Superstar Wasserstoff?
Der Hype um Wasserstoff als klimafreundlicher Energieträger hat einen neuen Höhepunkt erreicht. Die EU-Kommission will Europa zum Vorreiter in diesem Bereich machen, Österreich und Deutschland rufen sich zu bald schon führenden "Wasserstoff-Nationen" aus und heimische Forschungseinrichtungen scharren in den Startlöchern ob neuer Mittel. Noch gibt es allerdings in so manchen Anwendungsbereichen technische Hürden zu überwinden und Fragen der Wirtschaftlichkeit positiv zu beantworten.
Wasserstoff gilt mit seiner hohen Energiedichte als probates Mittel, Überschüsse aus erneuerbaren Quellen zu speichern und später in Strom und Wärme umzuwandeln. Eine der größten Hürden – zumindest kurz- bis mittelfristig – ist die Verfügbarkeit von "grünem" Wasserstoff, der mit Hilfe von Solar- oder Windenergie erzeugt wird und noch dazu billig ist. Derzeit kostet fossiler Wasserstoff rund zwei Euro pro Kilogramm, erneuerbarer rund sechs Euro. Hier ist also noch viel Forschung notwendig, um die ökonomischen Nachteile ausgleichen zu können. "Langfristig werden wir mit großtechnischen grünen Elektrolyse-Anlagen in den Bereich von drei Euro pro Kilogramm kommen", ist Alexander Trattner vom Hydrogen Center Austria (HyCentA) der Technischen Universität (TU) Graz überzeugt.
Was die notwendigen Mengen betrifft, ist nach wie vor ungeklärt, wo man ausreichend umweltfreundlichen Wasserstoff herbekommt. Denn derzeit werden global deutlich über 90 Prozent – manche sprechen von 99 Prozent – aus Gas beziehungsweise aus fossilen Quellen erzeugt. Rund 0,2 Prozent stammen aus Elektrolyse und davon wieder nur ein minimaler Bruchteil aus Grünstrom-Elektrolyse. "Alleine um den klimafeindlichen Wasserstoff aus Gas zu ersetzen, müsste man den Anteil von grünem Wasserstoff vertausendfachen. Gleichzeitig spricht man aber davon, dass man neue Nutzungsfelder erschließen will, was den Wasserstoffverbrauch erst recht wieder in die Höhe treibt", gibt Florian Maringer, Energie-Referent im Umweltministerium (BMK), im Gespräch mit APA-Science zu bedenken (siehe auch "Bei Wasserstoff herrscht derzeit Goldgräberstimmung").
Grünstrom bleibt Mangelware
Laut seiner Rechnung würde man satte 27 TWh Strom benötigen, um den derzeit grauen Wasserstoffverbrauch (wird aus Erdgas hergestellt) durch grünen zu ersetzen und zusätzlich den Stahlhersteller voestalpine zu dekarbonisieren. "Das ist so viel, wie wir bis 2030 zu bauen planen, um Österreich mit 100 Prozent Ökostrom zu versorgen. Sprich: Man müsste den Ausbau noch einmal verdoppeln", so Maringer. Von Seiten der Industrie geht man davon aus, dass ein großer Teil des benötigten Wasserstoffs künftig importiert werden muss – etwa aus Skandinavien, Nordafrika oder Osteuropa. Je knapper die Ressource, desto genauer muss man sich demnach ansehen, in welchen Bereichen der Einsatz von Wasserstoff wirklich sinnvoll ist.
Neuen Schwung bekommt das Thema durch zahlreiche politische Initiativen. Ziel der EU-Kommission ist es, die Nutzung von Wasserstoff bis 2050 auf breiter Ebene möglich zu machen. Demnach sollen mit öffentlicher Unterstützung bis 2024 die Kapazitäten auf eine Million Tonnen Wasserstoff aus erneuerbaren Energien wachsen – sechs Mal so viel wie heute. Bis 2030 ist ein Ausbau auf zehn Millionen Tonnen geplant. Priorität hat dabei grüner Wasserstoff. In einer Übergangszeit sollen aber auch andere Herstellungsformen mit fossilen Energieträgern gefördert werden.
Zuvor hatte bereits Deutschland eine Wasserstoffstrategie beschlossen, die dem Land "eine weltweit führende Stellung" verschaffen soll. Auch das österreichische Klimaschutzministerium will bis Jahresende eine entsprechende Strategie erarbeiten. Einen Rohbericht, der aus einem Stakeholder-Prozess hervorgegangen ist und dem Vernehmen nach eine Art "Wünsch dir was"-Liste ist, gibt es bereits seit längerem. Nun sollen Nägel mit Köpfen gemacht werden.
Fokussierte Förderung statt Gießkanne
Umweltministerin Leonore Gewessler gibt dabei die Richtung vor: "Fokus statt Gießkanne", heißt das (Förder-)Motto. "Wir sind schon immer ein Hochtechnologieanbieter und Nischenfüller, aber selten ein kompletter Systemanbieter gewesen", so Maringer. Als heimische Stärkefelder gelten laut Experten der Speicherbereich und – in Blickrichtung voestalpine – die Herstellung von CO2-freiem Stahl mit Wasserstoff. Aber auch bei Komponenten etwa was Antriebstechnik im Schwerverkehr betrifft, oder der Membrantechnik für Elektrolyseure gibt es Potenzial.
Grundsätzlich will man Wasserstoff nur dort einsetzen, wo fossile Energieträger nicht durch Erneuerbare ersetzt werden können, etwa im Schwerverkehr oder in der Industrie. Vor allem in sehr energieintensiven Branchen wie der Stahl-, Papier-, Zement- und chemischen Industrie kann Wasserstoff laut Experten zur Dekarbonisierung beitragen. Ein Schwerpunkt der heimischen Strategie könnte sein, Wasserstoffprojekte wie jenes der voestalpine zur Elektrostahlgewinnung zur Marktreife zu bringen.
TU Austria fordert "Wasserstoff-Milliarde"
Die im Verbund TU Austria zusammengeschlossenen Technischen Universitäten in Österreich – TU Graz, TU Wien, Montanuniversität Leoben – hoffen jedenfalls auf eine "Wasserstoff-Milliarde" bis 2024 und eine weitere bis 2030. "Für uns ist es wichtig, dass die vielfältige Forschung, wo die Universitäten in Österreich ganz vorne mit dabei sind, nicht den Anschluss verliert und rechtzeitig investiert wird", hielt der Präsident der TU Austria und Rektor der TU Graz, Harald Kainz, fest. Christian Helmenstein, Leiter des Economica Instituts für Wirtschaftsforschung, bezifferte das wirtschaftliche Potenzial hinter den vorgeschlagenen Investitionen mit zwei Milliarden Euro bis 2030.
Als relevante Einsatzgebiete werden vor allem Industrie, Mobilität und Haushalt angesehen. Aber auch hier gibt es Unterschiede: Die Bilanz von Wasserstoff ist "keine supereffiziente, darum muss man sich genau überlegen, wo er seine Vorteile gut ausspielen kann", meint Theresia Vogel vom Klima- und Energiefonds. Zum Teil überschneiden sich die Einsatzgebiete aber auch: So ist beim Projekt "H2Carinthia", das im Jahr 2021 starten soll, geplant, dass Infineon den Wasserstoff, der als Prozessgas für die Chip-Produktion benötigt wird, mittels Elektrolyse am Standort Villach mit Strom aus erneuerbaren Energieträgern erzeugt. Danach soll dieser grüne Wasserstoff "aufgereinigt" und in einer Tankstelle als Treibstoff für öffentliche Busse zur Verfügung stehen.
Einsatz in der Industrie
Am ehesten halten Expertinnen und Experten derzeit den Einsatz von Wasserstoff in der Industrie für sinnvoll. Schon jetzt geht der größte Teil der rund 150.00 Tonnen grauer Wasserstoff, die derzeit in Österreich zum Einsatz kommen, in industrielle Anwendungen, erklärt Horst Steinmüller, Geschäftsführer und Obmann der Wasserstoff-Vorzeigeregion WIVA P&G (siehe "Mehr Wasserstoff in die Industrie"). In der Stahlherstellung ist Wasserstoff – vor allem grüner – ein wichtiges Thema, weil sich damit große Mengen CO2 einsparen lassen. Hier gibt es mit "H2FUTURE" auch ein Leuchtturm-Projekt, in dessen Rahmen die voestalpine am Standort Linz gemeinsam mit dem Verbund und Siemens eine PEM-Elektrolyseanlage mit 6 MW Anschlussleistung betreibt.
Auch im Sektor Industrie sind die Haupthindernisse für einen breiten Einsatz von Wasserstoff die Kosten und die Verfügbarkeit. Beim Preis kommt CO2 ins Spiel. Die künftige Frage bezüglich der CO2-Bepreisung ist für Steinmüller, ob ein "level playing field" erzeugt werden kann. Dafür müsse auch über "border adjustment" nachgedacht werden. Sprich, an den Grenzen sollen Steuern für wenig umweltfreundliche Produkte eingehoben werden. Der europäische Stahlverband, aber auch die Zementhersteller können sich Derartiges vorstellen. Was die Verfügbarkeit betrifft, wird ohne Importe von grünem Wasserstoff langfristig keine Dekarbonisierung möglich sein, meint auch Alexander Peschl, Project Development Siemens Energy Austria, gegenüber APA-Science.
Mobil mit Wasserstoff
Im Bereich Mobilität sehen Fachleute nach einer abwechslungsreichen Geschichte nun vor allem Chancen für Wasserstoff bei Lastkraftwagen, Langstreckenbussen, bei Schienenfahrzeugen auf ausgewählten Strecken und Schiffen (siehe "Wasserstoff macht mobil"). Aktuell werden meist Brennstoffzellenfahrzeuge gemeint, wenn man von Wasserstoffmobilität spricht. Im Gegensatz zu batterieelektrischen Fahrzeugen (BEVs) sind sie sehr schnell betankt und haben eine hohe Reichweite, dafür ist ihr Wirkungsgrad geringer. Dieser Unterschied ist nicht unerheblich, rechnet Manfred Schrödl vom Institut für Energiesysteme und Elektrische Antriebe der TU Wien vor: Von 100 Kilowattstunden kommen bei Brennstoffzellenautos demnach knapp 30 am Rad an, bei Elektroautos mit Akku sind es 65 Kilowattstunden.
Noch ist die Brennstoffzellentechnik nicht so ausgereift wie andere Antriebstechnologien, doch sie ist auf der Überholspur, meint Viktor Hacker vom Institut für Chemische Verfahrenstechnik und Umwelttechnik der TU Graz: "Immerhin haben es schon drei Hersteller aus dem Fernen Osten geschafft, sie kommerziell zu vertreiben." Warum Brennstoffzellenautos trotzdem der Durchbruch nicht so recht gelingen will, liegt unter anderem am hohen Preis von mindestens 60.000 Euro. Der ist wiederum in der fast ausschließlich händischen Fertigung begründet. "Wenn man ein Diesel-Fahrzeug ebenso in Manufaktur bauen würden, wäre es genauso teuer", erklärt Trattner. Übrigens: Derzeit sind laut Statistik Austria 42 Brennstoffzellenautos in Österreich zugelassen.
Beim öffentlichen Verkehr, in Speditionen und auf Zugstrecken dürfte der Durchbruch von Wasserstoff einfacher werden. Hier spielen die Brennstoffzelle und Wasserstoff als Energiespeicher ihre Vorteile aus: Der etwas schlechtere Wirkungsgrad wird durch Gewichts- und Reichweitenvorteile wettgemacht. Außerdem ist das Tanken, das bei Batterieautos immer noch recht zeitaufwändig ist, in kürzester Zeit erledigt. Bei sehr schweren Transportmitteln, wie Flugzeugen und Schiffen, kommt dann die Brennstoffzelle an ihre Grenzen, erklärt Bernhard Geringer vom Institut für Fahrzeugantriebe und Automobiltechnik der TU Wien. Dort könnten als klimaschonende Alternative sogenannte E-Fuels verwendet werden, das sind aus nachhaltigen Rohstoffen produzierte flüssige und gasförmige Brennstoffe.
Energie für Haushalte
Welche Rolle Wasserstoff bei der Energieversorgung von Privathaushalten spielen kann, ist umstritten. Eine Überlegung geht dahin, Photovoltaik-Überschüsse in Form von Wasserstoff zu speichern und später als elektrische Energie oder zur Wärmeversorgung zu nutzen. Jan Rosenow vom Thinktank "The Regulatory Assistance Project" meint dazu in seinem Gastkommentar: "Man braucht etwa fünfmal mehr Wind- oder Solarstrom, um ein Haus mit Wasserstoff zu erwärmen, als dasselbe Haus mit einer effizienten Wärmepumpe zu beheizen."
Trattner sieht das deutlich optimistischer: "Wasserstoff lässt sich einsetzen, um die Überschüsse von Photovoltaikanlagen im Sommer mit Elektrolyse in Wasserstoff zu verwandeln. Der kann (...) im Winter mit einer Brennstoffzelle wieder in Strom und Wärme umgesetzt werden." Immer wieder ins Spiel gebracht wird von Fachleuten zudem, das bestehende Gasnetz für Wasserstoff zu nutzen. Aber auch das ist durchaus umstritten (siehe "Hindernisse auf dem Weg in die Privathaushalte").
Intensive Forschung an Herstellung
In den Fokus rückt derzeit auch die Herstellung und Speicherung von Wasserstoff. Obwohl die Elektrolysetechnologie alles andere als neu ist, kämpft sie noch mit Kinderkrankheiten, denn sie wird erst seit ein paar Jahren intensiv beforscht, erklärt Vanja Subotic vom Institut für Wärmetechnik der TU Graz gegenüber APA-Science. Die Herausforderungen sind derzeit die Lebensdauer sowie hohe Kosten (siehe "Wasserstoff ist noch auf keinem grünen Ast"). Außerdem arbeiten Forscher zum Beispiel daran, seltene, teure und giftige Metalle in den Elektrolyseapparaten durch biologische Substanzen zu ersetzen.
Klimaneutraler Wasserstoff kann aber auch aus anderen Quellen kommen, zum Beispiel aus Biomasse. Viktor Hacker von der TU Graz entwickelte mit Kollegen einen Prozess namens "Reformer Steam Iron Cycle" (RESC), um Biogas zu hochreinem Wasserstoff umzusetzen. Und ein Team unter der Leitung von Simon Rittmann vom Department für Funktionelle und Evolutionäre Ökologie der Universität Wien brachte jüngst Mikroben, die für ihren Stoffwechsel keinen Sauerstoff benötigen, dazu, ungeahnte Mengen an Wasserstoff zu produzieren.
Die Speicherung von Wasserstoff ist hingegen kein großes Problem, meinen die Expertinnen und Experten. Man kann ihn gasförmig bei hohem Druck im Fahrzeug speichern oder bei -253 Grad Celsius verflüssigen und damit das Speichervolumen verkleinern. Als Langzeitspeicher würden sich ausgebeutete Erdgaslager eignen, die es in Österreich in ausreichender Menge gibt. Dort könne man Wasserstoff ohne große Verluste für Monate bis Jahre aufbewahren.
Wasserstoff ist vom "Superstar" also zwar noch ein Stück weit entfernt, auf dem Weg zur Dekarbonisierung aber ein zunehmend relevanter Baustein, der übrigens vom Haarfärben über die Hindenburg bis zur Massenvernichtungswaffe viele weitere Funktionen erfüllt oder erfüllt hat (siehe "Der (Wasser-)Stoff, aus dem Träume sind").
Von Stefan Thaler / APA-Science