Tag der Kinderrechte: Forschungsprojekt CARES identifiziert umfassenden Handlungsbedarf für krisenfeste Kinderschutzsysteme
Am 20. November ist internationaler Tag der Kinderrechte. Ein Tag, der auf die Rechte und Anliegen der Jüngsten unserer Bevölkerung aufmerksam machen und ihre Anliegen dauerhaft in den gesellschaftlichen Diskurs rücken soll. CARES, ein EU-kofinanziertes Forschungsprojekt mit österreichischer Beteiligung des Ludwig Boltzmann Institutes für Grund- und Menschenrechte (LBI-GMR), hat sich dieses Anliegen zu Herzen genommen und die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie und nachfolgender Krisen auf den Schutz der Kinderrechte und auf österreichische Kinderschutzsysteme untersucht - mit einem klaren Ergebnis: es besteht umfassender Handlungsbedarf zur Sicherstellung der Kinderrechte in zukünftigen Krisensituationen.
"Das Fundament unserer Arbeit ist die Kinderrrechtskonvention der Vereinten Nationen. Mit unserem Projekt decken wir aktuelle Schwachstellen der Kinderschutzsysteme in Österreich auf und sammeln wichtige Optimierungserkenntnisse für künftige Krisensituationen", so Helmut Sax, Senior Researcher am Ludwig Boltzmann Institut für Grund- und Menschenrechte.
Ein Blick zurück: 25. Februar 2020 - die ersten Covid-19-Fälle werden in Österreich registriert. Zu diesem Zeitpunkt ist das Ausmaß der bevorstehenden Pandemie noch nicht abzusehen. Nur kurze Zeit später wird der erste Lockdown ausgerufen und weitreichende staatliche Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie werden ergriffen. Kinder und Jugendliche sind von Schulschließungen betroffen, Social Distancing wird zum Alltag und Homeschooling ersetzt den wichtigen persönlichen Austausch mit Klassenkamerad:innen und Lehrer:innen. Wie die CARES-Studie zeigt, haben Kinder und Jugendliche während der kommenden drei Jahre weitestgehend keinerlei Mitspracherecht in der Entwicklung und Umsetzung der damals geltenden Maßnahmen und Regeln, aber auch Fachkräfte für Kinderschutz finden nur unzureichend Gehör in Politik und Krisenstäben. Mangelnde Information für Kinder und Jugendliche verstärken ein Gefühl von Unsicherheit und es fehlt an zielgruppenspezifischen und individualisierten Unterstützungsangeboten und Kinderschutzkapazitäten für die Jüngsten der Gesellschaft, so die Ergebnisse des Forschungsprojektes CARES.
CARES (2022-24), ein gemeinsames Forschungsprojekt mit Partnern in Belgien, Kroatien und Österreich, untersuchte die Folgen der Pandemie auf Kinderrechte sowie Kinderschutzsysteme und formulierte wichtige Handlungsempfehlungen zum Schutz von Kindern in zukünftigen Krisen. In Österreich leitete das Ludwig Boltzmann Institut für Grund- und Menschenrechte dieses Forschungsvorhaben. Grundlage der Untersuchung bildeten Erfahrungsberichte aus Workshops und Interviews mit insgesamt 27 Kindern und Jugendlichen, die Befragung von Fachkräften in österreichischen Kinderschutzsystemen (österreichweite Online-Befragung mit 88 Rückmeldungen/nicht repräsentativ, Interviews, Fokusgruppe) sowie Literaturrecherche.
Handlungsbedarf zum langfristigen Schutz von Kinderrechten in Österreich notwendig
Schwachstellen beim Schutz der österreichischen Kinderrechte identifiziert CARES überwiegend in den Bereichen Partizipation und Kommunikation, Umgang mit Belastungen bei bestimmten Zielgruppen, sowie Kapazitäten und Koordination, einschließlich im Krisenmanagement. Während der Covid-19-Pandemie wurden bereits bestehende Probleme, wie der Personalmangel in Sozialberufen, oder der zunehmend komplexe Interventionsbedarf in Familien, noch verschärft. Gleichzeitig hatten Kinder und Jugendliche, als Mitbetroffene strikter Maßnahmen, nur unzureichende Feedback- und Beteiligungsmöglichkeiten in der Entscheidung über geltende Maßnahmen und Vorschriften. Fehlende Informationsangebote führten in der Folge zum Rückgriff auf teilweise problematische Social-Media-Kanäle zur Informationsbeschaffung. Zu Beginn der Krise zeigten Kinder zunächst eine hohe Bereitschaft zur Akzeptanz neuer Regeln, doch die oft mangelnde Akzeptanz der Regeln durch erwachsene Vorbilder und das Gefühl vieler junger Menschen, zu einem Spielball von Vorschriften zu werden, ließ diese Bereitschaft im weiteren Zeitverlauf sinken. Gleichzeitig nahmen psychische und soziale Belastungen zu, wie weitere Studien belegen.
"Im Rückblick zeigt sich, dass wir einen massiven Aufholbedarf in der Integration kinderspezifischer Expertise in das Krisenmanagement sowie zur Implementierung von Feedbackmechanismen für Kinder und Jugendliche zu Erfahrungen im Umgang mit ihren Belastungen identifizieren können. Um für künftige Krisen besser gerüstet zu sein, empfehlen wir daher einen Ausbau interner Reflexionsprozesse innerhalb verschiedener Einrichtungen und staatlicher Stellen", verweist Helmut Sax auf die Ergebnisse. "Bedingt durch den hohen Grad an gesellschaftlicher Polarisierung mag die Auseinandersetzung mit den Folgen der Covid-19-Pandemie wenig populär sein, aber wir sehen es als Forschungsinstitut als unsere Aufgabe, Erfahrungen zu dokumentieren und aus der Analyse Verbesserungspotentiale für einen künftig verstärkt krisenfesten Schutz von Kinderrechten aufzuzeigen."
Bewusstsein für Kinderrechte, Systemkapazitäten und regelmäßiges Maßnahmen-Monitoring
Wie das CARES-Projekt aufgezeigt hat, betrachten drei Viertel der befragten Fachkräfte Kinderrechte als "unverzichtbar" für Ihre Arbeit, aber etwa die Hälfte sieht Kinderrechte in Österreich nur "durchschnittlich" gewährleistet. Eine zentrale Maßnahme zur Verbesserung von Schutzsystemen für gesellschaftliche Krisen ist die vorrangige Bereitstellung von Mitteln im Bereich der Sozialen Arbeit im Rahmen der Kinder- und Jugendhilfe, insbesondere zur Steigerung der Personalkapazitäten.
Weiterhin zeigen aktuelle Diskussionen über Kinderschutzkonzepte in Schulen, der Umgang mit Digitalisierung und sozialen Medien sowie Maßnahmen zur Stärkung der psychischen Gesundheit von Kindern, dass es verstärkt multiprofessioneller Ansätze bedarf, welche strukturiert und verbindlich das Zusammenwirken von Kinderschutz, Schule, Freizeitsektor/Jugendarbeit und Gesundheitssystemen gewährleisten. Des Weiteren sollten Sensibilisierungsmaßnahmen zu Kinderrechten sowie Feedback- und Beteiligungsmöglichkeiten für Kinder ausgebaut werden, und auch Beteiligungsinstrumente verstärkt in der Aus- und Weiterbildung im Kinderschutzbereich Berücksichtigung finden.
Die Rückmeldungen der Fachkräfte im CARES-Projekt machten ebenfalls deutlich, dass gerade in Krisenzeiten passgenaue Angebote für spezifische Zielgruppen benötigt werden. Das Projekt verweist hier unter anderem auf Kinder in stationären Betreuungsangeboten, care leaver, Kinder mit psychischen Erkrankungen, Kinder mit Behinderungen, Kinder, welche selbst Betreuungsaufgaben für Angehörige wahrnehmen, für Mädchen in patriarchalen Familienstrukturen, sowie für Kinder mit Fluchterfahrungen.
"Wir sehen aktuell, dass uns keine Verschnaufpause zur Regeneration nach einer Krise bleibt. Nach der Pandemie kam der Krieg in der Ukraine, dann die Teuerungskrise, die viele Kinder und Familien getroffen hat. Wir sind daher gefordert, gerade im Kinderschutzbereich Situationen und Entwicklungen in regelmäßigen Abständen zu prüfen und neu zu bewerten. Ein umfangreiches Kinderrechte-Monitoring von Maßnahmen wird daher einen entscheidenden Schlüssel zum Erfolg darstellen", so Helmut Sax. Und, in den Worten eines jugendlichen Teilnehmers aus den Projektworkshops: "Man sollte zuerst auf die Jüngeren schauen, weil sie die Zukunft sind. Sie sollen unterstützt werden, indem man ihnen gibt, was sie brauchen."
Eckdaten EU-Projekt CARES
- EU-Projekt CARES: Auswirkungen der Corona-Pandemie und nachfolgender Krisen – Erkenntnisse für krisenfeste Kinderschutzsysteme 2022-24
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Gesamtleitung des Projektes: Defence vor Children International /Sektion, Belgien in Partnerschaft mit Hrabri telefon, Kroatien und dem Ludwig Boltzmann Institut für Grund- und Menschenrechte, Österreich
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Art der Erhebung: Konsultation von Kindern und Fachkräften im Jahr 2023
Rückfragehinweis: Ludwig Boltzmann Gesellschaft Mag. Werner Fulterer +43 1 513 27 50 -28 werner.fulterer@lbg.ac.at