Klimaforscher Latif will sich auch mit 70 gegen Klimakrise einsetzen
Wenn es darum geht, den Klimawandel zu erklären, ist der deutsche Forscher Mojib Latif ein gefragter Mann. Geduldig spricht er in Interviews immer wieder über Ursachen und Folgen der Erderwärmung. Mehr als ein Dutzend Bücher und zahllose Artikel hat er verfasst, Tausende Studenten ausgebildet. Am 29. September wird der charismatische Wissenschafter mit der Fähigkeit, Kompliziertes einfach auszudrücken, 70 Jahre alt.
Er werde weiter arbeiten und er wolle optimistisch bleiben, sagt Latif beim Gespräch in seinem Arbeitszimmer in der Akademie der Wissenschaften in Hamburg, deren Präsident er ist. Dass der Sohn pakistanischer Eltern die Erforschung des Klimawandels zu seiner Lebensaufgabe machen würde, war zunächst gar nicht klar. Nach der Matura in Hamburg studierte Mojib Latif Betriebswirtschaft. Er habe aber sehr schnell gemerkt, dass BWL nicht sein Ding sei und gewechselt. Naturwissenschaftlich sollte es sein und Meteorologie wurde es.
Zum Thema Klimawandel habe er nach dem Studium im Max-Planck-Institut für Meteorologie (MPI) in Hamburg gefunden. "Eines Tages hat mir der Direktor und spätere Nobelpreisträger Klaus Hasselmann eine Doktorarbeit in seinem Institut angeboten. Und so bin ich in die Klimaforschung gekommen." Nach Jahren in Hamburg arbeitete der vielfach ausgezeichnete Professor seit 2003 am Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel und dessen Vorläuferinstituten in Kiel. Er ist heute noch Seniorprofessor dort.
Wissen führt nicht unbedingt zum Handeln
Als die große Mehrheit von einem menschengemachten Klimawandel noch gar nicht überzeugt war, zeigte sich Latifs Talent, in der Öffentlichkeit so über das schwierige Thema zu sprechen, dass es verstanden wird. "Ich dachte immer, und das war ein großer Irrtum, dass Wissen zum Handeln führt", sagt er im Rückblick. Entmutigt hat ihn das nicht.
Noch heute, Jahrzehnte später erklärt er geduldig den Unterschied zwischen Wetter und Klima und den Einfluss, den der Klimawandel auf Wetterereignisse hat. Gerade kam die Bilanz des Deutschen Wetterdienstes zum Sommer 2024, der wieder viel zu warm war. Latif schiebt wie nebenbei ein Live-Interview für einen Radiosender ein und erklärt geduldig die Zusammenhänge - wie schon viele Hunderte Male zuvor.
"Klimawissenschaft hat es schwierig durchzudringen, weil es immer den Konflikt gibt zwischen Wissenschaft und Wirtschaft." Das sei schon bei der relativ leicht zu lösenden Ozonlochproblematik so gewesen. Es werde gesagt, ohne Wirtschaft gehe gar nichts, die Wirtschaft müsse florieren und die Umwelt müsse hinten anstehen. "Umgekehrt kann man natürlich argumentieren, ohne eine intakte Umwelt wird es auch keine gute Wirtschaftsentwicklung geben."
Politik trifft ungern notwendige Entscheidungen
Was auch zu sehen sei: "Politik entscheidet sich ungern. Man wartet und wartet, bis man gezwungen ist", kritisiert Latif. Eine Erklärung auch für Verdrängung des Themas bei vielen Menschen biete die Neurowissenschaft. "Alles, was weit weg ist, egal, wie schlimm es ist, interessiert uns eigentlich nicht. Uns interessiert das Hier und Jetzt." Daher führe Information nicht notwendigerweise zum Handeln.
Die Wissenschaft könne nicht detailliert vorhersagen, wann welche Kipppunkte beim Klima erreicht werden. "Aber das ist der beste Grund, etwas zu tun", sagt Latif. "Wir verhalten uns doch wie ein Autofahrer im Nebel, der mit Höchstgeschwindigkeit fährt und nicht weiß, ob da gleich ein Stauende kommt oder nicht." Klar sei aber bereits, Hitzewellen werden zunehmen, der Meeresspiegel werde steigen und der Anstieg sich beschleunigen.
Bei den Entscheidungsträgern sei das Thema in den vergangenen Jahren wirklich angekommen. "Das ist ein Erfolg, den die Klimaforschung sich ans Revers heften kann." Allerdings dauere die Umsetzung zu lange, es werde zu lange an alter Technologie festgehalten. Aus Latifs Sicht sind Anreize nötig, auch um die Versäumnisse der Vergangenheit aufzuholen.
Gewaltbereitschaft nimmt zu
Widerspruch und Kritik, oft aus Unwissenheit, habe er immer schon bekommen, sagt Latif. "Diese Beleidigungen und Beschimpfungen, dieses in Abrede stellen von wissenschaftlichen Fakten, das habe ich ganz früh gesehen." Es werde immer mehr und die Gewaltbereitschaft nehme zu. "Es ist mir nicht egal, aber ich ignoriere es einfach." Bei ihm komme der Rassismus noch dazu.
Zum Stand des Klimawandels hat Latif schlechte Nachrichten. Von den vergangenen 14 Monaten hätten 13 bereits das 1,5-Grad-Ziel überschritten. Das Ziel könne daher nur noch sein, unter zwei Grad zu bleiben. Das wäre theoretisch möglich, wenn die Welt bis 2060 oder 2070 klimaneutral werde. Latif hofft darauf, dass die erneuerbaren Energien so konkurrenzlos billig werden, dass sie sich flächendeckend durchsetzen. "Der Gamechanger ist die technologische Entwicklung." Dabei denkt der Professor aber nicht an Technologien wie die Abscheidung und unterirdische Speicherung von Kohlendioxid. Denn: "Das verlängert künstlich das Falsche."
Viel Zeit bleibt Latif neben seiner wissenschaftlichen Arbeit nicht. Er fahre gerne Fahrrad, in Hamburg oder an der Ostsee. Aber er könne sich nicht vorstellen, den ganzen Tag Golf zu spielen. Schon die Akademie der Wissenschaften in Hamburg, die ganz Norddeutschland abdeckt, biete so viele spannende Themen. Seinen 70. Geburtstag will Latif gemeinsam mit seiner Frau in Ruhe verbringen.
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