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Kooperation / EU-Magazin Horizon / 28.01.2025, 14:03

Der Kälte trotzen: Europas Polarforschung bekommt neues Forschungszentrum

Im Jahr 2025 wird die EU eine neue Einrichtung für Polarforschung gründen, die von Schweden aus operieren wird. Gleichzeitig bohren Wissenschaftler tief in das Polareis, um die Klimageschichte der Erde zu untersuchen und dazu beizutragen, die Auswirkungen des Klimawandels auf dieses empfindliche Ökosystem zu mildern.

APA/dpa/DB Ulrich Scharlack
Die Arktis erwärmt sich laut Polarforschern dreimal schneller als der globale Durchschnitt.

Die deutsche Wissenschaftlerin Dr. Nicole Biebow ist sich der Bedeutung bewusst, die die Erforschung und der Schutz der zunehmend empfindlichen Polarregionen der Erde haben. Die beiden Pole erwärmen sich schneller als jede andere Region des Planeten und verlieren durch verstärktes Schmelzen Eis. So erwärmt sich die Arktis beispielsweise laut Polarforschern dreimal schneller als der globale Durchschnitt. Dies hat nicht nur Auswirkungen auf lokale Gemeinschaften und die Tierwelt, sondern auch weitreichende sozioökonomische und klimatische Folgen, wie den Anstieg des Meeresspiegels, die weltweit zu spüren sind.

„Wir sagen immer, dass die Pole die Kanarienvögel im Kohlebergwerk sind“, erklärt Dr. Nicole Biebow, Projektkoordinatorin des EU-finanzierten Projekts EU-PolarNet 2, das im Dezember 2024 abgeschlossen wurde. Biebow leitet die Abteilung für internationale Zusammenarbeit am Alfred-Wegener-Institut in Deutschland und ist außerdem ehemalige Vorsitzende des European Polar Board (EPB). Das EPB ist eine unabhängige Gruppe aus Forschungsinstituten, Fördereinrichtungen und Ministerien, die gegründet wurde, um die Koordination der europäischen Polarforschung sowohl in der Arktis als auch in der Antarktis voranzutreiben.

Das EPB und eine weitere wichtige Einrichtung für Polarforschung, das European Polar Coordination Office (EPCO), werden ab 2025 im hohen Norden Schwedens tätig sein. Dies spiegelt die Entschlossenheit Europas wider, bei der Erforschung dieser Regionen in hohen Breitengraden eine führende Rolle zu übernehmen. EU-PolarNet 2 hat wesentliche Vorarbeiten zur Gründung des EPCO geleistet, das im Januar 2025 seine Arbeit aufnehmen wird und vom Arctic Centre der Universität Umeå in Schweden aus betrieben wird.

Ein Gefühl der Dringlichkeit

Da die Temperaturen weltweit steigen und das Polareis immer schneller schmilzt, wird es zunehmend dringlicher, die Geheimnisse der Polarregionen zu entschlüsseln. „Ein Großteil der Arbeit, die heutzutage geleistet wird, dreht sich darum, zukünftige Veränderungen zu verstehen, sie abzuschwächen oder sich an sie anzupassen“, erklärt Biebow und fügt hinzu, dass „wir EU-Mitgliedstaaten mit einer arktischen Küste haben, und mit Menschen, die in diesen Regionen leben“.

Während sich das Team von EU-PolarNet 2 auf den Start von EPCO vorbereitet, haben die Forscher eine Liste mit Prioritäten für die zukünftige Forschung erstellt, darunter Projekte zu Meereis, schmelzenden Gletschern und tauendem Permafrost. Biebow äußert die Hoffnung, dass das EPCO die Forschungsbemühungen in den Polarregionen erheblich unterstützen wird. „Die Pole sind, genauso wie die Tiefsee, noch immer sehr, sehr wenig erforscht“, sagt sie. „Es ist ein Gebiet, das bestimmt, wie unser Wetter und Klima in Zukunft aussehen werden, und deshalb ist es so wichtig.“

Zusammenarbeit mit indigenen Gemeinschaften

Dr. Annette Scheepstra, eine Forscherin und Mitglied des Exekutivvorstands von EU-PolarNet 2, legt den Schwerpunkt auf die Zusammenarbeit mit Experten aus lokalen indigenen Gemeinschaften, die über tiefgehendes Wissen über die Polarregionen verfügen. Indigene Gemeinschaften machen etwa 10 % der rund 4 Millionen Menschen aus, die in der Arktis leben. Bisher wurden sie bei der Polarforschung oft außen vor gelassen.

„Wir arbeiten mit den Inhabern von Rechten – indigenen Gemeinschaften oder Organisationen – sowie mit indigenen Wissenschaftlern, indigenen Menschen, die selbst an Universitäten oder Instituten forschen“, sagt Scheepstra, promovierte Expertin für Arktis- und Antarktisforschung an der Universität Groningen in den Niederlanden. „Viele Jahre lang haben die Menschen gesagt, dass es wichtig ist, indigene Wissensträger einzubeziehen oder mit ihnen zu arbeiten. Aber wie? Das wurde oft nicht beachtet, und genau das interessiert mich“, erklärt sie.

Die Zusammenarbeit mit indigenen Völkern basiert nun auf den Grundsätzen der Wahrung ihrer Rechte, der Achtung ihrer Kultur und Gesellschaft, der Vermeidung jeglicher schädlicher Auswirkungen auf ihre Gemeinschaften und der Einbeziehung ihres Wissens bei der Gestaltung wissenschaftlicher Ideen über die Arktis. Zu Scheepstras Arbeit gehörte die Zusammenarbeit mit dem Saami Council, einer NGO, die sich für die Rechte der in Finnland, Norwegen, Russland und Schweden lebenden Saami einsetzt, um eine Forschungsstrategie zu entwickeln. „Es ist wirklich schön, mit indigenen Wissensträgern zu arbeiten, weil sie oft eine sehr ganzheitliche Perspektive auf Dinge haben“, sagt sie. Auf diese Weise kann auch sichergestellt werden, dass die Projekte in der Region wirklich erfolgreich sind.

In der Antarktis das Eis aufbrechen

Viele Forscher konzentrieren sich vor Ort sowohl auf das schmelzende Eis als auch auf bedrohte Arten. Dies ist der Fall bei einem siebenjährigen EU-finanzierten Projekt namens Beyond EPICA. Es baut auf einem früheren EU-finanzierten Forschungsprojekt namens EPICA auf, das Polareisproben nutzte, um das Klima der Erde über 800.000 Jahre hinweg zu rekonstruieren. Dieses Mal wollen Forscher unter der Leitung von Carlo Barbante, Professor für Umweltwissenschaften an der Universität Ca‘ Foscari in Venedig (Italien) Eis aus der Antarktis gewinnen, das weit über 1 Million Jahre alt ist.

„Das ist eine Zeitspanne, in der sich die Funktionsweise des Klimas auf unserem Planeten komplett verändert hat“, sagt Barbante, der auch Mitglied des EPB ist. Das von ihm koordinierte Projekt läuft bis Juni 2026 und umfasst Teams aus zehn europäischen Ländern. Die Arbeitsbedingungen seines Teams sind äußerst schwierig. In einem spärlich besetzten Camp im östlichen Teil der Antarktis haben sich 16 Mitglieder des Forschungsteams des Projekts Beyond EPICA für mehrere Wochen auf das Leben und Arbeiten in einer rauen Umgebung vorbereitet.

Ihr vorübergehendes Zuhause besteht lediglich aus einigen Zelten und Containern in der gleißend weißen, verlassenen Landschaft. Obwohl in der Antarktis Anfang Dezember fast Sommer ist, liegen die Temperaturen im Little Dome C Camp auf 3.200 Metern über dem Meeresspiegel bei durchschnittlich etwa -52 °C und können bis auf -60 °C sinken. Das Team ist vor Ort, um Tausende von Metern tief in das Eis zu bohren und Proben des ältesten Eises der Erde zu entnehmen und zu analysieren. Diese Proben enthalten wichtige Informationen darüber, wie sich das Klima unseres Planeten im Laufe der Zeit entwickelt hat.

Der riesige Bohrer der Klimaforscher dringt stetig nach unten durch das Eis vor und hat bereits die 1,8-Kilometer-Marke überschritten. Der Bohrvorgang wird Schritt für Schritt elektronisch überwacht, und mit nur 10 Zentimetern Durchmesser des Bohrloches bleibt der Einfluss auf die Umwelt minimal. Aber warum wird überhaupt gebohrt? „Das Eis kann uns Informationen über die Zusammensetzung der Luft und die Temperatur des Planeten in der Vergangenheit liefern und uns helfen, die Funktionsweise des Klimas besser zu verstehen“, so Barbante.

Von Helen Massy-Beresford

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APA-Science Content-Kooperation mit Horizon

Recherchen zu diesem Artikel wurden vom Horizon-Programm der EU gefördert. Die Ansichten der Befragten spiegeln nicht unbedingt die der Europäischen Kommission wider. Dieser Artikel wurde ursprünglich in Horizon, dem EU-Magazin für Forschung und Innovation, veröffentlicht.