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Gesund mit KI?

Künstliche Intelligenz erleichtert die Suche nach neuen Wirkstoffen und die Diagnose von Erkrankungen, erlaubt innovative Therapieansätze und unterstützt im Alltag.
Credit: Michael Bihlmayer/ChromOrange/picturedesk.com
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Künstliche Intelligenz (KI) stellt die Blutzuckerkonzentrationen bei Kindern mit Diabetes verlässlich ein und lässt Eltern dadurch ohne nächtliche Kontrollen durchschlafen. Sie schließt vom Blickverhalten auf ein erhöhtes Demenzrisiko oder vom auffälligen Gehirnmuster auf Epilepsie und erkennt Knochenbrüche auf Röntgenbildern. KI ist im medizinischen Bereich nicht nur gekommen, um zu bleiben, sondern verbreitet sich – trotz einiger Stolpersteine – rasch über Forschungsprojekte in den Alltag.

„KI wächst in alle medizinischen Fachbereiche hinein. Die Systeme machen große Fortschritte binnen weniger Wochen“, sagte Christoph Zielinski, Präsident der Central European Cooperative Oncology Group (CECOG), kürzlich anlässlich des Symposiums „AI in Medicine – Vision – Reality – Legal Aspects“ in Wien. KI werde eine zunehmende Rolle bei der Erstellung von Daten, im Labor, in Diagnostik, in Pathologie, bei Therapieentscheidungen und vielen anderen Bereichen spielen, erklärte der Onkologe. Bekannt ist vor allem das Beispiel der Radiologie, in der bildgebende Systeme darauf getrimmt werden, mögliche Krankheitsprozesse zu identifizieren.

„Bei der Bildanalyse sind die KI-Systeme den Menschen schon weit überlegen“, berichtet Clemens Heitzinger von der Fakultät für Informatik und dem Center for Artificial Intelligence and Machine Learning (CAIML) der Technischen Universität (TU) Wien: „Wenn man sie richtig trainiert, übertreffen sie die menschlichen Fähigkeiten längst.“ Egal, ob es sich um Röntgenfotos subtiler Knochenbrüche, Bilder von Hautveränderungen oder seitenweise EEG-Scans handelt, können diese vielen Studien zufolge sicherer und effizienter von Computeralgorithmen als von menschlichen Expertinnen und Experten ausgelesen und gedeutet werden. Denn auch die „Götter in Weiß“ sind nur Menschen, die im medizinischen Alltag mal gestresst, ermüdet oder unachtsam sein können.

„In der klinischen Praxis werden EEG-Segmente standardmäßig nacheinander in 15-Sekunden-Schritten visuell inspiziert. Bei 24-stündigen Aufzeichnungen sind das zirka 5.760 Bildschirmseiten an EEGs“, so Tillmann Kluge von der Forschungsabteilung Medical Signal Analysis am Austrian Institute of Technology (AIT) in Wien: Solche Arbeit lässt man freilich gerne einen Computeralgorithmus ausführen, um sie anschließend „nur mehr“ zu kontrollieren und zu verifizieren. KI erkennt zudem Krebszellen rasch in Gewebeproben, wodurch sich Gehirntumor-Operationen teils in wenigen Minuten durchführen lassen. „Durch diese neue Technik kann die Eingriffszeit und damit die Narkosedauer zum Beispiel bei Biopsien deutlich reduziert werden“, sagt Neurochirurg Georg Widhalm, der am Universitätsklinikum von AKH Wien und der MedUni Wien tätig ist.

Auf einen Blick

Künstliche Intelligenz erleichtert die Suche nach neuen Wirkstoffen und die Diagnose von Erkrankungen, erlaubt innovative Therapieansätze und unterstützt im Alltag. Trotz einiger Stolpersteine verläuft die Entwicklung rasant.

Facts

Europäischer Rechtsrahmen für KI 

 

„Ein rein aus Daten trainiertes KI-System weiß zum Beispiel nicht einmal, ob ein Mann schwanger sein kann.“ Michael Giretzlehner vom Department Medical Informatics der RISC Software GmbH
Unterstützung bei der Diagnostik (Credit: ImageBiopsyLab)
Das Beste aus beiden Welten

Noch kann man sich aber nicht vollends auf die digitalen Helfer verlassen. Den Maschinen fehlt Allgemeinwissen, wie die Welt funktioniert. „Ein rein aus Daten trainiertes KI-System weiß zum Beispiel nicht einmal, ob ein Mann schwanger sein kann“, betont Michael Giretzlehner vom Department Medical Informatics der RISC Software GmbH in Hagenberg (OÖ). Deshalb sollte KI keine kritischen Entscheidungen alleine treffen, sondern die letzte Verantwortung bei Diagnose oder Therapie nach wie vor den menschlichen Expertinnen und Experten überlassen werden, sind die Fachleute überzeugt.

 

„Als unterstützendes Werkzeug kann KI die Arbeitslast in der diagnostischen Praxis reduzieren, indem sie routineorientierte Aufgaben übernimmt“, meint Stefan Nehrer vom Zentrum für Regenerative Medizin der Universität für Weiterbildung Krems. Gleichzeitig verbessere sie die Qualität durch Standardisierung der Beurteilung. Doch menschliche Validierung sei nach wie vor unerlässlich, um die klinische Sicherheit zu gewährleisten (siehe „Wie KI die medizinische Diagnose und Therapie verbessert“).

Im Team kann künstliche und natürliche Intelligenz dann effizienter, genauer und sicherer arbeiten, als ein Mensch alleine. Vor allem im niedergelassenen Bereich bekommen viele Medizinerinnen und Mediziner beispielsweise naturgemäß selten Besuch von Personen mit seltenen Erkrankungen und haben entsprechend kaum Erfahrung damit. Ein auf viele Fälle trainiertes KI-System könnte hier helfen und eine Diagnosemöglichkeit bieten, so Giretzlehner. Ein Streifzug durch die breite Palette an KI-Projekten zu medizinischen Fragestellungen – von Sepsis über Demenz bis zu Krebs – ist hier zu finden.

Patientensicherheit erhöhen

Bei einem erst kürzlich gestarteten Forschungsprojekt soll beispielsweise eine Kombination aus Sensoren und Künstlicher Intelligenz eingesetzt werden, um die Zahl unvorhergesehener Todesfälle auf der Normalstation im Krankenhaus deutlich zu verringern. „Wir denken an einen kleinen Aufkleber oder ein Armband, das die Patienten überwacht. In Kombination mit einem Vorhersagemodell wird, wenn sich der Blutdruck oder die Herzfrequenz ändern, gewarnt, dass es in den nächsten Stunden oder Tagen zu einer Verschlechterung kommen kann“, erklärte Jens Meier, Leiter des Departments für Neuroanästhesie und Intensivmedizin am Linzer Kepler Universitätsklinikum, im Gespräch mit APA-Science.

Genutzt werden dazu Sensoren, die es entweder schon gibt oder die nur modifiziert werden müssen. Welche Parameter dabei betrachtet werden sollen, also beispielsweise Herzfrequenz oder Sättigungskurve, ist ebenfalls Teil der Untersuchung (siehe „KI-Einsatz soll Zahl der Todesfälle auf Krankenstationen reduzieren“). Langfristig könnte das System nicht im Krankenhaus enden, sondern auch bei der häuslichen Pflege hilfreich sein.

Staubsaugroboter erkennt Notsituation

Aber nicht nur im klinischen Umfeld, sondern auch im Alltag hält KI zusehends Einzug – etwa durch höhere Sicherheit in den eigenen vier Wänden. Dabei sollen Staubsaugroboter etwaige Notsituationen erkennen und gegebenenfalls die Rettung rufen. Ein Sprachassistent wie beispielsweise Alexa übernimmt die Kommunikation, damit nachgefragt werden kann, ob die gestürzte Person überhaupt Hilfe benötigt. Auf intelligente Sensoren, die mit KI gekoppelt sind, setzt auch ein kürzlich gestartetes Projekt, durch das sich neurodiverse Menschen, also etwa Personen mit einer Autismus-Spektrum-Störung, in ihren Lebensräumen wohler fühlen sollen.

Als Unterstützung für Mitarbeitende in der Pflege könnte wiederum eine Kombination von Wearables, wie etwa Oberarm-Bänder oder -Schlaufen, Kontextinformationen und KI dienen. Ziel ist, dass die Pflegeaktivitäten automatisch erkannt und dokumentiert werden. Dabei soll sich die Software an die Arbeits- und Denkweise der damit interagierenden Menschen anpassen „und keinesfalls umgekehrt“, so die Verantwortlichen. Durch eine etwaige Korrektur der Daten durch die Pflegenden würden die Modelle mit zunehmender Anwendung präziser (siehe „Künstliche Intelligenz wird zum Alltagshelferlein“).

Neuen Wirkstoffen auf der Spur

KI wird mittlerweile aber auch dafür eingesetzt, neue Wirkstoffe aufzuspüren oder die Produktion von Medikamenten zu überwachen. So wurden zu Beginn der Pandemie Forschende aufgefordert, mittels KI nach chemischen Verbindungen zu suchen, die als potenzielle Medikamente den sich ausbreitenden Infektionen entgegenwirken könnten. Dadurch wurde eine riesige Anzahl an Molekülen schon mal „vorgefiltert“, um die vielversprechenden Kandidaten anschließend zu testen. Auch ein Forschungsteam der Universität Linz beteiligte sich an dem Wettbewerb.

 

Wirtschaftsinformatiker der Universität Graz haben unterdessen gezeigt, dass eine automatisierte Entscheidungsfindung bei der Produktion von Medikamenten die erforderlichen Standards gewährleisten kann. Dabei überwacht eine KI ein Fließband, auf dem kleine Abfüllfläschchen in einem abgesicherten Glastunnel transportiert werden. Muss ein Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin in die Produktionslinie eingreifen, etwa weil ein Fläschchen umfällt, beurteilt das System, ob eine kritische Aktion vorgelegen ist und die Arzneimittel sicherheitshalber ausgesondert werden (siehe „Wie KI der Pharmabranche auf die Sprünge helfen kann“).

KI kommt auch bei der Medikamentenentwicklung zum Einsatz (Credit: Anna Huber/Westend61/picturedesk.com)
Ungleichgewicht bei Daten verschärft sich (Credit: APA/dpa)
Mangelware Forschungsdaten

Probleme gibt es bei allem Fortschritt in der KI-Entwicklung allerdings mit der Verfügbarkeit von medizinischen Forschungsdaten. Internationale Branchenriesen sowie manche ausländischen wissenschaftlichen Einrichtungen würden ihre KI-Entwicklungen relativ ungeregelt vorantreiben, während europäische Forschende für ihre Projekte oft nur auf Daten von ein paar hundert Patientinnen und Patienten zurückgreifen könnten, erklärt Nikolaus Forgó, Professor für Technologie- und Immaterialgüterrecht an der Universität Wien gegenüber APA-Science.  Er befürchtet auch aufgrund aktueller Regulierungsansätze, „dass dieses Ungleichgewicht, diese Diskrepanz, diese Schere noch weiter zulasten Europas aufgehen wird“.

 

Beispielsweise gebe es in den USA oder China Lifestyle-Gadgets, die nicht als Medizinprodukt gelten würden, obwohl man sie zur Kontrolle von Muttermalen einsetze. „Letztendlich bekommt man so hunderttausende Muttermal-Fotografien, ohne dass ein Regulator oder Jurist darauf geschaut hätte. Das ergibt einen relativ deutlichen Startvorteil“, streicht Forgó hervor. In Europa sei es außerdem aufgrund fehlender technischer Standards und einigermaßen einheitlicher Qualitätsstandards sehr schwierig, Daten über die einzelne Klinik oder über den einzelnen Staat hinaus standardisiert zu vergleichen (siehe „Keine Harmonie bei medizinischen Forschungsdaten“).

Insellösungen haben Grenzen

Auf einen weiteren Problembereich weist Katja Bühler vom VRVis Zentrum für Virtual Reality und Visualisierung hin. Viele medizinische KI-Lösungen würden in geschlossenen Systemen und mit spezifischen Datensätzen im Kontext konkreter Fragen agieren und hier sehr gute Ergebnisse liefern. Solche Insellösungen seien in einer offeneren Umgebung allerdings wenig geeignet. Viele Anwendungen hätten einen sehr engen Bereich, wo sie gut funktionieren, sagt auch Harald Kittler von der Universitätsklinik für Dermatologie der MedUni Wien: „Wenn man diesen Bereich verlässt, entstehen sehr schnell Fehler, manchmal auch dumme Fehler.“ Künftige KIs sollten laut Bühler Sicherheit in der Unsicherheit zeigen und damit sinnvoll umgehen können. „Künstliche Intelligenz muss ihre eigenen Grenzen erkennen und kompetent entscheiden, ab wann sie nicht mehr entscheiden kann“, schreibt sie im Gastbeitrag „Zuverlässige KI in einer komplexen Welt“.

Gute Gesundheitsversorgung brauche nicht nur High Tech, sondern auch High Touch – Empathie, Zeit und Zuwendung, streicht Barbara Prainsack von der Universität Wien hervor. Der Einsatz von KI sei dort sinnvoll und nützlich, wo er menschliche Arbeit unterstütze und ergänze. Handeln im Gesundheitswesen müsse auf Wissen basieren, nicht nur auf Daten. „Maschinen verarbeiten Daten und erkennen Muster – Menschen haben Wissen und verstehen Kontexte und Zusammenhänge. Es braucht beides“, so die Expertin (siehe Gastbeitrag „Intelligenz braucht mehr als Algorithmen“).

Verlässliche Gesundheitsinformationen im Internet

Egal ob KI-generiert oder nicht: Verlässliche Gesundheitsinformationen im Internet zu erkennen und von unseriösen Inhalten und irreführenden Angaben zu unterscheiden, stellt viele Menschen vor große Herausforderungen. Abhilfe soll eine neue Checkliste bieten, die aus dem Forschungsprojekt „Infos ohne Nebenwirkung“ an der Universität für Weiterbildung Krems hervorgegangen ist.

 

Die  Liste umfasst sieben Merkmale wie Werbefreiheit, ausgewogene Information oder Quellenangaben, die laut Projektleiterin Ursula Griebler Hinweise auf verlässliche Gesundheitsinfos geben. Bei der Entwicklung sei darauf geachtet worden, dass die Checkliste drei Voraussetzungen erfüllt: Die Merkmale müssen ohne medizinisches Fachwissen erkennbar, leicht verständlich und geeignet sein, verlässliche von irreführenden Inhalten unterscheiden zu können. Ausführlichere Erklärungen dazu hat die Forschungsgruppe zusätzlich in einem Video aufbereitet.

 

Ob die Checkliste funktioniert, wurde den Angaben zufolge anhand von 100 ausgewählten Online-Gesundheitsinhalten überprüft. Grundlage für die Liste sind 449 Merkmale aus insgesamt 73 bereits früher veröffentlichten Arbeiten und Checklisten, die von den Forschenden überprüft wurden, heißt es in einer Aussendung.

Fakenews auf der Spur (Credit: APA/HELMUT FOHRINGER)

Ausbildung vor Veränderungen

Der Einzug von KI und insbesondere von maschinellem Lernen in die klinische Praxis haben das Potenzial, die medizinische Praxis in naher Zukunft zu revolutionieren, zeigen sich Georg Dorffner, Clemens Gangl und Anita Rieder von der MedUni Wien in einem Gastbeitrag überzeugt. Das stelle natürlich auch neue Ansprüche an das Ausbildungsniveau der medizinischen Fachkräfte. Die Bedeutung des eigentlichen diagnostischen Fachwissens nehme ab, während die Einordnung beziehungsweise Überprüfung dessen, was ein KI-System ausgibt, zunehmend wichtiger werde.

Zukünftige Ärztinnen und Ärzte müssten ein einigermaßen tiefes Verständnis dessen haben, „was maschinelles Lernen bedeutet, wie solch ein System grob aufgebaut ist, und was die Grenzen des Lernens und des in den Systemen integrierten Wissens sind“. Ein Vormarsch der „digitalen Medizin“ bedeute, dass sich informationstechnologische Grundlagen als ebenso wichtig und notwendig für den medizinischen Beruf erweisen würden, wie es schon seit jeher die biologischen, chemischen oder physikalischen Grundlagen seien. Man erarbeite daher im Projekt „Digital Skills, Knowledge & Communication für Studierende der Humanmedizin“ entsprechende Lösungen für Curricula an den Medizinischen Universitäten in Wien, Graz und Innsbruck.

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