Androsch sieht durchwachsene Bildungs- und Forschungspolitik-Bilanz
Nach 14 Jahren als Aufsichtsratschef des Austrian Institute of Technology (AIT) zog sich Hannes Androsch vor einem Monat zurück, im Herbst 2020 endete seine Ära als Forschungsrats-Chef. Nun zog der Initiator des Bildungsvolksbegehrens 2011 und "optimistische Realist" eine durchwachsene Bilanz zur Bildungs- und Forschungspolitik. Im Innovationsbereich sei Österreich in der Mittelmäßigkeit eher zurückgefallen, zudem brauche es eine "Bildungs- und Schulrevolution".
"Wenn man jetzt nicht kapiert hat, wie wichtig Forschung und Wissenschaft sind, wird man es nie begreifen", sagte Androsch im Klub der Bildungs- und Wissenschaftsjournalist*innen. Die Corona-Pandemie habe die entscheidende Rolle von Forschung, Bildung und Innovation als "zukunftsentscheidende Faktoren" eindrucksvoll gezeigt, so der Industrielle und langjährige prononcierte politische Fürsprecher für diese Themen hierzulande.
Österreich könnte besser dastehen
In all diesen stark zusammenhängenden Bereichen könnten "wir ungleich besser sein als wir sind. Es fehlt nur nahezu jedes Verständnis dafür". Von der Politik, die sich aktuell vor allem in Selbstdarstellung und -beweihräucherung, Chats, Seilschaften und Ähnlichem ergehe, erwarte er diesbezüglich wenig neue Impulse. Es herrsche heute umso mehr das Motto: "Inszenierung statt Inhalte."
So könne Österreich fast schon traditionell keine Uni unter den Top-100 in diversen Hochschulrankings platzieren. Das störe allerdings im Bildungsministerium offenbar kaum jemanden. Im Schul- und Unibereich teile er den Befund mancher Akteure, dass Österreich ein "digitales Entwicklungsland" ist.
F&E-Quote als Schmäh
Die viel zitierte im internationalen Vergleich sehr hohe Forschungs- und Entwicklungs(F&E)-Quote (2020: 3,23 Prozent des BIP) sei teils "ein Schmäh", so Androsch. Wenn man die Hälfte des Unibudgets blanko dort zurechnen könne, ohne dass das Geld wirklich in F&E fließen muss, sei dies Augenauswischerei. Ähnlich verhalte es sich mit der Forschungsprämie für Unternehmen, die eher als Wirtschaftsförderung anzusehen seien.
Umgekehrt blieben etwa die über den Wissenschaftsfonds FWF im Wettbewerb vergebenen Mittel für Grundlagenforschung trotz vielfacher Ankündigungen - und zuletzt auch tatsächlicher Steigerungen - um das vier- bis fünffache unter dem Niveau der Schweiz. Viele Fördergeber hätten weiter deutlich zu wenig Mittel. Angesichts des atemberaubenden Entwicklungssprints in Richtung Covid-19-Impfstoffe dürfe man nicht vergessen, dass dahinter jahrzehntelange Grundlagenforschung stehe, ohne die all das nicht möglich gewesen wäre.
IST Austria als positives Beispiel
Er wolle aber nicht nur "Klage führen", betonte Androsch, denn in einzelnen Bereichen sei Österreich durchaus gut aufgestellt: So etwa das 2009 eröffnete IST Austria in Klosterneuburg (NÖ). Hier zeige sich was möglich ist, wenn man forschungspolitisch langfristig denkt, Planbarkeit und ausreichend Mittel zu Verfügung stellt. Als weiteres "Beispiel, dass wir können, wenn wir wollen", sei das vor 2007 schwer angeschlagene ehemalige Forschungszentrums Seibersdorf anzusehen. In den vergangenen 14 Jahren habe das nunmehrige AIT eine erstaunliche Entwicklung genommen, so Androsch, der sich bei Übernahme ausbedungen hatte, dass sich die Politik nicht mehr dort einmischt. Nicht nur auf derartige Zusammenhänge habe auch der Forschungsrat gebetsmühlenartig immer wieder hingewiesen - meist leider ungehört, erklärte Androsch.
Bei der Umsetzung des vor mehr als zehn Jahren lancierten Bildungsvolksbegehrens sei man leider "mit Bravour gescheitert". Man habe sich aber ganz bewusst erst kürzlich wieder öffentlich zu Wort gemeldet und werde das auch weiter tun. Denn nicht zuletzt steuere Österreich mit einem wenig zukunftstauglichen Schulsystem auf eine "demographische Bombe" zu. Unter jenen relativ wenigen Jungen, die relativ vielen alten Menschen gegenüberstehen, könne man es sich einfach nicht leisten, dass rund 20 Prozent zum Beispiel nicht sinnerfassend Lesen können.