Blockade von IL-11 wirkt bei Mäusen lebensverlängernd
Ein potenziell neuer "Jungbrunnen" sorgt international für Aufmerksamkeit. Wissenschafter in Singapur haben bei Mäusen die Lebensspanne um rund 25 Prozent durch eine Blockade des Signalweges des Immunbotenstoffs Interleukin 11 (IL-11) verlängern können. Klinische Untersuchungen an Menschen fehlen, solche Medikamente befinden sich aber als Therapien für Krankheiten in Entwicklung.
"Altern ist ein hartes Feld. Aber es gibt hier viele Ansatzpunkte für eine Behandlung und noch viel an biologischen Prozessen, die man verstehen lernen muss", wurde Stuart Cook von der Duke - National University of Singapore Medical School in "Nature" jetzt zitiert.
Anissa Widjaja und Wei-Wen Lim vom Programm zur Erforschung von Herz-Kreislauf- und Stoffwechselerkrankungen haben in der Wissenschaftszeitschrift eine Studie an gealterten Mäusen publiziert (DOI: 10.1038/s41586-024-07701-9). Ausgangspunkt war die Untersuchung der biologischen Signale, welche der Immunbotenstoff, der von einer ganzen Reihe von Immunzellen produziert wird, auslöst. Die Wissenschafter schalteten bei den Versuchstieren beispielsweise die Produktion von IL-11 aus oder beseitigten durch genetische Manipulation funktionstüchtige Rezeptoren für das Interleukin. An dritter Stelle folgte die Verabreichung des IL-11-neutralisierenden Antikörpers X203.
IL-11-Deletion wirkt besonders gut
"Insbesondere verlängerte die Deletion (Beseitigung; Anm.) von IL-11 die durchschnittliche Lebenserwartung von männlichen und weiblichen Mäusen um etwa 25 Prozent. Dies ließ sich auch im Rahmen einer Anti-IL-11-Therapie zeigen. Wurden Mäuse ab einem Alter von 75 Wochen behandelt, führte dies zu einer Verlängerung der mittleren Lebensspanne um 22,5 Prozent bei männlichen und um 25 Prozent bei weiblichen Mäusen", fasste die deutsche Pharmazeutische Zeitung (PZ) die Hauptergebnisse zusammen.
Dies dürfte auf eine ganze Reihe von Effekten zurückzuführen sein: Verbesserungen des Zuckerstoffwechsel, Senkung der Triglycerid- und Cholesterinwerte im Blut sowie eine Dämpfung von Markern, welche chronische Entzündungen anzeigen. Hinzu kam eine Zunahme der Muskelmasse, eine bessere Funktion der Zell-Kraftwerke (Mitochondrien) und eine längere Telomere (Endstücke der Chromosomen), was als Verlangsamung von Alterungsprozessen interpretiert wird. Auch weniger Krebserkrankungen traten bei den Tieren auf.
Die Wissenschafter belegten ihre Hypothese auch von der umgekehrten Seite her: Sie fanden heraus, dass IL-11 in Zellen über den sogenannten mTOR-Signalweg Alterungsprozesse auslöst. Hier gibt es mehrere, vor allem in der Krebs- und Immuntherapie (Transplantationsmedizin) zugelassene Wirkstoffe. Einer davon ist der mTOR-Blocker Rapamycin. Im Laborversuch bremste die Substanz die Alterung von Zellen.
Der mögliche Clou an den Studienergebnissen der Wissenschafter: IL-11 gibt es nicht nur in der Maus, sondern auch beim Menschen. "Da existiert eine gute Möglichkeit, die Erkenntnisse in klinische Studien (mit Probanden, Anm.) umzusetzen", wurde die Altersforscherin Cathy Sacks von der Universität von Warwick in Großbritannien in "Nature" dazu zitiert.
Auf die Spur von IL-11 war die Biologin Anissa Widjaja an der Medizin-Universität in Singapur zunächst gestoßen, als sie bei Arbeiten für die Entwicklung eines Labortests zur Bestimmung des Immunbotenstoffs bei alten Ratten erhöhte Konzentrationen des Proteins feststellte. Bei gealterten Mäusen zeigte sich ebenso einer erhöhte IL-11-Konzentration im Muskelgewebe, im Körperfett und in der Leber. Daraufhin konzentrierten sich die Wissenschafter ganz auf das Interleukin.
Maus auf Mensch übertragen - Wie?
Die Frage ist jetzt, wie das Mausmodell in klinische Studien an Menschen übertragen werden kann: Untersucht man, ob die Blockade von IL-11 bei Probanden wirklich eine Lebensverlängerung bewirkt, dauert das naturgemäß viele Jahre. Deshalb müsste man wahrscheinlich auf indirekte Wirkungen und Surrogatparameter zwischen einer behandelten und einer nicht behandelten Personengruppe abzielen: zum Beispiel altersbedingter Muskelabbau, Gebrechlichkeit etc. Das ist aber weniger aussagekräftig bezüglich des wirklichen Ziels einer Lebensverlängerung.
Der deutsche Pharmakonzern Boehringer Ingelheim hat allerdings im Mai 2023 den Start einer klinischen Studie der Phase I mit einem monoklonalen Antikörper (BI 765423) in Sachen Sicherheit, Verträglichkeit und Pharmakokinetik gestartet, der gegen IL-11 gerichtet ist. Der Konzern will den Wirkstoff als ersten einer neuen Klasse von Medikamenten zu Behandlung von fortschreitender Lungenfibrose (Vernarbung) entwickeln. Auf diesem Gebiet gibt es trotz einiger Fortschritte weiterhin nur beschränkt wirksame Therapien.