Forscher: Sprache in Verkehrsberichten behindert Mobilitätswende
"Radfahrer bei Autotür gestreift", "Fußgänger von Pkw erfasst", "Fahrradfahrer stößt gegen Pkw": Die Wortwahl in Polizeimeldungen und Zeitungsartikeln über Unfälle hält die Schuld häufig von den Autofahrern fern, sagt ein deutscher Verkehrsforscher. Doch auch in anderen Bereichen der Verkehrsberichterstattung zementiere Sprache Denkmuster ein - und hält damit die Orientierung am Auto in den Köpfen aufrecht. Das passiere nicht mit Absicht, behindere aber die Mobilitätswende.
"Sprache spiegelt die Einstellung zum öffentlichen Raum und zum Auto wider", betonte Dirk Schneidemesser vom Institut für transformative Nachhaltigkeitsforschung (IASS) in Potsdam im APA-Interview. "Wir sagen etwa 'Die Fußgängerin wurde angefahren' statt 'Der Autofahrer fuhr die Fußgängerin an'". Auch die häufige Verwendung des reflexiven Verbs - "Der Radfahrer zog sich schwere Verletzungen zu" - weise den Autofahrern eine passive Rolle zu, obwohl oft sie es sind, die aktiv falsch und gefährlich gehandelt haben.
"Natürlich kann man sich eine Verletzung zuziehen, wenn man aus Unachtsamkeit stürzt. Aber diese Schilderungen sind problematisch." Beim "sich zuziehen" schwinge beim Leser ein "selbst verschuldet" mit. Überschriften wie "Radfahrer bei Autotür gestreift" lassen keinen Raum dafür, die Schuld beim Pkw-Lenker zu sehen. Auch wenn sich im Fließtext herausstellt, dass es der Autolenker war, der nicht aufgepasst hat, als er die Türe öffnete. "Damit ist auch kein Platz für die Idee, dass Mängel in der Infrastruktur solche Gefahren verursachen. Genau das tun sie aber", betonte Schneidemesser.
Verantwortung liegt beim Akteur des Satzes
Kommunikationswissenschaftliche Studien zeigten, dass die Zuschreibung von Verantwortung eher auf der Person liegt, die im Fokus einer Überschrift oder eines Texts steht. "Es heißt, der Fußgänger wurde angefahren. Das ist zwar Passiv, aber er ist der Akteur des Satzes." In einer Studie in den USA wurden Probanden drei verschiedene Versionen eines Berichts über eine Kollision zwischen einer Fußgängerin und einer Autofahrerin vorgelegt. "Lag der Fokus auf der Autofahrerin, wurden die Probanden zum Beispiel offener für Tempolimits." Kamen weitere Informationen hinzu - etwa wie viele gleichartige Kollisionen es landesweit gibt - befürworteten die Teilnehmer Veränderungen an der Infrastruktur stärker.
Schneidemesser ist überzeugt, dass ein Begriff wie Unfall das Geschehen verharmlost. "Das klingt so, also ob es ein Naturphänomen wäre, ein unvorhersehbares Ereignis, ein Missgeschick." Laut Statistik Austria verunglückten 2020 auf Österreichs Straßen 40 Radfahrer und 51 Fußgänger tödlich, weitere 9.308 bzw. 2.610 wurden verletzt. "Da kann die Rede wohl kaum von unvorhersehbar sein. Das Wort Kollision oder Zusammenstoß trifft es darum besser, insbesondere wenn die Fakten des Vorfalls nicht bekannt sind". Der Verkehrsforscher plädiert dafür, das Unfallgeschehen besser als Verkehrsgewalt zu bezeichnen. "Weil Gewalt etwas ist, was wir gesellschaftlich nicht wollen, und wogegen viel eher etwas unternommen wird."
Radfahrer wird oft Teilschuld gegeben
Auch die Formulierung "Der Radfahrer trug keinen Helm", wie sie in vielen Polizeiberichten zu finden ist, sieht Schneidemesser skeptisch. "Die Information trägt zum Sachverhalt nichts bei. Aber wir neigen dazu, dadurch die Schuld oder zumindest eine Teilschuld beim Radfahrer zu sehen, auch wenn dies vielleicht gar nicht der Fall war." Gesetzlich vorgeschrieben sei ein funktionstüchtiges Rad. "Der Helm ist es nicht. Man fragt sich, warum das dann erwähnt wird. Die Verantwortung für die Sicherheit wird auf die Schultern des Opfers geschoben."
Wie ein APA-Blick auf Pressemeldungen der Exekutive zeigt, bemüht sich die Polizei in Österreich mittlerweile um eine sehr neutrale Sprache. Ausreiser sind selten geworden. "Wir leben aber in einer Gesellschaft, die seit Jahrzehnten das Auto in den Vordergrund stellt." In Berlin hat Schneidemesser mit Kollegen während der Coroanakrise einen Prototyp für eine temporäre Spielstraße entwickelt. Das ist eine an einem Tag pro Woche autofreie Straße - zum Spielen, für Sport, zum Essen. "In der Berichterstattung wurde aber oft von gesperrten Straßen geschrieben. Das ist doch komisch, wenn ein Ort auf einmal für so viele Dinge geöffnet wird."
Der Verkehrsforscher bringt auch das Wort "Parken" ins Spiel. "Hier wird die Lagerung von Privatbesitz im öffentlichen Raum normalisiert - und das gratis oder nahezu gratis. Wie wären die Reaktionen, wenn ich einen Kühlschrank an den Straßenrand stelle und ein Schloss darauf montierte? Wir würden das als absurd empfinden." Er empfiehlt, statt Parkplatz etwa den Begriff "Autolagerfläche" zu verwenden. "Das mag am Anfang etwas ungewohnt und holprig erscheinen, aber so ist das eben bei neuen Begriffen."