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Mehr zum Thema / Hermann Mörwald / Donnerstag 02.06.22

Wasserstoff wird hochgefahren

Im künftigen CO2-armen Energiemix der EU, aber auch Österreichs, soll bekanntlich auch Wasserstoff seinen Beitrag leisten. Kurzfristig kann er noch wenig dazu beitragen, die durch den Ukraine-Krieg ersichtlich gewordenen Abhängigkeiten zu reduzieren. Der Aufbau einer Wasserstoffindustrie könnte durch die Energiekrise aber beschleunigt werden, meinen viele Energieexperten.
Foto: APA/dpa

So sollen laut dem jüngst vorgelegten Energiepaket bis 2030 zehn Millionen Tonnen klimafreundlicher Wasserstoff (H2) in der EU produziert und weitere zehn Millionen Tonnen importiert werden. Damit könnten rund sechs bis sieben Millionen Tonnen Erdgas substituiert werden. In Österreich könnte die erste heimische Terawattstunde (TWh) grüner Wasserstoff  – über Elektrolyse – 2027 im Einsatz sein, 2030 sollten es laut österreichischer Energieagentur (AEA) dann vier TWh sein.

„Das ist ein erster Schritt, um die Wasserstoffindustrie einmal hochzufahren“, meint dazu etwa Georg Brunauer, Professor an der FH Salzburg, Studiengang Smart Building und Smart City, im Gespräch mit APA-Science.

 

EXTRA: Klimafreundlicher  Wasserstoff

 

Pro Tonne grauem Wasserstoff (aus fossilen Brennstoffen gewonnen) werden etwa zwölf Tonnen Kohlendioxid (CO2) in die Atmosphäre gepumpt. Wird CO2 abgeschieden, spricht man von „blauem“ oder „türkisem“ Wasserstoff. Bei grünem Wasserstoff wird kein CO2 freigesetzt. Als „kohlenstoffarmer Wasserstoff“ darf laut EU-Vorgaben künftig Wasserstoff bezeichnet bzw. zertifiziert werden, der über den ganzen Lebenszyklus betrachtet bei der Herstellung von einem kg Wasserstoff weniger als drei kg CO2-äquivalente (CO2e) Treibhausgasemissionen freisetzt. Mehr zur Farbenlehre des Wasserstoffs finden sie hier.

 

Für die umweltfreundliche Wasserstoff-Herstellung braucht es klarerweise Produktionskapazitäten – sprich genug Strom, nicht irgendeinen, sondern grünen Strom. Damit komme man nicht umhin, die erneuerbaren Energiequellen weiterauszubauen. „Die künftige Produktion von H2 muss von den zusätzlichen Kapazitäten kommen“, so Brunauer, denn falls nicht, gibt er „unserem Energiesystem nicht mehr viel Zeit“. Die EU-Ziele könnten ambitionierter ausfallen, aber es „gibt eben nicht genug Energie. Um mehr H2 herzustellen, muss sich die EU doch schon damit behelfen, dass Atomstrom grün gelabelt wird.“

Bei der österreichischen Energieagentur glaubt man, dass ab frühestens 2030 die Wasserstoffindustrie plus zugehöriger Infrastruktur global zu laufen beginnen wird. Ab diesem Zeitpunkt könne mit ausgereiften Technologien gerechnet werden. Ohne Importe werde Österreich seinen Bedarf an grünem Wasserstoff aber nicht decken können. Als Binnenland ohne eigenen Hafen habe die Alpenrepublik einen Nachteil und sei von Deutschland und Italien abhängig. Zudem könnten neue Importabhängigkeiten gegenüber Ländern, die grünen Wasserstoff aus Sonne und Wind im großen Stil erzeugen können, entstehen (siehe auch hier).

Anschub durch turbulente Zeiten

Seit dem Ukraine-Krieg und Marktturbulenzen gibt es aus Sicht der AEA-Experten nicht mehr nur die Klimakrise als Grund, von Erdgas wegzukommen. Aufgrund des teuren Erdgases werde die wirtschaftliche Betrachtung von Wasserstoff derzeit neu bewertet, was eine Beschleunigung des Ausbaus zur Folge haben dürfte.

Das sieht auch Brunauer so: „Die geopolitischen Zerwürfnisse könnten den Weg frei für eine beschleunigte Energie-Transformation machen. Waren die anfänglichen Strukturen der Energieversorgung dezentral organisiert, gab es mit dem Aufkommen der Großkraftwerke (etwa ab den 1920ern) einen Umbau zu einem zentralen System.“ Brunauer ortet im Zuge der Energiewende einen Trend zu dezentralen Netzen mit „intelligenten Substrukturen“, woran er die vergangenen Jahre in Salzburg (H2 Village in Obertrum plus dem Nachfolge-Projekt H2 Demolab – Smart Region) intensiv gearbeitet hat.

Wasserstoffdorf

 

Beim vom Klima- und Energiefonds und der FFG geförderten Projekt H2 Village spielt – wie der Name bereits verrät – Wasserstoff eine zentrale Rolle. In Obertrum galt es zunächst im Zuge eines kommunalen Energienutzungsplans das Potenzial von PV-Anlagen zu ermitteln. Auf Basis dieser Analyse wurde eine Elektrolyseanlage zur H2-Produktion dimensioniert, die als Speicher die erforderliche Ausgleichsenergie der Ortschaft möglichst reduzieren soll. Bei der Produktion von Wasserstoff entsteht außerdem Wärme, die zur Beheizung von Gebäuden verwendet werden kann. Außerdem wurde eine öffentliche H2-Tankstelle in der Projektstudie vorgesehen. Laut Brunauer wird der mit erneuerbarer Energie erzeugte Wasserstoff auf Elektrolysebasis somit für eine aktive Sektorkopplung genutzt, und bedeutet, dass die Netze von Strom, Gas und Wärme mit einander verbunden werden.

In dem Nachfolge-Projekt H2 DemoLAB – Smart Region soll gezeigt werden, wie das System eine ganze Region transformieren könnte. Als Modellgemeinden sind hier Altenmarkt im Pongau, Radstadt, Bischofshofen, Mittersill und Wagrain an Bord. In einem vom Land Salzburg gefördertem Forschungsprojekt unter Mitwirkung von TU Wien/IET, Salzburg AG, SAG Lend, Pongauer Energie Center und AustroCel Hallein wird eine Elektrolyse-Demoanlage zur H2-Produktion aufgebaut. Die Ergebnisse sollen die Basis für die Konzeptionierung konkreter wasserstoffbasierter Energiesysteme in den Modellgemeinden bilden.

Punkto Wasserstoff werde in Zukunft die dezentrale Versorgung eine wesentliche Rolle spielen, meint auch Günther Baumgarten, CEO bei key energy, die ein Elektrolyse-Verfahren zur Bereitstellung eines sauerstoff- und wasserstoffhaltigen Gasgemisches entwickelt haben: „Die Anlagen werden direkt dort installiert, wo sie benötigt werden.“ Der Einsatz bei unmittelbarem Energiebedarf und das Verhindern von Leitungsverlusten sind für Baumgarten zentrale Argumente für das System von key energy.

Die Energieagentur geht dagegen anfänglich von einer zentralen (Anlagen vor Ort) H2-Nutzung aus, da die entsprechenden Infrastrukturen noch nicht vorhanden seien.

Kraftakt Energiewende

Ein kurzer Schritt zurück: Österreich soll bis 2040 klimaneutral werden, was eine rasche Energiewende erfordert. Das passiert aber laut Energieagentur weltweit, wodurch ein globaler Markt für neue Technologien und Lösungen entsteht. Österreichs Ziel liege aber zeitlich vor denen anderer Länder und Regionen. Die EU gesamt strebt z.B. eine Klimaneutralität bis 2050 an. „Österreich kann also nicht auf Lösungen anderer warten. Das ist schwierig, kann aber eine Chance sein, international mit Innovationen zu punkten“, meint Andreas Indinger von der Energieagentur.

Österreich deckt seinen Energieverbrauch in etwa mit knapp über einem Drittel aus erneuerbaren Energieträgern, der Rest kommt aus Fossilen, die wiederum hauptsächlich importiert werden. „Das heißt, es braucht einen raschen Kraftakt, um die Nutzung von Erneuerbaren – ökologisch und ökonomisch vertretbar – auszubauen. Neben der Anhängigkeit von fossilen Quellen muss auch die Importabhängigkeit reduziert werden, was das Commitment sämtlicher Stakeholder des Gasbereichs voraussetzt“, so Indinger.

Gleichzeitig seien intensive Maßnahmen im Effizienzbereich nötig: Mit weniger Energie-Input den gleichen Output erzielen. Österreich wird laut AEA wohl auch 2040 weiterhin ein Netto-Energieimporteur  sein, dann aber vor allem durch die Einfuhr von grünem Wasserstoff oder erneuerbarem Gas.


EXTRA: H2 in der Industrie

Wasserstoff ist für die Industrie nichts Neues. Derzeit werden laut AEA hierzulande rund 144.000 Tonnen (5 TWh) grauer Wasserstoff – aus Erdgas gewonnen – industriell genutzt (Stand 2020).


Gas raus aus der Raumwärme

„Es wird der Vergangenheit angehören, Gas mit 2.000 Grad zu verbrennen, um einen Wohnraum auf 20 Grad zu erwärmen. Gas hat in der Raumwärme künftig nichts mehr zu suchen“, so Günter Pauritsch von der Energieagentur. Ebenso gebe es bei Niedertemperaturprozessen in der Industrie sowie beim Pkw-Verkehr bessere und günstigere Alternativen als Wasserstoff.

Ähnlich argumentiert Brunauer von der FH Salzburg: „Das Erdgasnetz, so wie wir es derzeit betreiben, ist mittelfristig dem Untergang geweiht.“ Das liege daran, dass das Gas in großem Maßstab zum Heizen verwendet wird. Auch seiner Meinung nach hat das Gas bei der Raumheizung nichts mehr verloren. Künftig müssten dann Gaspipelines, in die viel investiert wurden, anderweitig genutzt werden – z.B. Adaptierung für den Transport von Wasserstoff, damit parallele Infrastrukturen verhindert werden.

So widmet sich Brunauer im Rahmen einer wissenschaftlichen Projektstudie der Frage, wie man künftig das Erdgasnetz für Wasserstoff ertüchtigen könnte – zur Verteilung für die dezentrale Nutzung und für künftige H2-Tankstellen. In der ersten Phase kann man bis zu 10 Prozent in das Erdgasnetz einspeisen. Möglich sollten letztlich 100 Prozent sein. Dafür gebe es Möglichkeiten wie pipe-in-pipe-Systeme: „Damit kann man aufwendige Erdarbeiten verhindern.“

EXTRA: Wasserstoffherstellung

 

Um Wasserstoff herzustellen gibt es unzählige Verfahren, davon sind die meisten noch in der Entwicklung. Hierzulande wird zumeist die Elektrolyse (H2O wird mit Strom aufgespalten) verwendet, zur Gewinnung aus Biomasse die thermische Vergasung. Der größte Elektrolyseur (6 MW) steht übrigens in Linz bei der voestalpine.

 

Ein weiteres Verfahren ist die Pyrolyse, worunter man grob gesagt die thermo-chemische Spaltung organischer Verbindungen versteht. Die Montanuniversität Leoben z.B. ist in diesem Bereich bei der Entwicklung neuer Technologien engagiert.

Speicherqualität

Grüner Wasserstoff werde künftig wohl eine zentrale Rolle als Langzeit-Energiespeicher (Power-to-Gas-to-Power) spielen. Die Zielsetzungen des Erneuerbaren-Ausbau-Gesetzes (EAG) – beschlossen 2021 – besagen laut Energieagentur nämlich, dass Österreichs Stromverbrauch im Jahr 2030 national-bilanziell zu 100 Prozent mit Strom aus heimischen erneuerbaren Energieträgern gedeckt werden soll, was einen Ausbau von 27 TWh bedeutet.

Derzeit gebe es im Sommer eine Überproduktion an erneuerbarem Strom. Im Winter dagegen könne der Verbrauch nicht gedeckt werden. Gemäß den Energieagentur-Experten müssten daher bis 2030 rund 11 TWh Strom vom Sommer in den Winter verlagert werden, „damit Österreich tatsächlich auf 100 Prozent Ökostrom kommt und nicht nur bilanziell übers Jahr gerechnet“.

Hier kommt dann der grüne Wasserstoff als Energiespeicher ins Spiel. Wird Strom im Sommer durch Elektrolyse oder durch Elektrolyse plus Methanisierung Wasserstoff gewonnen, könnte er als saisonaler Stromspeicher dienen, der im Winter abgerufen wird. Für eine TWh im Winter brauche man dazu im Sommer bei der Elektrolyse aber 2,6 TWh Strom, bei der Elektrolyse plus Methanisierung seien es sogar 3 TWh, rechnet Pauritsch vor. Es sei das nämlich das Wesen von Wasserstoff, „dass zur Produktion mehr Energie gebraucht wird, als nachher rausbekommt“. Die Frage ist daher, ob diese Überkapazität an grünem Strom im Sommer vorhanden ist. Daher gebe es gerade bei der Elektrolyse und den Brennstoffzellen große Anstrengungen in Forschung und Entwicklung, um die Wirkungsgrade zu erhöhen und die Umwandlungsverluste zu reduzieren.

Voest braucht grünen Wasserstoff

Auch bei der voestalpine setzt man laut Vorstands-Chef Herbert Eibensteiner auf Wasserstoff, um den Betrieb sauber zu bekommen. Bis 2050 könnte demnach sogar eine CO2-neutrale Produktion möglich sein. Eibensteiner erwartet sich aber von der Politik deutlich schnellere und klarere Maßnahmen.

Bis 2030 wird Wasserstoff in Europas Energieversorgung eine relevante Rolle spielen, ist er überzeugt. Was Österreichs Strategie dazu betrifft, ist er hingegen zurückhaltend: „Ich weiß nicht genau, was da drin steht“, vermerkt er. Aber relevant sei letztlich ohnehin, was konkret getan wird: „In Wirklichkeit muss man in Umsetzungen denken“, also wie tatsächlich die Energieträger zu den Betrieben kommen sollen und nicht, was theoretisch möglich wäre.

Hinweis

APA-Science hat sich bereits im Oktober 2020 in einem umfangreichen Themenpaket mit dem „Superstar Wasserstoff?“ beschäftigt. Über eine von Linzer Forschern entwickelte Methode, mit der man Wasser mit Licht in Sauerstoff und Wasserstoff aufspalten kann, lesen Sie außerdem im Artikel „Mit Licht „grünen“ Wasserstoff erzeugen„.

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