, ist ein Verbundwerkstoff, der lebende Pilzzellen und Holz miteinander verbindet. Es besteht aus einem Hydrogel und Myzel, einer wurzelähnlichen Struktur eines Pilzes, die normalerweise unter der Erde wächst. „Wir haben uns entschieden, mit Pilzen zu arbeiten, weil diese äußerst robuste Organismen sind, die harte Bedingungen vertragen und relativ leicht zu kultivieren sind“, so Masania.
Darüber hinaus haben Pilzzellen eine große Fähigkeit zur Vernetzung. Das Myzel ist in der Lage, ein riesiges Sensornetz aufzubauen, das es ihm ermöglicht, Signale im gesamten Organismus zu senden. Das bedeutet, dass die Wissenschafter nur einige wenige Zellen im Material verteilen müssen, die sich dann wieder miteinander verbinden und ein sensorisches Netzwerk bilden.
Um diese lebenden Materialien herzustellen, hat Masania eine spezielle 3D-Druckmethode und eine neue 3D-Druckfarbe entwickelt. „Wir machen in dieser Hinsicht gute Fortschritte und sind bereits in der Lage, unser Material in 3D zu drucken“, sagt er.
Nachhaltiger Raum
Biologische Materialien könnten dazu beitragen, die Leistung und Haltbarkeit kritischer Strukturen in Bereichen wie der Luft- und Raumfahrt sowie dem Transportwesen zu verbessern. Zum Beispiel erkunden Masania und sein Team die Verwendung ihrer Verbundwerkstoffe als Kernmaterial für das Innere von Flugzeugen.
„Unsere Materialien sind sehr leicht und nachhaltiger als die gegenwärtig verwendeten Materialien“, erklärt Masania. „Derzeit besteht das Innere von Flugzeugen überwiegend aus Plastik und Metall. Wenn wir diese ersetzen, müssen wir nicht länger auf fossile Brennstoffe angewiesen sein und können bessere Lösungen für das Ende der Lebensdauer anbieten. Wenn wir lebende Materialien verwenden, könnten die Flugzeugkomponenten demontiert und der Natur zurückgeführt werden.“
Masanias Forschung könnte sogar dazu beitragen, das, was wie Science-Fiction klingt, Realität werden zu lassen. „Das könnte sehr interessant für das Bauen im Weltraum und auf anderen Planeten sein“, fügt er hinzu. „Unsere lebenden Materialien könnten die Grundlage neuer Lebensräume bilden, weil man lokale Materialien verwenden und sie mit Hilfe der Pilze verbinden könnte.“
Biobasierte Gebäudehülle
In der näheren Umgebung werden ebenfalls biobasierte Materialien entwickelt, um einen neuen Verbündeten für nachhaltiges Bauen zu entwickeln. Dr. Anna Sandak ist Expertin auf dem Gebiet der Materialwissenschaft mit besonderem Fokus auf Holz. Sie ist außerordentliche Professorin an der Universität Primorska in Koper, Slowenien, und stellvertretende Direktorin sowie Leiterin der Materialabteilung am slowenischen Exzellenzzentrum InnoRenew.
InnoRenew wurde 2017 mit Unterstützung der EU, internationaler und nationaler Mittel gegründet, um die Stärken Sloweniens in der Forst- und Holzforschung zu nutzen. Ziel war es, innovative erneuerbare Materialien für nachhaltiges Bauen zu erforschen.
Im Jahr 2022 erhielt Sandak zusammen mit ihrem InnoRenew-Forschungsteam eine fünfjährige EU-Förderung, um das Konzept eines bioaktiven, lebenden Beschichtungssystems für die Bauindustrie weiterzuentwickeln. Dank dieser Finanzierung arbeiten sie an einem „lebenden“ Biofilm, der in der Lage ist, verschiedene Bauoberflächen wie Beton, Plastik und Metall zu schützen.
Die Idee ist, dass diese lebende Haut zum Schutz von Baumaterialien eingesetzt werden könnte, um Gebäude widerstandsfähiger und nachhaltiger zu machen. „Statt synthetische Chemikalien, Biozide und Mineralöle zu verwenden, die nicht immer umweltfreundlich sind, konzentrieren wir uns auf die Entwicklung natürlicher Lösungen“, so Sandak.
Durch den Einsatz lebender Organismen schaffen die Wissenschafter neue Funktionalitäten, die in herkömmlichen Materialien nicht zu finden sind. „Wir fügen Materialien eine neue Dimension hinzu, die es bisher nicht gegeben hat – das Leben“, sagt Sandak. „In der Natur haben Zellen viele fantastische Eigenschaften, die in synthetischen Materialien nur schwer und kostspielig zu erreichen sind. Lebende Materialien sind umweltfreundlicher, sie können sich selbst heilen, haben das Potenzial, die Luft zu reinigen, und sind kostengünstiger.“
Tolle Pilze
Wie beim AM-IMATE-Projekt arbeitet auch das Team von Sandak hauptsächlich mit Pilzen. „Sie haben ein enormes Potenzial“, erklärt sie. „Sie wachsen fantastisch, haben eine hohe Überlebensrate und benötigen nicht viele Nährstoffe. Pilze machen einfach Spaß.“
Pilze kommen bereits auf Baustellen vor, sind aber in der Regel nicht erwünscht, weil sie Materialien beschädigen können. Sandaks Team arbeitet jedoch mit einem speziellen Pilz, der nicht schädlich ist und die Materialien nicht abbaut. „Wir setzen die „guten Jungs“ ein, um die „bösen Jungs“ an der Ausbreitung zu hindern.“
Um sicherzustellen, dass ihre Forschung in die Praxis umgesetzt wird, entwickelt das Team eine Biobeschichtung, die nicht nur effektiv, sondern auch optisch ansprechend ist. Sie testen sie an verschiedenen Materialien und arbeiten daran, verschiedene Farben hinzuzufügen. „Ästhetik ist in der Architektur wichtig“, sagt Sandak.
Das resultierende Produkt soll eine Beschichtung auf Wasserbasis sein, die auf eine Vielzahl von Oberflächen gesprüht, gestrichen oder gerollt werden kann.
ARCHI-SKIN läuft bis 2027, und Sandak zufolge schreitet die Forschung recht schnell voran, so dass es nicht mehr allzu lange dauern wird, bis die Beschichtung auf die ersten Gebäude aufgebracht werden kann. „Ich glaube, dass wir unsere Lösung innerhalb des nächsten Jahrzehnts nutzen können“, sagte sie.
Gesellschaftliche Auswirkungen
In beiden Projekten gewinnen die Wissenschafter wertvolles Grundlagenwissen über Mikroorganismen. Wie die beiden Projektkoordinatoren jedoch betonen, soll das Hauptziel der Forschung die Anwendung in der Praxis sein. „Wir wollen unsere Welt zu einem besseren Ort machen“, so Sandak.
„Ich glaube, dass wir auf jeden Fall noch viele weitere Anwendungen für biobasierte Materialien sehen werden, sowohl in Gebäuden und der gebauten Umwelt als auch bei Verbraucherprodukten“, fügt Masania hinzu. „In dem Maße, wie sich unser Verständnis für diese Materialien weiterentwickelt, werden auch immer mehr Anwendungen folgen.“
Weitere Infos
Artikel von Michaela Nesvarova
Die Forschung in diesem Artikel wurde vom Europäischen Forschungsrat (ERC) finanziert. Die Ansichten der Befragten spiegeln nicht unbedingt die der Europäischen Kommission wider. Dieser Artikel wurde ursprünglich in Horizon, dem EU-Magazin für Forschung und Innovation, veröffentlicht.