Weltweiter Chipmangel: Hintergründe und Ursachen
Vielen Industriebereichen macht derzeit der Mangel an Mikrochips und daraus resultierende, lange Lieferfristen zu schaffen. FHTW-Experte Peter Rössler erläutert die Hintergründe.
Vor allem aus der Autoindustrie ist derzeit häufig von Problemen mit der Verfügbarkeit von Mikrochips zu hören. Dabei sind weltweit viele unterschiedliche Branchen vom Chipmangel betroffen. Auch Konsument*innen bekommen die Problematik zu spüren: Nicht nur all jene, die sich das neueste Playstation-Modell kaufen wollen, müssen dafür im Moment ungewöhnlich lange Lieferfristen in Kauf nehmen.
Die Hintergründe dafür sind vielschichtig und haben auch, aber nicht nur, mit der gestiegenen Nachfrage nach den Computerbauteilen in der Corona-Pandemie zu tun. "In der Autoindustrie ist schon seit Jahrzehnten die Elektronik der Innovationstreiber und nicht mehr der Maschinenbau", erklärt Peter Rössler, Leiter des Bachelor-Studiums Elektronik und Wirtschaft an der FH Technikum Wien, warum gerade diese Branche stark von der Verfügbarkeit von Mikrochips abhängig ist. "Und man muss bedenken: Chips begegnen uns heute auch sonst überall." Ob Computer und Smartphones, Flugzeuge oder E-Bike-Ladegeräte, Fernseher, Spielkonsolen oder Waschmaschinen - eine Vielzahl an Industriebereichen und Alltagsprodukten funktioniert nicht ohne die Elektronikbauteile. An der FHTW beschäftigt sich der ebenfalls von Peter Rössler geleitete Forschungsschwerpunkt Embedded Systems & Cyber-Physical Systems umfassend mit dem Entwurf und der Entwicklung solcher eingebetteter Computersysteme für verschiedenste Anwendungsbereiche, aktuell etwa in einem Josef-Ressel-Zentrum in Zusammenarbeit mit den österreichischen Unternehmen Elektrobit Austria, Kapsch TrafficCom und Oregano Systems. Für Studierende bietet beispielsweise das Master-Studium Embedded Systems Vertiefungsmöglichkeiten in diesem Fachgebiet.
Pandemie kurbelte Nachfrage an
Neben der boomenden Nachfrage benötige auch der Ausbau des 5G-Mobilfunknetzes zusätzliche Chip-Kapazitäten, gibt Rössler zu bedenken. Und die wachsende Handelsrivalität zwischen den USA und China spielt bei dem Thema ebenfalls eine Rolle. "Angeblich haben chinesische Firmen zu Beginn der Pandemie massenhaft Chips aufgekauft und ihre Lager gefüllt." Tatsächlich kurbelte der Digitalisierungsschub - getrieben durch Homeoffice und Homeschooling - dann die Nachfrage nach Elektronikgeräten wie Laptops und Monitoren stark an. Der Umsatz der Halbleiterindustrie wird nach Prognosen des Branchenverbands WSTS (World Semiconductor Trade Statistics) in diesem Jahr um elf Prozent wachsen - doppelt so stark wie davor. Doch während gewisse Bereiche boomten, mussten Autohersteller zunächst ihre Produktionen stark drosseln und Chipbestellungen stornieren. "Als sie die Produktion dann wieder hochfuhren, fanden sie sich jedoch plötzlich am Ende der Warteschlange wieder", so Rössler.
Halbleiterindustrie: komplexe und teure Fertigungsprozesse
Das Problem an der hohen Nachfrage: Die Fertigung von Mikrochips lässt sich nicht so einfach von einem Tag auf den anderen ankurbeln. "Seit Ende der 1960er-Jahre hat sich hier eine Industrie mit unglaublich komplexen Produktionsprozessen und enormen Investitionskosten entwickelt", sagt Rössler. Nicht nur Computer wurden im Laufe der Jahre immer kleiner und leistungsfähiger, auch die dafür notwendigen Chips. Der US-amerikanische Ingenieur und Unternehmer Gordon Moore, Mitgründer der Firma Intel, sagte diese Entwicklung schon in den 1960ern voraus: Die Komplexität von integrierten Bauteilen verdoppelt sich demnach alle 18 Monate. "Tatsächlich haben Chips heute Strukturen, die oft nur wenige Atomlagen dick sind", sagt Rössler. Für deren Produktion sind hochsensible Reinräume notwendig, die die Fertigungsstätten enorm teuer und komplex machen. Die Errichtung eines Halbleiterwerks kostet mitunter mehrere Milliarden Euro. Der österreichische Hersteller Infineon etwa investierte laut Medienberichten in das neue Werk in Villach 1,6 Mrd. Euro. "Bei derartigen Investitionskosten müssen die Hersteller ihre Werke auch auslasten", sagt Rössler.
International sind die Produktionsstätten der Halbleiterindustrie in den vergangenen Jahrzehnten immer stärker in den asiatischen Raum verlagert worden. Gleichzeitig ist die Industrie heute stark spezialisiert: Unternehmen wie Infineon produzieren etwa vor allem für die Automobilindustrie und den Bereich Leistungselektronik. Dazu seien jedoch andere Prozesse notwendig als für den Einsatz bei Laptops oder Smartphones, die wiederum oft in Asien gefertigt werden, so der FH-Professor.
Weiter warten
In Europa zusätzliche Produktionskapazitäten zu schaffen, sei aus all diesen Gründen kurzfristig eben nicht so einfach möglich. "Manche Experten meinen, dass die Situation noch bis 2022 oder länger so bleiben wird. Aber tatsächlich ist das sehr schwer zu prognostizieren", sagt Rössler. Die Halbleiterindustrie werde sicher auf die boomende Nachfrage reagieren. "Aber einstweilen braucht man hier einfach einen längeren Atem."
Rückfragehinweis: FH Technikum Wien Höchstädtplatz 6 1200 Wien Österreich +43 1 333 40 77-0 web@technikum-wien.at
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