Sozial benachteiligte Frauen trauen sich trotz guter Noten wenig zu
Frauen trauen sich weniger zu als Männer. Das ist mittlerweile wissenschaftlich belegt, aber wer wenig hat, traut sich noch weniger zu. Eine Studie von Forscherinnen der Universität Wien zeigt, dass sich sozial benachteiligte Frauen für am wenigsten talentiert von allen halten - selbst dann, wenn sie die gleichen Leistungen wie andere erbringen. "Wir sollten Fleiß gesellschaftlich stärker anerkennen", so Studienleiterin Christina Bauer zur APA.
Die Vorstellung vom angeborenen männlichen "Genie", die bereits in der Antike entstand, bestimmt auch heute noch, wen wir für außergewöhnlich halten - und das sind meist Männer: Albert Einstein, Isaac Newton, Nikola Tesla und so weiter. Der intellektuelle Erfolg von Frauen gilt in unserer Kultur eher als ein Resultat ihres Eifers. "Frauen werden eher als 'fleißig' gelobt und weniger als 'schlau', das wird eher zu Burschen gesagt", erklärte die Sozialpsychologin vom Institut für Arbeits-, Wirtschafts- und Sozialpsychologie der Uni Wien.
Dieses Außenbild habe fatale Folgen auf das Selbstbild von Frauen, vor allem für jene mit niedriger sozioökonomischer Herkunft. "Es ist generell so, dass Mädchen sich für weniger talentiert halten als Burschen", so Bauer, "selbst wenn man zwei Menschen mit identischen Noten vergleicht." Das hätten auch frühere Studien gezeigt.
Ihre neue, im Fachjournal "Learning and Instruction" veröffentlichte Studie mit insgesamt 1.600 Studierenden in Deutschland und den USA hat nun aber außerdem ergeben: Auf Frauen aus niedriger sozioökonomischer Herkunft trifft es doppelt so stark zu. "Was wir sehen, ist eine kulminierte Benachteiligung, die sich hier aufsummiert." Im Vergleich von allen Subgruppen in der Studie beurteilten sich Frauen mit niedrigerer sozioökonomischer Herkunft am wenigsten als talentiert. Männer mit hohem sozioökonomischen Status halten sich dafür am talentiertesten.
Fehlender Glaube ans eigene Genie
"Wenn es um Dinge wie Fleiß und Anstrengungsbereitschaft geht, was ja durchaus wichtige Dinge sind, dann sind Frauen durchaus auch selbstbewusst", so Bauer. "Sie empfinden sich auch als leistungsstark, aber sie empfinden sich nicht als Genies oder talentiert." Diese verzerrte, eigene Einschätzung führt dazu, dass ausgerechnet Frauen, die ohnehin sozial benachteiligt sind, geringere Erfolgschancen haben.
Etwa fühlen sich Frauen mit niedrigem sozioökonomischem Status gerade in Bereichen, in denen Talent erwartet wird, weniger wohl, trauen sich weniger zu und bringen sich dadurch auch weniger ein. Das betrifft etwa den MINT-Bereich (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik) oder auch Hobbys wie Schach. Ein Teufelskreis, den es in den Augen der Sozialpsychologin zu durchbrechen gilt.
Statt Genies zu verherrlichen und auf "Streber" hinabzuschauen, sollte man Eigenschaften wie Fleiß und harte Arbeit gesellschaftlich stärker anerkennen, und zwar schon in der Schule. "Dieser Fokus auf Talent bringt eine Ellbogen-Kultur hervor, die für niemanden angenehm ist", findet Bauer. Im Englischen beschreibe man das als "dog eat dog mentality". In asiatischen Kulturen ist das durchaus anders. "Für Anstrengung gibt es dort kein negatives Label, sondern eine gewisse Wertschätzung."
Idealerweise hat man auch Vorbilder, die vorleben, dass Frauen zum Beispiel durchaus gute Mathematik-Professorinnen sein können. "Zu schauen, dass Menschen in diesen Rollenbildern mehr repräsentiert sind, halte ich für sehr wichtig", so die Expertin.
Service: https://doi.org/10.1016/j.learninstruc.2023.101865
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