Uralt-Herzmedikament Digoxin löst Tumorzell-Haufen auf
Eines der ältesten Herzmedikamente, Digoxin, könnte einen Weg zur Verhinderung der Bildung von Metastasen bei Brustkrebs weisen. Wissenschafter der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich (ETH) und der Uni-Kliniken in Basel und Zürich haben entdeckt, dass Digitalis – ehemals aus dem Fingerhut isoliert – Tumorzellklumpen verkleinern, welche im Blut zirkulieren und Tochtergeschwülste bilden.
Die Wissenschafter haben ihre Erkenntnisse jetzt in der Fachzeitschrift "Nature Medicine" (DOI: 10.1038/s41591-024-03486-6) veröffentlicht. Darum geht es, so die ETH Zürich: "Gewisse Tumortypen bleiben nicht an ihrem Ursprungsort, sondern verbreiten sich im ganzen Körper und bilden Ableger. Denn der Primärtumor gibt laufend Krebszellen ins Blut ab. Diese im Blut zirkulierenden Tumorzellen (englisch: circulating tumor cells; CTCs) können sich zu kleinen Häufchen von bis zu einem Dutzend Zellen zusammenschließen und sich in anderen Organen einnisten." Das ist der Ausgangspunkt für die Bildung von Metastasen. Bei Krebserkrankungen geht man derzeit weitgehend davon aus, dass solche Tochtergeschwülste die Erkrankung unheilbar machen.
"Die Bildung von Ablegern bei Brustkrebs hängt von CTC-Clustern ab", betonte Studienleiter Nicola Aceto, Professor für Molekulare Onkologie an der ETH Zürich. "Je größer sie sind, desto erfolgreicher sind sie."
Gezielte Suche nach wirksamen Substanzen
Die Schweizer Forscher haben sich deshalb bereits vor Jahren auf die Suche nach Wirkstoffen gemacht, welche zirkulierende Tumorzell-Häufchen im Blut reduzieren könnten. Sie stießen dabei auf die ursprünglich aus dem Fingerhut stammende Substanz Digoxin. Sie wurde seit etwa 1930 als erstes wirksames Medikament zur Behandlung von chronischer Herzschwäche eingesetzt. Mittlerweile werden Digitalis-Präparate kaum mehr verwendet.
Die ETH Zürich in einer Aussendung dazu: "Dass Digoxin auch im Zusammenhang mit Brustkrebs wirksam sein könnte, entdeckten die Wissenschafter im Jahr 2019. Sie führten ein umfangreiches Screening durch, bei dem sie mehr als 2.400 verschiedene Substanzen systematisch in Zellkulturen testeten, um aktive Wirkstoffe gegen Cluster von zirkulierenden Tumorzellen (CTC) zu finden."
Danach folgte eine erste klinische Studie. Neun Patientinnen mit metastasierendem Brustkrebs bekamen eine Woche Digoxin in niedriger und sicherer Dosierung. Die Digitalis-Präparate werden bei Herzkranken vor allem wegen der möglichen Nebenwirkungen kaum mehr verwendet. Es gibt mittlerweile wirksamere und besser verträgliche Arzneimittel zur Therapie der chronischen Herzschwäche.
Eindeutiger Effekt auf Tumorzell-Cluster
Doch bei den Mammakarzinom-Patientinnen zeigten sich gute Resultate: Die Zahl der Zellen pro Tumorzell-Cluster nahm signifikant ab – im Durchschnitt um 2,2 Zellen. Angesichts der typischen Clustergrößen von nur einer Handvoll Zellen bedeutete dies eine deutliche Reduktion des Metastasenrisikos. Je kleiner die Cluster sind, desto weniger sind sie in der Lage, erfolgreich Metastasen hervorzubringen.
Den Schweizer Experten gelang es auch, den dahinter steckenden Mechanismus aufzuklären. "Die Achillesferse der CTC-Cluster sind die "Natrium-Kalium-Pumpen", die in den Membranen der Tumorzellen sitzen und dafür verantwortlich sind, dass Natrium aus den Zellen und Kalium in die Zellen befördert wird. Digoxin blockiert diese Ionen-Pumpen und unterdrückt somit den Ionenaustausch. Die Zellen nehmen deshalb verstärkt Kalzium von der Außenseite der Zellmembran in sich auf." Dies schwäche den Zusammenhalt der Krebszellen-Zusammenballungen, sie fielen auseinander.
Die Studienergebnisse sind allerdings erst ein weiterer Schritt für die Nutzbarmachung des Prinzips von Digoxin in Sachen Tumorzellen. Ein Spin-Off-Unternehmen der ETH Zürich (Page Therapeutics) arbeitet bereits an der Entwicklung neuer Wirkstoffmoleküle mit erhöhter Effektivität. Währenddessen wurden an der Schweizer Hochschule Laborversuche zu anderen Karzinomerkrankungen gestartet, welche speziell durch Metastasenbildung gefährlich sind: Prostata-, Darm-, Pankreaskrebs sowie das Melanom.