Wiener Wissenschafter wollen Menschen zu Klimakrisenverstehern machen
Der Klimawandel, Umweltverschmutzung und ein dramatischer Verlust von Lebensformen bringen die Menschen in eine selbst gemachte, dreifache Krise. Das sagten Wissenschafter am Freitag an der Uni Wien vor Journalisten. Populistisch verbreitete Falschinformation und eine Erosion des Vertrauens in die Wissenschaft verhinderten, effizient gegenzusteuern. Mit vereinten Anstrengungen wollen Forscher verschiedenster Fächer eine Trendwende zu einer konstruktiven Diskussion erreichen.
"Wir haben uns viel zu wenig an der öffentlichen Diskussion beteiligt", sagte Thilo Hofmann vom Department für Umweltgeowissenschaften der Universität Wien. Die Universitäten müssten sich stärker einmischen und etwa neue Studien aus der Klimafolgenforschung allgemein verständlich erläutern und die Relevanz für die Menschen einordnen.
Dazu fühlte sich Stefan Rahmstorf vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (D) verpflichtet, als eines seiner Forschungsthemen, dem er sich "seit den 1990er Jahren" widmet, Mitte Februar hoch dramatisiert wurde. In einer Studie bestätigten niederländische Forscher eine letztjährige Untersuchung von einem möglichen Kippen der Golfstrom-Dynamik noch in diesem Jahrhundert, was Europa kurzfristig sehr kalte Temperaturen bescheren könnte. Die Schlagzeilen in österreichischen Medien sprachen etwa von einer "Eiszeit statt Heißzeit für Europa".
"Der Golfstrom regt schon seit Jahrzehnten die Fantasie der Menschen offensichtlich sehr stark an", sagte Rahmstorf: "Die Ergebnisse waren eigentlich sehr technisch und schwer in den Medien zu vermitteln." Die Studie würde sich in frühere Arbeiten einreihen, die sich der Frage mit etwas anderen Methoden und Datensätzen widmeten. Es bestünde weiterhin große Unsicherheit darüber, wo der Kipppunkt der atlantischen meridionalen Umwälzbewegung, vulgo des Golfstrom-Systems, liegt.
Die Wissenschafter dürften beim Vermitteln und Erklären der Fakten aber durchaus die Emotionen der Menschen ansprechen, erklärte Sabine Pahl vom Institut für Psychologie der Kognition, Emotion und Methoden der Uni Wien. Denn sie haben Schwierigkeiten mit der in wissenschaftlichen Studien sehr gängigen Komplexität und den darin enthaltenen Unsicherheiten umzugehen. Man sollte ihnen beispielsweise erläutern, was die Veränderungen durch eine ungebremste Klimakrise für ihre Gesundheit und die Lebenswelt bedeutet.
Mit einem neuen "Forschungsverbund Umwelt und Klima" stellen sich unter anderem Umweltgeschichtler und -rechtler, Soziologen, Psychologen sowie Naturwissenschafter der Uni Wien solchen Herausforderungen gemeinsam. Er wird von Hofmann und Pahl geleitet und will vier Themenfelder beackern: saubere Umwelt, Biodiversität und Ökosysteme, Klimaresilienz und gesellschaftliche Veränderung. "Besonders wichtig ist dem Forschungsverbund die Interaktion mit der Gesellschaft, der Politik und den Medien, um Wissenschaft verständlich zu machen und Vertrauen aufzubauen", so Pahl, nämlich um die "unbequeme, dramatische, aber aus wissenschaftlicher Sicht sehr klar feststehende Tatsache zu vermitteln, dass es höchste Zeit ist, die Umweltsysteme und das Klima auf der Erde wieder zu stabilisieren, sodass die erwarteten zehn Milliarden Erdbewohner im Jahr 2050 auf dem Planeten noch halbwegs gut miteinander leben können."
Service: Forschungsverbund: https://ech.univie.ac.at