Forscher messen erstmals Säuregrad einzelner Oberflächen-Atome
Erstmals konnten Forscher der Technischen Universität (TU) Wien den Säuregrad von einzelnen Atomen auf einer Oberfläche bestimmen. Wie sie im Fachjournal "Nature" berichten, verwenden sie dazu ein Rasterkraftmikroskop. Die Physikerin Ulrike Diebold bezeichnet dies gegenüber der APA als "wichtigen Schritt in Richtung maßgeschneiderter Oberflächen", der etwa für die Weiterentwicklung von Katalysatoren gebraucht wird.
Diebold, Leiterin der Arbeitsgruppe Oberflächenphysik am Institut für Angewandte Physik der TU Wien, untersucht seit Jahren die obersten paar Atomlagen von Materialien, speziell von Metalloxiden. Dazu hat sie nicht nur mit dem Wittgenstein-Preis den "Austro-Nobelpreis" bekommen, sondern auch bereits zwei hochdotierte "Advanced Grants" des Europäischen Forschungsrats ERC erhalten.
Neue Untersuchungsmethoden zum Entschlüsseln von Reaktionen auf Oberflächen
Oberflächen sind für viele wichtige Effekte verantwortlich und besonders interessant, weil dort Reaktionen ablaufen, beispielsweise beim Einsatz von Metalloxiden als Katalysator. Viele Vorgänge an solchen Oberflächen sind allerdings noch nicht verstanden, doch Diebold und ihr Team haben in den vergangenen Jahren neue Untersuchungsmethoden entwickelt, um die Prozesse dort zu entschlüsseln.
Nun ist es ihnen erstmals gelungen, den Säuregrad einzelner Atome auf einer Indiumoxid-Oberfläche präzise zu messen. Das Problem bisher: "Wenn unterschiedliche Atome auf der Oberfläche sitzen, die sich chemisch unterschiedlich verhalten, dann konnte man immer nur einen Mittelwert messen", so Diebold. Welches der Atome in welchem Ausmaß zum Ablauf einer chemischen Reaktion beiträgt, war unklar. Aus dem Mittelwert konnte man daher auch nicht ableiten, wie man eine Oberfläche auf atomarer Skala anpassen könnte, um bestimmte chemische Reaktionen zu begünstigen.
Protonenaffinität ausnützen
Entscheidend für den Säuregrad einer Substanz ist die sogenannte "Protonenaffinität" - also wie leicht ein Molekül ein einzelnes Proton annimmt oder abgibt. Diese physikalische Größe machten sich die Wissenschafter zunutze, um die Protonenaffinität einzelner Atome und damit deren Säuregrad mit einem in einer Ultrahochvakuumkammer befindlichen Rasterkraftmikroskop zu messen.
"Wassermoleküle, etwa aus der Umgebungsluft, geben jeweils ein Proton an die Sauerstoffatome der Indiumoxid-Oberfläche ab", so Diebold. Die Forscher platzieren auf die feine Spitze des Rasterkraftmikroskops eine einzelne OH-Gruppe und ziehen damit an dem auf der Oberfläche sitzenden Proton. Die dafür notwendige Kraft wird gemessen und liefert einen konkreten Wert für die Protonenaffinität des jeweiligen Atoms und damit seinen Säuregrad.
Indiumoxid ist deshalb besonders interessant, weil es an dessen Oberfläche gleich "vier verschiedene Typen von Sauerstoffatomen gibt. Alle davon haben drei Bindungen zu Indium-Atomen, die sich aber durch den Bindungswinkel unterscheiden. Je nachdem hält das Proton ein wenig besser oder schlechter", so Diebold.
Margareta Wagner aus Diebolds Team hat über drei Jahre solche Messungen auf verschiedenen Proben von Indiumoxid durchgeführt. Kollegen aus Deutschland erzielten in theoretischen Arbeiten und im Computermodell Übereinstimmung mit den experimentellen Daten. Daraufhin hat Diebolds Team die Messungen auf anderen Materialien (Titanoxid und Zirkonoxid) wiederholt und gezeigt, dass sich mit dieser Methode auch dort der Säuregrad präzise bestimmen lässt.
"Wir erwarten, dass das auf allen Metalloxidoberflächen funktioniert, führen derzeit Messungen dafür durch und wollen eine Datenbank mit den verschiedenen Materialien zusammenzustellen", sagte Diebold. Dann könne man leicht herausfinden, welche Auswirkungen es auf den Säuregrad hat, wenn ein Sauerstoffatom etwa neben einem Defekt, einer Dotierung oder an einer atomaren Stufe sitzt. Damit sei man bei der Entwicklung von Katalysatoren nicht mehr auf Versuch und Irrtum angewiesen, sondern könne chemische Eigenschaften von Oberflächen genau verstehen und verbessern.
Service: https://dx.doi.org/10.1038/s41586-021-03432-3